Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Sonntag, 28. März 2010

Unsicherheiten beim Vortragen: eine Schwäche?

Anmerkung: dieser Post ist eine Reaktion auf Bettina Stackelbergs Podcast "Über Unsicherheit und Herzblut" (Abenteuer Leben, Das Abenteuer Selbstbewusstsein).

Zuerst dachte ich an eine persönliche E-Mail, weil es in diesem Podcast eben auch um etwas Persönliches geht. Andererseits bin ich mir sicher, dass die 'Frau fürs Selbstbewusstsein' mit dem, was mir zu ihrem persönlichen und empörten Zwischenruf einfällt, gut zurechtkommen wird. Anlass ihrer Empörung war Kritik 'über die Ecke', und wenn ich hier das Wort Kritik verwende, dann meine ich das auch so und denke dabei die Unterscheidung zwischen Feedback und Kritik mit.
Die Bemerkung einer Zuhörerin, sie würde Frau Stackelberg nie als Coach in Anspruch nehmen, weil sie stellenweise unsicher gewirkt habe, ist (nach meinem Begriffsverständnis) kein Feedback, sondern eine (ab)wertende Kritik. Und dem, was hinter dieser Kritik steht, möchte ich etwas näher nachgehen, auch wenn es dabei um Vermutungen geht, die Aussagen also eine gewisse Unsicherheit (!) in sich bergen.
Erste These: die Kritik beruht auf der Vorstellung, wer über das Selbstbewusstsein referiert, müsse auch selbst sicher sein. Und das 'durch und durch', also durchgängig, möglichst in allen Lebenslagen und in allen Fragen. Wer das nicht kann, 'taugt eben nichts'.
Zweite These: die Kritik ist deshalb verletzend, kränkend, weil sie die zentralen Aussagen der Referentin entweder nicht verstanden hat oder negiert.
Auf der Portalseite 'Das Abenteuer Leben' sind die Grundgedanken deutlich dargestellt. Selbstbewusstsein wird im Alltagsverständnis oft mit Selbstsicherheit gleichgesetzt - die Konzeption über das 'Bewusstsein seiner selbst' hat aber mehr mit Authentizität zu tun als einer trainierten, womöglich aufgesetzten Selbstsicherheit. Dann aber ist Unsicherheit (gerade dann, wenn sie 'stellenweise' auftritt) eben gerade ein Zeichen von Selbstbewusstsein und kein 'Defizit'.

Die rhetorische Bedeutung der Unsicherheit verdient im Grunde eine ausführlichere Betrachtung - denn sie legt bestimmte Sprechhandlungen nahe, die wirkungsorientiert gedacht sehr wertvoll sein können. Warum? Vorträge können sehr ermüdend sein, weil ein bestimmtes Thema darin buchstäblich erschöpfend abgehandelt wird. Dort, wo es auch nicht die leiseste Unsicherheit gibt, können Hörende im Grunde nur noch zustimmend nicken - oder eine bestimmte Position insgesamt ablehnen, werden aber kaum zu einem Dialog angeregt. Unsicherheit (hier bezogen auf inhaltlich offene Fragen) kann sehr anregend sein, denn sie führt eher zu einer fragenden Haltung, signalisiert den Zuhörenden: da ist jemand nachdenklich, unterwegs, hat noch nicht zu Ende gedacht, lädt mich ein und nimmt mich mit in vorläufige Gedankengänge...
Das Vorschlagen, das Suchen und Tasten nach Antworten löst weit mehr Denkprozesse aus als das fertig 'Durchgebackene', zu dem man im Grunde nichts mehr sagen kann und nichts mehr sagen muss.

Aber das scheint nicht dem zu entsprechen, was die kritische Zuhörerin wohl erwartet hatte... ein Rezept vielleicht, wie man Sicherheit auch dort ausstrahlen kann, wo sie nicht exisitiert, wie man Unsicherheiten konsequent beiseite schiebt, etwas konsequenter und radikaler gedacht - wie man andere manipuliert. Das aber ist schwer zu vereinbaren mit einem Konzept, das mehr auf Echtheit setzt - in einer konsequent realisierten manipulativen Durchsetzungsrhetorik ist für Zweifel und Unsicherheiten kein Platz, denn das könnte ja die Wirkung beeinträchtigen.

Und damit bin ich beim Thema 'Herzblut', sagen wir: bei zentralen Überzeugungen, angelangt. Die implizite Erwartung hinter der Kritik lautet: eine 'Frau fürs Selbstbewusstsein' muss perfekt sein, sie darf keine Unsicherheit zeigen. Das bedeutet aber: sie darf nicht echt sein, denn Unsicherheit ist etwas Menschliches. Und (wie ich oben andeuten wollte) sie hat etwas sehr Wertvolles an sich. Unsicherheit sensibilisiert - wer immer und überall in jeder Frage absolut sicher ist, hört auf zu denken. Die Super-Rhetoriker (im Podcast ist so ein Beispiel erwähnt, alles perfekt einstudiert, aber eben auch: immer wieder dasselbe) mögen zwar durch und durch sicher wirken - aber ob sie es wirklich sind, das steht auf einem anderen Blatt. Sicher ist: sie sind in ihrer Entwicklung stehen geblieben.

Wer andere dazu anregen will, über sich selbst oder über ein bestimmtes Thema nachzudenken und dabei nicht einfach nur Wissen vermitteln möchte, das mit dem Etikett versehen ist 'das ist so und daran gibt es keinen Zweifel', findet gerade im Vorläufigen, Unsicheren das entscheidende dynamische Moment. Unsicherheit also ist nicht 'an sich' eine Schwäche - sondern vor allem dort ein Problem, wo sie 'nicht sein darf'. Damit steht sie sich meist selbst im Weg, verhindert das Bemühen, das Versuchen und Ausprobieren, das nach einiger Übung - zu mehr Sicherheit führt (hier auf das Verhalten bezogen). Aber auch inhaltlich ist Sicherheit (verstanden als echte Sicherheit) das Ergebnis sorgfältigen Nachdenkens. Sicher bin ich dort, wo Aussagen durchdacht, kritisch überprüft worden sind. Sicherheit ist das Ergebnis von Bestätigungen, denen das Zweifeln, das kritische Hinterfragen vorausgegangen ist.

Frage also: worum geht es denn eigentlich? Um aufgesetzte, künstliche, antrainierte Pseudo-Selbstsicherheit - oder um Selbsbewusstsein im Sinne von: Echtheit, die ihre Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft eben nicht aus der rhetorischen Trickkiste bezieht?

Je nach Perspektive wandelt sich die Einschätzung - dort, wo Echtheit als Wert anerkannt und angestrebt wird, sind die sicher Wirkenden die Unsicheren, denn sie müssen einen Teil von sich ausblenden, unterdrücken, überspielen. Die Unsicheren dagegen sind die wahrhaft Sicheren, denn sie gehen das Wagnis des Vorläufigen ein - und stehen zu sich selbst mit allem, was sie sind. Nun klingt im Thema 'Herzblut' mehr oder weniger direkt auch das Burnoutproblem an. Die Strategie der Rollendistanz ('ein Job ist eben ein Job und nicht das Leben selbst') lässt sich auch auf eine inhaltliche Position beziehen: als kritische Distanz zu Erwartungen, die die 'Frau fürs Selbstbewusstsein' eben nicht erfüllen will. Und nicht muss.

Schmerzhaft ist es trotzdem. Die Geschichte zeigt, dass Wirkung, Äußerlichkeiten und Selbstdarstellung häufig höher geschätzt werden als Authentizität. Wer sich dem Druck der Fassadenhaftigkeit entzieht, um wirklich zu sich selbst zu finden, wird immer wieder auch Ablehnung erfahren. Aber auch hier stellt sich die Frage, ob Kränkbarkeit 'wegtrainiert' werden sollte oder gerade darin, dass es noch so etwas wie 'Herzblut' gibt, das eigentlich Lebendige erkennbar wird. Dort, wo es keine Kränkbarkeit mehr gibt, gibt es auch keine Sensibilität mehr.

Da bin ich mir sicher.

Link zum Podcast:
Bettina Stackelbergs Podcast "Über Unsicherheit und Herzblut" (Das Abenteuer Leben, Das Abenteuer Selbstbewusstsein)

*


1 Kommentar:

  1. Mir sind "unsichere" Menschen lieber, als "aalglatte" Typen, die vor Selbstbewusstsein strotzen, nicht selten jedoch Züge von Arroganz und Überheblichkeit an sich haben. Was macht Menschen sympatisch? Nicht zuletzt gerade auch Macken und Kanten sowie die Tatsache, dass jemand Fehler macht oder auch mal unsicher ist.
    Und ich schließe mich 100%ig der Meinung an: Nur, weil ich mich auf dem Gebiet "Selbstbewusstsein" gut auskenne oder mich da spezialisiert habe und auch Vorträge halte, bedeutet das noch lange nicht, dass ich selbst dann absolut keine Schwächen zeigen kann oder in bestimmten Situationen unsicher bin. Also - nicht irritieren lassen. Leben, lieben und verzeihen!

    Beste Grüße
    Martin Krause

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