Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Dienstag, 22. März 2011

stumm


bezüglich vieler
kleiner
fragen

hab ich
schon längst

nichts mehr zu sagen

ich wage es
nicht mehr
zu fragen

ich wage es
nicht mehr
zu klagen

muss
schweigend
mein
schicksal
ertragen

weh tut's nur noch
der schädel brummt

ich schweige nicht
ich bin verstummt


Samstag, 19. März 2011

Wie werden Menschen mit Katastrophen fertig?


Tschnernobyl ist lange her, zuerst kam der Schock und dann helle Aufregung... und nach einiger Zeit war es dann doch nicht mehr so schlimm. Vor diesem Hintergrund ist der Umgang mit Katastophen eine zweischneidige Sache - denn 'Umgang' kann auch 'Wegschieben' bedeuten und ist dann zwar für das Individuum gesünder, wirft aber auch Probleme auf, wenn zuwenig oder nicht gründlich genug Konsequenzen gezogen werden. Die Frage nach Prinzipien der Katastrophenbewältigung ist anders formuliert die Frage nach dem, worauf es ankommt - und die Antworten haben verschiedene Ebenen. Irgendwie werden Menschen dann doch immer wieder mit Katastrophen fertig. Warum eigentlich? Und: wie?

1. Abstand gewinnen

Abstand gewinnen bedeutet nicht automatisch Abwehren oder Verdrängen - auch das Dissoziieren als 'inneres Weggehen' ist ein Bewätigungsmechanismus, der eine Schutzfunktion hat und in bestimmten Zusammenhängen als einzige Chance übrig zu bleiben scheint. Im wesentlichen geht es um das Ziel, sich nicht völlig überwältigen zu lassen, die Handlungsfähigkeit zu bewahren bzw. wieder herzustellen.

2. Verstehen

Die Zusammenstellung von Dokumentationen zu den Themen Kernkraft und Tsunami folgt dem Gedanken, nach Erklärungen zu fragen, aber auch Erklärungen vermittelbar zu machen - dabei steht für 'ganz normal Sterbliche' weniger die wissenschaftliche Präzision im Mittelpunkt, eher die 'Fassbarkeit'. Eine Vorstellung von dem zu bekommen, was da eigentlich geschehen ist, macht es leichter, Erfahrungen einzuordnen und zu bewerten.

3. Rationalität

Als wissenschaftlich denkender Mensch halte ich nichts von religiösen Erklärungsmustern, die Naturkatastrophen als "Strafe Gottes" einordnen und dabei mehr zusätzliche Ängste erzeugen und damit die Bewältigung erschweren. Zur Rationalität gehört auch die Unterscheidung von kontrollierbaren und nicht kontollierbaren Aspekten - an den Prozessen im Innern der Erde können wir im Moment wenig ändern, am Umgang mit der Kernkraft dagegen sehr wohl.
Rational ist es, nach Möglichkeiten zu suchen, wie sich schwierige Situationen in den Griff bekommen lassen - der Einsatz um das AKW Fukushima folgt diesem Prinzip und ist (Kritik hin oder her) nicht nur bewunderswert, sondern auch Ausdruck funktionaler Angstbewältigung. Zu Recht, wie ich meine, bezeichnet man die 'Fukushima 50' als Helden, denn Angst haben sie gewiss. Aber Helden sind eben keine Menschen, die keine Angst haben, sondern solche, die ihre Angst überwinden und trotzdem etwas tun können.

4. Korrektur bisheriger Sichtweisen

 "Das hätte ich nie für möglich gehalten"... diesen Satz haben in den letzten Tagen wohl viele Menschen gedacht oder auch ausgesprochen. Angela Merkel ist dafür kritisiert worden, als sie sagte, es sei eine neue Lage entstanden. Versteht man 'Lage' als subjektive Repräsentation, dann hat sich sehr wohl für sehr viele Menschen die Lage verändert - auch dann, wenn es objektiv betrachtet keine grundsätzlich 'neuen' Risiken der Atomkraft gibt, Psycho-logisch ist das Moratorium der Kernkraftwerke auf jeden Fall - sie entspricht, salopp ausgedrückt, der Erfahrung, dass es Zeit braucht, sich auf Veränderungen einzustellen und dass dabei der je eigene Standpunkt vielleicht auf einer sehr grundsätzlichen Ebene neu überdacht werden muss. Auch dort, wo sich Sachverhalte nicht verändert haben, kann diese Überprüfung bisheriger Sichtweisen zu einer neuen Bewertung, einer neuen Situationseinschätzung führen.

5. Hoffnung und Optimismus

Was ich mit Hoffnung und Optimisums meine, ist keine "rosa Brille", sondern durchaus eine realitätsbezogene Einstellung, die ebenfalls eine rationale Grundlage haben kann. Wunder daeuern gelegentlich etwas länger und sind zur Begründung von Hoffnung und Optimismus nur bedingt geeignet. Nachdem es gelungen war, ein Stromkabel zum AKW in Fukushima zu legen, hatte das Prinzip Hoffnung wieder einen konkreten Anker - auch wenn von "vollständiger Kontrolle" nicht die Rede sein kann, zeigt sich die Begrenzbarkeit des Übels...

Ohnmacht und Hilflosigkeit legen passvies Abwarten nahe, für viele ist das tatsächlich auch die einzige Möglichkeit. Hoffnung beruht darauf, dass sich die Dinge nicht nur ändern, der Wind gelegentlich auch in die 'richtige Richtung' weht, sondern auch auf der Möglichkeit, etwas dafür zu tun, dass sie sich ändern. Optimismus ist immer dann angebracht, wenn es eine, sei es auch nur 'irgend eine' Handlungsmöglichkeit giibt, auch wenn ein ausgearbeiteter Katastophenplan fehlt.

6. Initiative

Das Prinzip Initiative scheint für Japaner weniger vertraut, es ist ein eher individuelles Prinzip, 'die Dinge in die Hand zu nehmen'. Dort, wo bestehende Strukturen zusammen gebrochen sind und eine stabile Struktur fehlt, wird Initiative aber ein wichtiges Prinzip, das Leben (wieder) in den Griff zu bekommen.

7. Normalität

Es mag kalt und verständnislos erscheinen, im Zusammenhang mit der Bewältigung von Katastrophen von Normalität zu sprechen. Für die obdachlos Gewordenen, die nicht nur ihre Felle, sondern auch Verwandte, Freunde und Bekannte davon schimmen sahen, ist nichts mehr normal. Trotzdem ist das lange Verharren in einem Schockzustand nicht hilfreich, die Bewältigung führt früher oder später zu einem ganz normalen Alltag zurück.

...soweit die Skizze. Mehr als ein Entwurf sollte es nicht sein.

*

Wie Tsunamis entstehen: Dokumentationsvideos


Dokumentationsfilm zur Entstehung von Tsunamis (45 min).


1. Teil





2. Teil





3. Teil





Kurzer Animationsfilm zum Zusammenhang von Erdbeben und Tsunamis


Kernspaltung: wie alles begann


Dokumentarfilm über die Entdeckung der Kernspaltung und die politischen Zusammenhänge zur Zeit des zweiten Weltkriegs (etwa 25 Minuten lang),


ZDF History - Die Entdeckung der Kernspaltung from cpucomplexx on Vimeo.
Die Entdeckung der Kernspaltung


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Freitag, 18. März 2011

Donnerstag, 17. März 2011

Katastrophenberichte können traumatisierend wirken

Die American Psychiatric Association hat soeben einen Text veröffentlicht, in dem es darum geht, mit Kindern über das Erdbeben in Japan zu sprechen. Die Bilder, die durch die Medien gehen, sind dramatisch - so etwas kann ganz schön mitnehmen, Ängste und Entsetzen auslösen.

Wenn man sich dann noch mit der Problematik auseinandersetzt, kann es leicht traumatisierend werden, vor allem dann, wenn man sich vorstellt, dass das alles gerade jetzt Realität ist. Es ist ja auch Realität! Dem Hinweis, dass es für Personen aller Altersgruppen traumatisierend wirken kann, folgt die Ergänzung, dass Kinder sich schwerer davon distanzieren können.

Die Tatsache, dass in Deutschland Jodtabletten gekauft werden und die Geigerzähler ausverkauft sind, spricht ebenfalls dafür, dass hier Angst und Panik um sich greifen, obwohl keine Gefahr besteht. Lebensmittel, die bereits vor längerer Zeit aus Japan importiert wurden, sind natürlich nicht radioaktiv verseucht und neue Importware wird geprüft.

Die APA weist zu Recht darauf hin, dass nicht alle Medien eine Warnung vorausschicken, wenn möglicherweise dramatische, traumatisierende Bilder folgen - so gesehen sind bereits die Nachrichten ein Problem, ebenso wie Fernsehsender, die den ganzen Tag lang immer wieder aus Japan berichten und die Bilder von hohen Wellen, verzweifelten Menschen und zerstörten Städten haufenweise über den Bildschirm rasen lassen. 

Vertraute Strukturen beibehalten und eben nicht das ganze Leben umkrempeln, das gibt Halt. Kinder (und Erwachsene, möchte ich ergänzen) brauchen Hilfestellung, das zu verstehen, was da geschieht. Wenn sie es wollen und bereit dazu sind. Und hier gibt es (da bin ich mir sicher) große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Regionen. In den USA gibt es an der Westküste eine andere Situation als im Osten, in Deutschland kann man sich im Landesinnern einen Tsunami kaum vorstellen - die Japaner dagegen wissen sehr wohl, was ein Tsunami ist und haben auch mehr Erfahrungen mit Erdbeben.

Auch die Erklärung, der Tsunami sei eine Strafe des Himmels, "weil die Japaner so selbstsüchtig sind", halte ich nicht gerade für eine glückliche Aussage - denn die Ursachen liegen im Innern der Erde, Erdbeben entstehen durch die Bewegung der Erdplatten und das hat nichts damit zu tun, dass die Japaner irgend etwas falsch gemacht hätten.

Florian Freistätter hat bereits darauf hingewiesen, dass die Berechnungen zum Weltuntergang (Daten addieren und dadurch auf das angebliche Ende der Welt kommen) unsinnig sind.

Aber zurück zu den Empfehlungen der APA - schreiben, malen, Musik machen - all das sind Möglichkeiten der Aufarbeitung, der Auseinandersetzung. Für 'uns' als diejenigen, die weit weg und nicht unmittelbar bedroht sind, sinnvoll, nicht dagegen in den Katastrophengebieten selbst. Dort geht es erstmal um das schlichte Überleben, um Unterkunft, Nahrung, Strom, Benzin usw. Die Aufarbeitung kommt dort erst später, wenn die körperliche Sicherheit gewährleistet ist.

Zum Schutz von Kindern aber auch von Erwachsenen kann ich die Empfehlung der APA nur dreimal dick unterstreichen: die Konfrontation mit diesen schrecklichen Bildern begrenzen und Kinder damit auf keinen Fall allein lassen!

Es ist schon schlimm genug.

Wer einigermaßen Englisch lesen kann, hier der Link zur APA: 

Echt sein: Authentizität als Lebenshaltung

Eine kleine Vorbemerkung: die folgende Darstllung zum Thema Authentizität ist eine Antwort auf Elmar Diederichs Artikel "Was ist Authentizität?".
Als Hintergrund für meine eigenen Überlegungen möchte ich auf meine Prägungen durch die humanistische Psychologie hinweisen - mit dem Begriff "Authentizität" verbinde ich schnell den Begriff "Echtheit", aber auch "Ehrlichkeit", und meine damit soviel wie "sich selbst und anderen nichts vormachen". Der Begriff "Transparenz" ist nicht sehr weit weg davon...
Aber jetzt zum Artikel von Elmar Diederichs.


Uff, ziemlich lang. Erstmal legt der Titel ja eine Begriffsklärung nahe, Frage also: was ist das eigentlich, Authentizität?

Aus dem Abschnitt zu Jean Paul Sartre lässt sich sein Definitionsansatz ableiten:

Authentizität ist eine Eigenschaft von Handlungen.

Aha. Okay, bisher hatte ich Authenzität stets auf Personen bezogen (war damit Sartre näher), insgesamt kann ich aber beiden Betrachtungsweisen etwas abgewinnen - und kann mir mit der Formulierung

'Authentizität kann sich auf Personen oder Handlungen beziehen'

ein umfassenderes Begriffsverständnis vorstellen, das beide Aspekte aufgreift. Auch jetzt taucht ein verwandter Begriff auf, 'Kongruenz' nämlich, im Sinne von 'in sich schlüssig'. Tue ich etwas, das mir nicht entspricht, das meinen Einstellungen zuwiderläuft, ist mein Handeln nicht authentisch, ich bin es aber auch nicht, weil das was ich tue, eben nicht zu meinen Einstellungen passt. Und wieder tauchen zwei verwandte Begriffe auf: Glaubwürdigkeit und Integrität.

All diese Dinge haben in meinem Kopf sehr viel mit Gesundheit zu tun, und deshalb, weil ich eben glaube, dass Authentizät als Lebenshaltung eine 'gesunde Sache' ist, scheint es mir auch wertvoll, über diese Begriffe nachzudenken.


Nun kommt bei Elmar Diederichs ein Hinweis auf Michael Kernis und Brian Goldman - und da musste ich erstmal stöbern, mit dem Ergebnis, einen weiteren Zusammenhang zu erahnen. In einer Studie aus dem Jahr 2007 ging es um die Frage, wie sich Unterschiede bezüglich Authentizität und Achtsamkeit (im Original: mindfulness) auf "verbale Defensivität" (im Original: verbal defensiveness) auswirken. Für diejenigen, die jetzt nur noch 'Bahnhof' verstehen, eine grobe Interpretation der Ergebnisse:
Authentizität und Achtsamkeit führen zu weniger defensivem Gesprächsverhalten - oder anders: "dort, wo ich mit mir selbst im reinen und achtsam bin, werde ich mich seltener verteidigen, kann offener und direkter auf andere zugehen".

Eine Anwendung dieser Interpretation auf die heutige Debatte im Bundestag zur Atompolitik spare ich mir an dieser Stelle... und komme zur Beschreibung im Artikel über Authenzität zurück, mit einem Zitat aus zweiter Hand (authentisch ist, wenn ich wenigstens angebe, WO ich abgeschrieben habe...):

Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden vier notwendige Bedingungen, die zusammen für Authentizität hinreichend sein sollen:
  • sich selbst zu erkennen
  • Ehrlichkeit in Bezug auf die eigenen Eigenschaften vor sich selbst
  • Treue zu den eigenen Prinzipien und Entscheidungen
  • Aufrichtigkeit in Bezug auf die eigenen Eigenschaften vor anderen

zitiert nach Diederichs, E. (2011).


Und jetzt bekomme ich echt ein Problem... da bleibe ich nämlich schon wieder hängen und fürchte, ich werde dem Anspruch, den gesamten Artikel durchzuackern, nicht gerecht werden können.

Also.... Selbsterkenntnis, klar, wie sollte ich wissen, was ich will, wenn ich mich selbst nicht kenne? In meiner Begriffswelt bedeutet das: ich brauche Einsichten in mein Selbst, um Handlungen ableiten zu können, die zu mir passen. Selbsterkenntnis ist damit auch ein Schritt, zumindest eine Voraussetzung für Authentizität. Ehrlichkeit in bezug auf die eigenen Eigenschaften...
auch da gibt es wieder ein Problem. Weniger aus theoretischen Gründen, eher aus praktischer Lebenserfahrung heraus - andere Menschen nehmen mich sehr unterschiedlich war und wenn es um bestimmte Eigenschaften geht, bleibt als tiefere Einsicht die Widersprüchlichkeit bestehen. Wenn ich manchmal 'so' und manchmal 'ganz anders' bin, wenn ich mich mal so und dann wieder ganz anders verhalte, wenn mich andere Menschen sehr unterschiedlich wahrnehmen, wie bin ich denn dann wirklich? Den Ausweg aus dem Dilemma finde ich nur über eine interaktionistische Persönlichkeitstheorie, über die Vorstellung, dass Persönlichkeitsmerkmale unterschiedlich ausgeprägt sein können und sich je nach Situation unterschiedlich zeigen können. Veränderbarkeit, der Umstand, dass ich in verschiedenen Situation eben nicht immer dieselben Schwerpunkte setze, also 'mal so mal so' sein kann, dass ist eben, wenn ich ehrlich bin, auch ein Stück von mir. Und damit komme ich wieder zu einem neuen Begriff: Kohärenz nämlich, den ich (aus einer psychologischen Perspektive) ebenfalls als Element psychischer Gesundheit ansehe und (aus einer philosophischen Perspektive) hochinteressant finde. Wie behalte ich in einer sich rasch wandelnden Welt, die mich selbst natürlich nicht unverändert lässt, das Gefühl dafür, doch irgendwie noch 'derselbe' zu sein?
Noch schwieriger wird es, wenn es um die 'Treue zu den eigenen Prinzipien und Entscheidungen' geht.

Ganz ehrlich: meine Prinzipien haben sich im Laufe meines Lebens immer wieder verändert, so manche Entscheidung hat sich als nicht besonders klug herausgestellt und aus mancher Erfahrung habe ich die Konsequenz gezogen, irgend etwas beim nächsten Mal anders zu machen. Ehrlich, ehrlich hätte ich es gefunden, wenn mal jemand gesagt hätte, "die Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke war ein Fehler, wenn ich mir ansehe, was da in Japan passiert... das hätte ich nicht gedacht, diese Entscheidung muss revidiert werden und dafür genügt kein Moratorium, dafür brauchen wir ein neues Gesetz." Das hat etwas mit Ehrlichkeit zu tun, aber auch mit Aufrichtigkeit: zugeben zu können, Menschen machen nun mal Fehler, Menschen können sich irren, können Sachverhalte falsch einschätzen, aufgrund neuer Erfahrungen und Erkenntnissen zu ganz anderen Einschätzungen gelangen und daraus natürlich auch andere Schlussfolgerungen ableiten.

Ein Satz von Karl Raimund Popper scheint mir gerade jetzt sehr treffend: "Lasst Theorien sterben und nicht Menschen".
Bloss keinen Fehler zugeben, immer perfekt sein wollen, sich zumindest so darstellen, als ob alles unter Kontrolle und in bester Ordnung wäre... das ist krank.
Authentizität, das ist auch: Mut zur Unvollkommenheit.

Und jetzt... ist der Artikel schon so lang geworden, dass ich erstmal eine Pause brauche. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung?

*

Mittwoch, 16. März 2011

Tsunami rollt über die Atomindustrie

Eine vorsichtige Prognose… als Übung gewissermassen.

Erste Annahme: Fukushima löst eine weltweite Orientierungsreaktion aus – früher oder später werden alle Nationen darüber nachdenken, ob ein weiterer Betrieb von Atomkraftwerken ethisch verantwortbar, politisch durchsetzbar und grundsätzlich ökonomisch ist.

Zweite Annahme: die Diskussion in Deutschland wird weltweit einen Welleneffekt auslösen – auch hartnäckige Befürworter werden sich zwingenden Einsichten nicht verschließen können. Im Kern ist das eine bereits bekannte Tatsache: Atomkraft ist gefährlich, Katastrophen sind nicht hundertprozentig zu vermeiden und wenn sie geschehen, extrem schwer, wenn überhaupt, in den Griff zu bekommen. 

Dritte Annahme: Aussagen, die sich gut begründen und mit Fakten belegen lassen, haben eine hohe Überzeugungskraft. Im Interesse des eigenen Überlebens werden Gesellschaften rund um den Erdball nachhaltigeren und weniger gefährlichen Technologien den Vorzug geben. 

Vierte Annahme: eine Weiterentwicklung der Reaktortechnologie ist möglich und die Atomindustrie wird darauf setzen – die Zweifel an der Beherrschbarkeit der Atomkraft sind aber so groß, dass eine echte Renaissance der Atomkraft eher unwahrscheinlich ist. 

Fünfte Annahme: dort, wo es vernünftig denkende Menschen gibt, wird sich früher oder später eine bessere Lösung auch durchsetzen können. 

Sechste Annahme: bei allem Unglück ist die Situation in Japan mit Erdbeben, Tsunami und dem zerstörten Kernkraftwerk Fukushima eine große Chance, grundsätzliche Fragen neu aufzuwerfen, Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. 

Siebte Annahme: die Vorstellung, die Natur könne jemals vollständig beherrscht werden, ist eine Illusion. Kontrolle ist stets relativ, absolute Sicherheit gibt es nicht, Demut und Respekt vor den nicht kontrollierbaren Zusammenhängen eine überlebensnotwendige Grundhaltung.

*

Kaiserlicher Trost

Es passt gut zu meinen Vorstellungen von Unterstützung bei der Bewältigung von schwierigen Situationen: die Ansprache des Kaisers in Japan, von der unter anderem die Financial Times Deutschland berichtet. Die wahre Bedeutung des Kaisers in Japan ist mir zwar wenig vertraut, aber soviel konnte ich den Medien entnehmen: es ist eine Seltenheit, dass er sich überhaupt meldet. Er habe Mut zugesprochen, hieß es in den Texten, aber wenn er wirklich eine wichtige Figur ist, bedeutet schon die schlichte Anwesenheit sehr viel. Aus einer rationalen Perspektive scheint es viel wichtiger, konkrete Hilfe zu leisten, Gefahren einzudämmen und alles zu tun, damit sich die Lage normalisieren kann und Schlimmeres verhindert wird. Betrachtet man die Gefühlslage, steht ein anderes Erfahrungsmoment im Vordergrund, das wesentlich stärker zur Angstreduktion beitragen kann - die schlichte Erfahrung, nicht allein zu sein. Da ist jemand. Ich bin nicht allein gelassen. Da kümmert sich jemand um mich. Ganz anders als bei Politikern kann ihm niemand vorwerfen, er wolle sich nur über die nächste Wahl retten oder verfolge irgendwelche politischen Interessen. Der Kaiser ist, wenn ich das richtig deute, eine Vaterfigur, eine stabilisierende Komponente in der inneren Situation seiner Landsleute.

Es gibt noch eine Komponente, von der ich glaube, dass sie eine große Rolle bei der Bewältigung der aktuellen Situation spielt: die Tradition und die Geschichte, sehr wohl mit Blick auf Hiroshima und Nagasaki, einschließlich der Erinnerungen an das Ende des zweiten Weltkrieges. Die Tradition vermittelt die Einbettung in große zeitliche Zusammenhänge, die Geschichte ist eben auch eine Geschichte des Wiederaufbaus, eine kollektive Erfahrung, die das Überlebenkönnen und Wiederaufbauen bewusst zu machen vermag. Die Geschichte stellt der Ohnmacht des Schicksals die Macht des Handelns in der Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft gegenüber. Es ist absehbar, was daraus werden wird - zunächst das Bemühen, die elementaren Voraussetzungen wieder herzustellen und das Zerstörte wieder aufzubauen. All das bringt das Weggespülte nicht zurück und macht die Toten nicht mehr lebendig, aber es lindert den Schmerz.

Die Voraussetzungen sind zwar gegeben, dass es in Japan zu posttraumatischen Belastungsstörungen in enormem Ausmass kommt, zwingend ist es aber nicht. Vielleicht gelingt über die pragmatische Orientierung an der Gegenwart hinaus der Blick nach vorn, der die Erfahrung ermöglicht, dass es trotzdem weiter geht - und Angst eine zwar schlimme, aber zu überwindende, zeitlich begrenzte Gefühlsqualität ist. So sehr sie auch bebte, irgendwann kommt die Erde wieder zur Ruhe und lässt der Neugestaltung Raum.

*

Ängste in Deutschland und Japan, Atomkraft und Angstbewältigung

Die Erkenntnisse aus meinen Recherchen kurz zusammengefasst:
 
  • In Deutschland gibt es keine erhöhten Strahlungswerte, gemessen wird ständig, (Informationsquelle: Bundesamt für Strahlenschutz).
  • Jodtabletten zu nehmen ist deshalb nicht sinnvoll, eher schädlich. 
  • Auch ohne Atomkraftwerke kann Deutschland genug Energie produzieren - wir brauchen sie nicht.

Kommentar von meiner Seite:

Wer Atomkraftwerke als "sicher" bezeichnet, lügt. Sicherheit ist ein relativer Begriff, selbst bei höheren Sicherheitsstandards ist das 'Restrisiko' eben nicht zu beherrschen. Vernünftige Entscheidungen zu treffen bedeutet, nicht nur die Wahrscheinlichkeit, sondern auch das Ausmass einer möglichen Katastrophe zu berücksichtigen. Nachhaltig wirksam können politische Entscheidungen nur dann sein, wenn sie langfristige Wirkungen und Nebenwirkungen mit einkalkulieren. Vor allem dann, wenn wir ohne größere Probleme auf Atomkraftwerke verzichten können, sollten wir das auch tun. Und das so schnell wie nur irgend möglich.

Die Konsequenzen, die aus einem Reaktorunfall entstehen, sind gravierend:
- körperliche Krankheiten durch Strahlenschäden,
- psychische Störungen und Traumata, aber auch
- hohe Folgekosten durch die Notwendigkeit, langfristig strahlende Reaktoren notdürftig abzusichern.

Bei allem Unglück ist die gegenwärtige Situation auch eine Chance, Realitätsverzerrungen und Illusionen aufzudecken und davon Abstand zu nehmen. Bedauerlich, aber menschlich ist der Umstand, dass oft erst Kontrollverlust, hervorgerufen durch eine Katastrophe, zum Umdenken führt. Dabei scheint vieles, was jetzt als "neue Erkenntnis" dargestellt wird, keinesfalls neu - es war schon bekannt, wurde aber aus irgenwelchen Gründen verheimlicht, verharmlost, politischen oder wirtschaftlichen Interessen geopfert.

Bei allem Respekt vor der Vernunft brauchen wir auch Empathie, um nicht nur vernünftige, sondern auch menschliche Entscheidungen treffen zu können. Überall dort, wo es um den Einsatz potentiell gefährlicher Technologien geht, sind ethische Fragestellungen unverzichtbar - gleichzeitig müssen wir anerkennen, dass wir nicht tief genug blicken können, weder ins Erdinnere hinein noch in die menschliche Psyche. Das, was im Verborgenen geschieht, lässt sich eben nicht exakt vorhersehen, nicht prognostizieren und nicht beherrschen.

Die Tendenz geht deutlich weg von der Atomkraft, hin zu erneuerbaren Energien. Das ist ein Weg, der sich gehen lässt, wenn wir das wollen. Wenn es funktoniert, werden vielleicht auch andere Länder erkennen, dass es bessere, menschlichere Möglichkeiten gibt.

Ich möchte noch einmal auf ein Prinzip, das mir für den Umgang mit Ängsten wichtig geworden ist: verwandle Angst in Fürsorge und Vorsorge. Die Angst vor Erdbeben, Tsunami und radioaktiver Strahlung ist in Japan eine reale Angst - Fürsorge und Vorsorge sind nur dort möglich, wo sich etwas tun lässt. Dort, wo wir ohnmächtig sind, ist es eine Frage der Vernunft, diese Ohnmacht auch zu erkennen, gerade dort nun wirklich "ohne Tabus" zu diskutieren. Dort aber, wo Entscheidungen möglich sind, bedeutet Vorsorge auch, unkalkulierbare Risiken zu vermeiden - und Fürsorge, das Schicksal und die Situation Einzelner in aller Deutlichkeit zur Kenntnis zu nehmen.
So gesehen ist Empathie ein notwendiger Bestandteil politischer Vernunft.

Kaum beachtet scheint mir in den Medien die Frage, wie Kommunikationsprozesse verlaufen sind und welche Konsequenzen diese Prozesse für die Psyche der Menschen haben. Ein kollektives Trauma, eine kollektive Panikstörung - das ist ein Aspekt, der hinter der sachbetonten Berichterstattung zurückbleibt. Zu wenig wird die Frage gestellt, wie viele Einzelne den Boden unter den Füßen wieder gewinnen können, zu wenig Energie fließt in die Bemühungen, den menschlichen Aspekt zu berücksichtigen und die Potentiale zur Überwindung der traumatischen erfahrungen zu fördern.

Hier in Deutschland ist das alles kaum vorstellbar - klar ist mir nur, dass ich wesentlich besser mit Gefahren umgehen kann, die in irgendeiner Form greifbar, erkennbar, abschätzbar sind. Vor einer Welle kann ich weglaufen, wenn es wackelt, kann ich immerhin nach Möglichkeiten suchen, mich irgendwo festzuhalten, mich auf den Boden setzen und eine geeignete Stelle suchen, damit mir nicht irgend etwas auf den Kopf fällt. Wenn es um Strahlung geht... ohne Geigerzähler kann ich nichts erkennen, die Handlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Wenn ich keine Ahnung habe, wie schlimm es wirklich ist... wirkt Desinformation angstverstärkend.

Bei Facebook gibt es eine Seite "Japan - in Gedanken sind wir bei Euch".

Ein Hinweis auf einen Artikel auf ntv zeigt das Problem in aller Deutlichkeit: Angst und Unmut wachsen, weil es nicht genügend Informationen gibt. Aus einer psychologischen Perspektive ist das fatal - denn gerade jetzt sind Maßnahmen notwendig, Vertrauen zu stabilisieren, Kräfte zu wecken und zu stärken, die eine Bewältigung der Situation möglich machen. Stattdessen weiß niemand etwas Genaues und gerade dann wird aus dem Zustand der Angst heraus schnell das Allerschlimmste befürchtet - und die Angst wächst. Wenn der Schock nachlässt und die Kräfte schwinden, eine ruhige, disziplinierte Haltung aufrechtzuerhalten, werden diese Ängste durchbrechen. Genau dann kommt es darauf an, Wege zu finden, wie sich Angst überwinden lässt, genau dann sind Verlässlichkeit, Solidarität und Rückhalt, Vetrauen und Zuversicht notwendig. Die Frage der Angstbewältigung scheint aber niemanden zu interessieren... bleibt das Individuum in der politischen Diskussion auf der Strecke? 

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Dienstag, 15. März 2011

Erdbeben und Atomkraft

Kann man Erdbeben voraussehen? Wie entstehen sie eigentlich und welche Konsequenzen haben sie? Könnten Atomkraftwerke sicherer sein, wenn Erdbeben besser prognostiziert werden?

Eine kurze Vorbemerkung sei gestattet: es geht mir im Moment nur um Fakten, dahinter steht aber noch das Anliegen, in der gegenwärtigen Diskussion eine nüchterne Perspektive darzustellen, die nach der rationalen Grundlage der durchaus verständlichen Ängste fragt.

Liegt es an der Position der Sterne, hätte also ein Astrologe das Erdbeben in Japan voraussehen können? Auf die Idee, so eine Frage zu stellen, wäre ich selbst nicht gekommen, aber dass ein 'Astrologiefan' wie Florian Freistätter sich mit dieser Frage beschäftigt, ist nicht verwunderlich. Auf den Artikel zum Erdbeben in Haiti verweise ich hier nur...

In den Medien wurde in den letzten Tagen oft genug davon berichtet: Ursache für Erdbeben sind die Bewegungen der Erdplatten und besonders kritisch wird es da, wo mehrere Platten aufeinander treffen. Das bedeutet erstmal, dass die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben mit einer Stärke von 8,9 mitten auf einer Platte ziemlich gering ist. Aber heißt das nun, dass die Atomkraftwerke in Deutschland eben doch sicher sind und ein GAU oder Super-GAU in Deutschland überhaupt nicht passieren kann? Nein. Nachdem es bereits mehrere Unfälle in Atomkraftwerken gegeben hat, kann von absoluter Sicherheit keine Rede sein.

Ob das nun als Wahlkampftaktik eingestuft wird oder nicht – der Ansatz, die Sicherheit von Atomkraftwerken genauer unter die Lupe zu nehmen und alle AKWs, die nicht benötigt werden, abzuschalten, hat seine Rationalität. In China und Japan scheint man die Dinge anders zu sehen, andererseits war in manchen Artikeln zu lesen, die Sicherheitsvorschriften in Japan seien wesentlich strenger als bei uns. Gut genug waren sie trotzdem nicht – und die Vorwarnzeit für den Tsunami war viel zu kurz, um wirksame vorbeugende Maßnahmen treffen zu können.

Damit komme ich zur Frage, wie es um die Frühwarnsysteme bestellt ist...

Einen Artikel dazu schrieb die FAZ am 11.März 2011 – dort wird beschrieben, das Frühwarnsystem hätte gut funktioniert und bereits nach 9 Minuten erste Warnmeldungen bereit gestellt. Zugestanden, ohne das System wäre manches noch schlimmer gewesen, aber in Anbetracht der Bilder und der Opfer in Japan ist das ein schwacher Trost. Die simple laienhafte Schlußfolgerung lautet, dass es wohl nicht so einfach ist, Erdbeben und Tsunamis längerfristig vorauszusehen – die Frage, ob sich solche Frühwarnsysteme verbessern lassen, liegt nahe.

Ein Artikel der Uni Potsdam stimmt da skeptisch: die Erde bebt, wann sie will, Schadensbegrenzung ist möglich, aber so wie es aussieht, sind Erdbeben eben nicht langfristig prognostizierbar.  
Eine Darstellung des Tsunami-Frühwarnsystems im Pazifik findet sich in einem Artikel der ZEIT. Das Kernproblem kommt auch hier zum Ausdruck: viel Zeit bleibt selten.

So, jetzt trete ich mal gewissermassen einen Schritt zurück und frage mich, wie vernünftig das eigentlich ist, in einem Erdbebengebiet überhaupt ein Atomkraftwerk zu bauen. Und dann noch an der Küste. Alles was mit Elektronik zu tun hat, reagiert in der Regel nicht besonders begeistert auf Erschütterungen, Hitze und Wasser. Dass in einem solchen Fall alles Mögliche ausfällt, das ist auf jeden Fall vorhersehbar. Wer seine Sinne einigermaßen klar beisammen hat, muss also erkennen, dass in bestimmten Regionen ein erhebliches Risiko besteht, dass es früher oder später zu einer Katastrophe kommt. Und jetzt träume ich mal ein bisschen... steht dort eine Solaranlage oder ein Windrad, gehen vielleicht Solarzellen kaputt oder ein Windrad stürzt um. Schaden entsteht dann auch... aber das ist, wenn es um Menschenleben geht, kein Vergleich zur Gefahr radioaktiver Strahlung.

In Japan kommt noch ein weiteres Problem hinzu: ob und wie genau die Öffentlichkeit über Folgeschäden unterrichtet wird, hängt vom Kraftwerksbetreiber ab. Fukushima I... ist außer Kontrolle geraten und Naoto Kan ist sauer. Nun kann man sich darüber streiten, ob genaue Informationen Panik auslösen würden – aus der Sicht betroffener Bürger steht aber meiner Ansicht nach das Informationsbedürfnis im Vordergrund. Dass der Ministerpräsident aus erster Hand informiert sein möchte, kann ich gut verstehen, trotz des Einwands auf Twitter...


Eine kurze Zwischenbilanz...: Frühwarnsysteme lassen sich bestimmt noch verbessern, aber sie sind im Moment zumindest nicht gut genug, um umfangreiche Vorbereitungen möglich zu machen. Erdbeben und Tsunamis lassen sich nicht wirklich vorhersehen, kontrollieren auch nicht.

Ob es möglich wäre, eine Kernschmelze zuverlässig zu verhindern, wenn eine Vorwarnzeit von mehreren Stunden erreichbar wäre, ist eine schwierige Frage – sie ist aber auch rein hypothetisch. Dass es Naturkatastrophen gibt, denen wir nichts entgegenzusetzen haben, ist eine Sache – das müssen wir akzeptieren, ob es uns nun gefällt oder nicht. Aber darüber hinaus das Risiko von Strahlenschäden einzugehen, das ist ein ganz anderes Thema.

Ganz nüchtern: die Aussage, Atomkraftwerke seien sicher, ist und war schon immer falsch.

Tschernobyl ist lange her... bei You Tube habe ich ein Video ausgegraben, das den Reaktor 20 Jahre später zeigt, also im Jahr 2006.




Schlußfolgerungen? Bitte selbst nachdenken, dazu gehört auch die Frage, ob es ein 'Missbrauch der Katastrophe' ist, wenn neu über Atomkraft nachgedacht wird. Auf einen Artikel aus den Scienceblogs möchte ich noch verweisen, dort sammelt Jörg Rings Quellen zum Fukushima-Kraftwerk-Störfall.

Sachlich und nüchtern zu bleiben ist schwer genug...


Montag, 14. März 2011

Zoominami - die Traumakuppel

Irgendwann im Jahre 2050 betrat ich diese seltsame Kuppel, die aussah wie eine Halbkugel. Mit einer konkreten Frage war ich auf Orbital Alpha angekommen und fühlte mich von diesem als "Traumakuppel" überschriebenen Raum angezogen. Wann ist ein Erlebnis ein traumatisches Erlebnis? Vor allem aber: wie werden Menschen mit traumatischen Erlebnissen fertig? Die Ereignisse in Japan im März 2011 erinnerten mich an einen Abschnitt im ICD-10... das war für viele eine Situation, "die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde." Gleichzeitig fragte ich mich, ob die Medien in dieser Situation wirklich hilfreich gewesen waren oder in so manchem Fall die Traumatisierung eher verschlimmert hatten. Die Kuppel war von mattem Licht erhellt, in der Mitte stand eine Konsole, mit der ich allerdings nichts anzufangen wusste. Diese Schriftzeichen... konnte ich nicht entziffern. "Sie gestatten?", sprach mich jemand von hinten an. "Mein Name ist Zoominami. So nennt man mich, seitdem ich diese Kuppel gebaut habe. Sie ist für meine Landsleute gebaut worden, sollte ihnen helfen, mit den Erlebnissen nach dem Tsunami fertig zu werden." "Und - war sie hilfreich?", fragte ich zurück. "Sie war. Sie ist. Immer wieder kommen Leute hierher, nicht nur um eigene Erfahrungen aufzuarbeiten, auch um aus der Geschichte zu lernen." "Diese Bezeichnung... erinnert mich an 'Zoom'..." - "Das ist Absicht. Es liegt nicht nur daran, dass in Japan Kameras hergestellt werden... Es ist ein Bild dafür, bestimmte Dinge näher zu beleuchten, den Abstand herzustellen, ihn je nach Belieben vergrößern und verkleinern zu können. Sehen Sie... wenn Sie plötzlich zusehen müssen, wie ihr Haus weggerissen wird, wenn alles, was Sie sich mühsam erarbeitet haben, einfach so verschwindet, zerstört, überschwemmt wird... da wird es ziemlich schwer, ruhig und gelassen zu bleiben. Sie zeigen es vielleicht nicht, lächeln vielleicht sogar, weil Ihnen Freundlichkeit beigebracht wurde. Im Innern aber... spült die innere Welle Ihr ganzes Leben weg. Und dann... brauchen Sie eine andere Perspektive, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen."

Zoominami drückte auf eine Taste... und plötzlich schien alles zu wackeln. Die Bilder kannte ich, die Darstellung war sehr realistisch und simulierte das Erdbeben. Unwillkürlich setzte ich mich auf den Boden und fühlte mich trotzdem nicht sicher... nach wenigen Minuten schaltete Zoominami die Demonstration wieder ab. "Wie geht es Ihnen?", fragte er. "So etwas habe ich noch nie erlebt..", war meine Antwort. Und auch das kam mir bekannt vor - und machte mich nachdenklich. "Wenn nun jemand hierherkommt und diese Bilder, diese Erfahrung noch einmal machen kann... wirkt das dann nicht wie eine Retraumatisierung, die alles noch schlimmer macht?". "Möglicherweise. Es ist wichtig, sorgfältig auszuwählen, welche Programmbestandteile aktiviert werden. Ein grundsätzliches Anliegen ist das Bemühen um den richtigen Abstand, die Balance zwischen Erinnern und Ablenken - und das Bemühen um die Überwindung der emotionalen Grunderfahrungen, die mit diesem Erdbeben verbunden sind." Ich dachte nach, was er wohl damit meinte. Soweit ich mich da hineinversetzen konnte... Ohnmacht kam mir als erstes in den Sinn, Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Ohnmacht gegenüber den Naturgewalten, aber auch die Zerstörung von Illusionen, einem Gefühl von Sicherheit, das durch eine solche Erfahrung nachhaltig zerstört wurde. Das alles hätte ich gern mit Zoominami besprochen, aber er hatte längst eine andere Taste gedrückt. Und jetzt... stand ich in einer kleinen Sporthalle, der Boden begann leicht zu wackeln.
"Das Gleichgewicht wieder finden. Balance herstellen...", das war alles, was er mir an Hinweis gab. Mir dämmerte langsam, worauf er hinauswollte... ich sollte die Erfahrung machen, dass ich das Gleichgewicht immer wieder neu finden kann, mir selbst das Gefühl von Sicherheit wieder erarbeiten konnte.

Das alles musste ich erstmal verdauen... insgesamt waren kaum zehn Minuten vergangen, schätzungsweise.
"Das genügt für heute", meinte Zoominami. "Solche Erfahrungen brauchen Zeit, bis man sie verdaut hat." - "Fragen die Menschen, die hierher kommen, nicht immer wieder nach dem 'Warum'?", wollte ich nun wissen. "Manche ja... und nicht alle finden eine Antwort, mit der sie leben können. Dann helfe ich gelegentlich etwas nach." "Und wie? Ich meine... was ist Ihre Antwort?"
"Nach langem Nachdenken bin ich zu einer einfachen Antwort gekommen. Es liegt daran, dass die Erde ein lebender Planet ist. Ständig bewegt sich etwas. Und dabei geschehen Dinge, die aus einer globalen Perspektive im Grunde ganz normal sind, auch wenn sie für viele Einzelne eine Katastrophe bedeuten. Und das... nimmt dem Leiden den Schrecken nicht ganz weg, aber es hilft, Abstand zu gewinnen. Zu erkennen, dass das Leben weiter geht, was auch immer geschieht."

Bewundernswert, irgendwie. Unbehaglich war mir trotzdem zumute. Wer fragt schon danach, wie man mit so einem Erlebnis fertig wird?

*




Organ Rhythm

Schaade... drop.io gibt es nicht mehr. Damit ist viel Arbeit verlorengegangen und meine Methode, einen Player einzubauen und damit eigene Werke vorzustellen, funktioniert nicht mehr.

Das Projekt "theradio", von dem ich kaum jemand etwas erzählt hatte, ist damit ebenfalls gescheitert. Aber... irgendwie geht doch etwas. Auf jeden Fall sind nach der Überwindung gewisser technischer Probleme, die mit einer zerkratzten Programm-CD zu tun hatten, wieder musikalische Bastelarbeiten in Planung. Und - bis ich bessere Lösungen gefunden habe, möchte ich ein aktuelles Stück als Link hier einbauen. Die Methode funktioniert über eine Dropbox.

Organ Rhythm ist der Arbeitstitel, die Ausarbeitung noch nicht ganz fertig. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere angeregt, ein Instrument zu schnappen und eine Melodie dazu zu improvisieren. Die anderen... können horchen oder auch nicht.

Jetzt interessiert mich natürlich, ob die Datei auch abrufbar ist... Bitte um Rückmeldungen!


... 

Mittwoch, 9. März 2011

Depression, Angst und körperliche Beschwerden

Wenn jemand sagt, "mir geht es gut", dann kann das im Prinzip mehreres bedeuten. Vielleicht bedeutet es, "ich fühle mich gut", vielleicht auch "ich bin körperlich fit". Oder auch beides. Nehmen wir an, das ist nicht der Fall und ein Arztbesuch ist fällig. Erzählen die Leute dann mehr körperliche Beschwerden, wenn es ihnen auch psychisch nicht gut geht? Tut mehr weh, gibt es mehr oder stärkere Schmerzempfindungen, wenn die Psyche angeknackst ist?
Da könnte durchaus ein Zusammenhang bestehen... irgendwie scheint das auf der Hand zu liegen.

Depressionen und Angst haben tatsächlich einen Einfluss darauf, wie ausgeprägt die Symptome sind, die beim Arztbesuch berichtet werden. Allerdings auf unterschiedliche Art:
Depressive berichten mehr Beschwerden aus der letzten Zeit, erinnern sich also stärker an unangenehme Körperempfindungen - vielleicht sogar mehr als tatsächlich vorhanden waren.
Ängstliche dagegen sind stärker an der Gegenwart orientiert und interpretieren unklare Körpersignale schneller als Hinweis darauf, dass irgend etwas nicht in Ordnung ist.


Eine Grundsatzfrage dabei ist, wie eine Beurteilung möglich sein soll, ob jemand mehr Symptome berichtet als tatsächlich vorhanden sind oder waren - und dazu ist ein Blick auf die Methode nötig, mit der die Zusammenhänge untersucht wurden.

Erster Teil der Studie: 144 Studenten wurden befragt, sollten das Ausmass ihrer depressiven Stimmungen einschätzen, anschließend bei 15 körperlichen Symptomen angeben, wie häufig diese in den letzten 3 Wochen aufgetreten waren.
Das Ergebnis: ein höheres Mass an depressiven Verstimmungen korreliert mit mehr körperlichen Symptomen. Anders: wer "mies drauf" ist, dem geht es auch körperlich schlechter.

Zweiter Teil der Studie: 125 Studenten wurden in verschiedenen Gruppen eingeteilt, dann wurden verschiedene Gefühlszustände angeregt - Ärger, Angst, Glück, Depression oder "neutral". Anschließend wurden 24 körperliche Symptome abgefragt (Schwäche bzw. Erschöpfung, Herzbeschwerden, Muskelschmerzen und Magenbeschwerden) - verbunden mit der Gegenwart, also ob sie jetzt gerade vorhanden sind.
Die Versuchspersonen aus der Angstgruppe berichteten dabei mehr körperliche Symptome als die anderen.

Ein Einwand: könnte es nicht sein, dass gerade das Auslösen von Angst zu körperlichen Symptomen führt, der zweite Teil also nichts anderes bedeutet, als selbstversteckte Ostereier gefunden zu haben? Bei Herzbeschwerden wäre das nachvollziehbar, bei Erschöpfung allerdings nicht - wenn es also generell zu mehr Beschwerden kam (und nicht nur jenen Effekten, die für Anstzustände typisch sind), dann scheint doch etwas dran zu sein.

Dritter Teil: 120 Studenten wurden ähnlich wie im zweiten Teil in unterschiedliche Stimmungszustände versetzt. Diesmal wurden gegenwärrtige UND vergangene Symptome abgefragt. Im Durchschnitt beschrieben die Ängstlichen fünf Symptome zum gegenwärtigen Zeitpunkt, die anderen Gruppen nur eins oder zwei. Die Depressiven erinnerten sich an durchschnittlich 7 Symptome aus den letzten 3 Wochen, die anderen Gruppen im Schnitt drei.

Die Forscher sind sich dessen bewusst, dass diese Ergebnisse auch problematische Schlussfolgerungen nahelegen können. Sinngemäß könnte daraus im ärztlichen Kopf werden, dass Depressive und Ängstliche eben gern mal übertreiben, entweder für den Moment oder in bezug auf die letzte Zeit. Damit, so ihr Vorschlag, lässt sich aber auch vorsichtiger umgehen - entweder, indem Angehörige ebenfalls gefragt werden oder mithilfe eines Tagebuchs, in dem die Patienten ihre Beschwerden aufzeichnen. Einen zweiten kritischen Punkt greifen sie ebenfalls auf: das Alter der Studenten, das die Übertragung auf die Patientenschaft in einer Arztpraxis fragwürdig erscheinen lässt. Eine weitere geplante Studie soll sich deshalb mit Älteren beschäfigen, um herauszufinden, ob der Effekt auch bei einer Altersgruppe um die 40 auftritt.

Bleibt als vorsichtiges, aber immerhin plausibles Resumée: körperliche Beschwerden werden durch psychische Beschwerden wie Depressionen oder Angst beeinflusst. Auf unterschiedliche Art.

Quelle:

Science Daily


Die Studie im Original:
M. Bryant Howren, Jerry Suls. The symptom perception hypothesis revised: Depression and anxiety play different roles in concurrent and retrospective physical symptom reporting.. Journal of Personality and Social Psychology, 2011; 100 (1): 182 DOI: 10.1037/a0021715
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