Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Montag, 26. September 2011

Persönlichkeitsdiagnostik: Probleme und Trends

Persönlichkeit: was ist das eigentlich?
Im Alltag werden manche Menschen als 'Persönlichkeit' bezeichnet, andere wiederum nicht, was bedeuten würde, dass es manche 'haben' oder 'sind', andere eben nicht. So unterschiedlich die Vorstellungen in der Psychologie auch sind, was denn nun mit Persönlichkeit gemeint ist, so grundsätzlich scheint doch der gemeinsame Nenner zu sein, dass alle Menschen Persönlichkeit 'haben' und - das es eben auch Persönlichkeitsstörungen gibt, die allerdings als therapeutisch schwerer zugänglich gelten. In einer Zeit, in der es schnell gehen muss, Therapieplätze rar sind und die Krankenkassen immer mehr in Geldnot geraten (ich meine jetzt zunächst die Krankenkassen in Deutschland), geraten Persönlichkeitssörungen leicht in den Hintergrund.
Nichtsdestotrotz gibt es Überlegungen zu einer Revision diagnostischer Kriterien. Zumindest in Amerika, und darüber möchte ich jetzt berichten.
Worum es geht? Zunächst einmal gibt es mehrere Diagnosesysteme, in Deutschland scheint das ICD-10 (Im Original: International Classification of Diseases) am häufigsten verwendet zu werden, daneben existiert noch das DSM, zu erwähnen ist auch das ICF, das sich aber schwer durchsetzen kann, weil es ziemlich kompliziert ist.
Das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) existiert im Moment in der vierten Fassung, in der neuen (also der fünften) sollen die Kriterien für Persönlichkeitsstörungen überarbeitet werden. Die Überlegungen dazu sind eine gute Gelegenheit, grundsätzliche Fragen neu zu stellen:

Was ist Persönlichkeit eigentlich?
Sind 'Schubladen' sinnvoll, also klare Kategorien, 
die die einen als 'normal', andere dagegen als 'gestört' bezeichnen?

Eine typische Vorgehensweise in der Psychodiagnostik ist die Beurteilung anhand mehrerer Kriterien, von denen in der Regel mindestens drei oder fünf eindeutig erfüllt sein müssen, um eine bestimmte Diagnose stellen zu können. Immerhin: wenn bestimmte Auffälligkeiten nicht stark genug sind, bietet sich als Zwischenstufe die Persönlichkeitsakzentuierung an, die eine grundsätzliche Auffassung bereits andeutet: die Vorstellung nämlich, dass Persönlichkeitsmerkmale mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Damit bleibt immer auch eine Grauzone bestehen, in der man sich darüber streiten kann, ob dieses oder jenes bereits als 'krank' bezeichnet werden sollte oder nicht. Zwei Klassen von Kriterien sind von Bedeutung, wenn es um die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung geht:
funktionale Störungen im Bezug zu sich selbst und anderen (das war erstens) und zweitens um krankhafte Persönlichkeitszüge.

Nur so ganz nebenbei steckt in alledem natürlich immer auch eine Vorstellung von dem. was 'normal' oder 'gesund' ist. Und: die Idee, dass Störungen Leiden verursachen, dass der oder die Betreffende (oder Betroffene) an irgendetwas leidet, hier: an sich oder anderen, vielleicht auch an sich UND an anderen. Zwingend ist das aber nicht - dass (von außen betrachtet) eine Störung vorliegt, muss nicht auch bedeuten, dass diese Störung subjektiv auch Leiden verursacht, also die Person selbst stört.

Ein Vorschlag zur Revision der Kategorien des DSM betrifft die
 "nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung", die auch im ICD-10 existiert (als F 60.9). Besonders hilfreich sind solche Diagnosen nicht, im Grunde verbirgt sich hinter den Worten "nicht näher bezeichnet" oder "nicht andernorts klassfiziert" das Eingeständnis, dass da etwas ist, das sich nicht so recht einordnen lässt, etwas Unklares also.

Etwas klarer ist die Diagnose F61 im ICD-10: bei kombinierten Persönlichkeitsstörungen lassen sich immerhin die Züge beschreiben, die erkennbar sind, aber in ihrer Ausprägung nicht stark genug sind, um die Diagnose einer spezifischen Persönlichkeitsstörung zu rechtfertigen. In eine ähnlche Richtung geht der Vorschlag, die "Personality disorder-trait specified”, also eine durch Merkmale spezifierte Persönlichkeitsstörung als Ersatz für die bisherige Formulierung in das DSM-5 aufzunehmen.

Ein grundsätzliches Problem der klinischen Praxis wird hier berührt: was mache ich, wenn es problematische Bereiche gibt, die erkennbar sind, insgesamt aber eben nicht alle Kriterien so klar erfüllt sind, dass die Diagnose einer "Störung mit Krankheitswert" gerechtfertigt ist?
Gehen wir davon aus, dass Persönlichkeitsmerkmale mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können, dann können auch Persönlichkeitsstörungen mehr oder weniger stark ausgeprägt sein - wenn es für eine Diagnose nicht reicht, bedeutet das nicht, dass da "nichts ist".
 

Ein weiterer Ansatz zur Revision des DSM soll noch kurz erwähnt werden: die Skala zur Ausprägung der Persönlichkeitsfunktionen (im Original: Personality Function Scale).

In fünf Stufen sollen dabei jeweils zwei Funktionen in zwei Bereichen eingeschätzt werden.

Das Selbst

Identität. Kann ich mich selbst als einmalig erleben, mit klaren Grenzen zwischen mir und anderen, stabiler Selbsteinschätzung und Selbstregulation, der Fähigkeit, ein breites Spektrum emotionaler Erfahrungen zu verarbeiten?

Selbststeuerung. Kann ich konsequent kurzfristige und langfristige Lebensziele verfolgen, mich dabei an konstruktiven und prosozialen inneren Ansprüchen bezüglich meines Verhaltens orientieren und in konstruktiver Weise über mich selbst nachdenken?

Beziehungen

Empathie. Habe ich Verständnis und zeige ich Wertschätzung für die Erfahrungen anderer, kann ich unterschiedliche Perspektiven tolerieren, die Wirkungen meines Verhaltens auf andere verstehen und einschätzen?

Intimität. Kann ich tiefere und dauerhafte positive Beziehungen zu anderen aufnehmen und gestalten, Nähe herstellen und aushalten, gegenseitigen Austausch von Zuwendung und Zuneigung gestalten?

 Die Formulierungen zur Personality Function Scale sind frei übersetzt, kommen aber einem therapeutischen Anliegen nahe - dem Bedürfnis, Diagnosen als pragmatische Konzepte zu verstehen, aus dem sich Ansatzpunkte für therapeutische Zielsetzungen ableiten lassen.

Quellen:

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