Psychosophie

Impressum - Blogplugins - Bookmarks - Miteinander sprechen - Psychosophie - Frage und Antwort - Inhalt - Smiliecodes - MyNetvibes

In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 12. November 2009

Die drei Rückfallteufelchen


Die Geschichte von den drei Rückfallteufelchen ist in der Arbeit mit Drogenabhängigen entstanden. Dahinter steht ein theoretisches Modell, das sich aus der Analyse von ungezählten Rückfällen ergeben hat. Bestimmte Prozesse treten einfach immer wieder auf - typische Auslöser, unangenehme Gefühle oder auch die vermeintliche Sicherheit nach längerer Abstinenz, Gedanken, die dazu führen, sich einen Rückfall zu 'erlauben'.
Die drei Rückfallteufelchen stehen für bestimmte Denkmuster, die sich weitgehend unbemerkt einschleichen, aber durchaus in konkrete Worte zu fassen sind. Die einfachste Strategie, um Rückfällen vorzubeugen, scheint zu sein, Situationen zu meiden, die als Auslöser wirken können. Das sagt sich leicht... und genügt genauso wenig wie das weit verbreitete Ablehnungstraining in der Form von Rollenspielen zum Neinsagen.

Weitaus schwieriger als die Verführung von aussen sind die inneren Prozesse zu kontrollieren, die mit den Rückfallteufelchen symbolisch beschrieben sind. Erfahrbar sind sie als Gedanken, die bestimmte Schlussfolgerungen nahe legen...
 
"Ist doch nicht so schlimm..." (Bagatellisierung)
 
Die Aussagen des ersten Rückfallteufelchens machen den erneuten Konsum des Suchtmittels klein. Ist doch nicht so schlimm. Ein "Gläschen" oder "Bierchen", wenn es um Alkohol geht, eine "harmlose Pille", wenn es um Drogen geht.... In vielfältigen Varianten taucht diese Argumentationslinie in Gesprächen auf, zeigt sich aber auch als inneres Denken, das oft mühsam erworbene Einsichten wieder beiseite schiebt und die Abstinenzentscheidung relativiert und untergräbt.
 
"Du kannst jederzeit wieder aufhören" (Kontrollillusion)
 
Ich kann ja wieder aufhören. Ich habe es ja im Griff. Ich kann das alles kontrollieren. Eben nicht - die Illusion, ein Suchtmittel kontrollieren zu können, kann nach längerer Zeit wieder aktiv werden. Bis zu einem gewissen Grad scheint das ja auch zu stimmen... Stimmt auch. Man kann mit verbundenen Augen auf einen Abgrund zu laufen und stürzt vielleicht nicht sofort ab. Irgenwann aber ist die Kontrolle tatsächlich weg. Und genau da liegt das Problem - wieviel man sich tatsächlich "erlauben kann", bis die alten Muster wieder voll aktiv werden, das lässt sich eben nicht genau bestimmen. Nach längerer Abstinenz wirkt eine bestimmte Substanz meist stärker als vorher - und das bedeutet konkret, dass bei harten Drogen der nächste Rückfall tödlich ausgehen kann. Eine kleine Menge zufällig reinen Stoffes, oder eine schwache Konzentration, die dann doch nicht genügt, mit dem Effekt, dass "nachgelegt" wird... Abhängigkeit bedeutet eben: das Suchtmittel nicht kontrollieren zu können.
 
"Du brauchst das jetzt - gönn es dir" (Suchtdruck als Erlaubnis)

Variationen sind Gedanken wie "ich kann das nicht mehr aushalten" oder "das muss ich oder kann ich nicht mehr ertragen". Die logische Schlussfolgerung ist die innere Erlaubnis, erneut zu konsumieren. In der Regel dient das Suchtmittel dazu, Gefühle zu regulieren - und Suchtdruck ist damit meist Ausdruck unangenehmer Gefühle. Das muss aber nicht so sein - auch Leichtsinn und Selbstüberschätzung können "Gründe" sein, sich einen Rückfall zu "erlauben". Nach dem Motto "ich darf das ja" und es wird nichts Schlimmes passieren, wird die Legitimation langsam entwickelt und die Abstinenzentscheidung unbemerkt ausgehebelt.
Hier kommt es vor allem darauf an, die eigene Gefühlswelt im Gleichgewicht zu halten und Strategien zum Umgang mit Suchtdruck zu entwickeln.
Schimpfen hilft nicht, disziplinarische Massnahmen helfen nicht, die Duldung von Rückfällen ebenfalls nicht. Meist treten nach dem Rückfall Schuldgefühle auf, auch Wut, weil die Selbstkontrolle nicht stark genug war. Auch die Schuldgefühle helfen nicht....
Worauf es ankommt: die argumentative Struktur dieser Prozesse zu erkennen, dem nachzugehen, was sich da an inneren Prozessen eingeschlichen hat... Rückfälle geschehen auch nach zehn oder fünfzehn Jahren Abstinenz. Rückfälle geschehen bei Leuten, die Selbsthilfegruppen aufgebaut haben und leiten, enormes Wissen angesammelt haben aber dabei eben doch nicht absolut perfekt geworden sind. Rückfälle geschehen in einem schwachen Moment. Und - wenn Männer rückfällig werden ist fast immer eine Frau im Spiel... aber eben keine, die die Abstinenz unterstützt, sondern eine, die dem kurzfristigen Vergnügen den Vorzug gibt.
Was hilft ist die beständige Erneuerung der Abstinenzentscheidung, die keinesfalls ein 'Moment' ist - sie ist ein mehrdimensionaler Prozess mit verschiedenen Ebenen. Es gibt verschiedene Methoden, diese Entscheidung immer wieder zu erneuern und manchmal sind es ganz einfache Sätze, die sie lebendig und bewusst halten können. Über gute Erfahrungen berichten viele mit kurzen Aussagen, die am Morgen bewusst "gedacht" und innerlich wiederholt werden. Heute bleibe ich trocken. Oder: heute bleibe ich clean. Oder: heute kümmere ich mich um meine Gefühle - ohne irgendwelche "Stoffe". Wenn es doch zu einem Rückfall kommt, ist die Aufarbeitung wichtig. Was ist da genau geschehen? Welches Teufelchen hat mich da geritten, mein Denken kontrolliert? Vor allem aber: was kann ich tun, damit mir das nicht noch einmal passiert?
So falsch scheint der Gedanke nicht zu sein, dass Abstinenz etwas mit Wilensstärke zu tun hat. Sie zeigt sich in der Fähigkeit, die Rückfallteufelchen zum Schweigen zu bringen oder einfach nicht auf sie zu hören. Im Wissen um die inneren Prozesse werden sie mit etwas Übung immer leichter und schneller zu erkennen und damit leichter kontrollierbar. Es ist ein Prozess innerer Selbstmanipulation, der durchaus eine argumentative Struktur hat - aber immer mit Täuschung und Illusionen verbunden ist. Die Anfälligkeit bleibt! Wer sich da auf eine innere Diskussion einlässt, hat im Grunde schon verloren... das Sich-Ablenken, Gedanken wegschieben, an etwas anderes denken und die sture Haltung "ich habe mich entschieden und basta", das sind Strategien, die immer wieder als hilfreich beschrieben werden. Auch - die langfristige Perspektive, Ziele im Auge behalten, die durch einen Rückfall in Gefahr geraten. Langfristig gedacht ist die Abstinenz immer die bessere Entscheidung. Aber sie ist eben kein Besitz, sondern eine Art der Lebensführung, die immer wieder neu erarbeitet werden muss. Wer es allein schafft - Respekt. Wer es vorzieht, nach einem Rückfall eine Beratungsstelle aufzusuchen, bei Bedarf eine weitere Therapie aufzunehmen, macht damit bestimmt keinen Fehler. Vor allem aber geht es darum, Unterstützung zu finden. Und immer neu die Erfahrung zu machen, dass es sich lohnt, clean zu bleiben.

s. auch:







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Related Posts with Thumbnails