Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 20. August 2009

Pendlerstory SE

Wollen Sie sich setzen, bevor Sie in Trance fallen? Keine Frage, da nahm ich also Platz und beobachtete das Pendel, das er aus der Tasche zog. Schloss dann meine Augen und fühlte mich so richtig erleichtert. Ein Zeichen sollte ich geben, wenn ich bereit war für den Lift...

Eine dichtgedrängte Menge tummelte sich vor dem Eingang, alle mit einer Liftkarte für den neuen Space Elevator, der mehr zu erahnen als zu erkennen war. Neue Perspektiven also sollte ich da finden, entdeckte aber zunächst einmal nichts Neues. Ein ganz normaler Fahrstuhl eben, so sah es aus, mit einem kleinen Unterschied: es gab Fenster. Was aber noch merkwürdiger war - am hinteren Ende des Fahrstuhls gab es eine Treppe. Das Ding hatte tatsächlich mehrere Stockwerke und weiter oben gab es sogar Sitzplätze. Und so kam es, dass ein typischer Fahrstuhleffekt nicht auftrat... es blickten nicht alle nach oben, stehenden Fusses und unbeweglich, sondern suchten sich ein gemütliches Plätzchen, nachdem durch die Fenster nur eine glatte Stahlwand erkennbar war. Kühe, Wiesen, einen Bahnhof - so etwas würden wir nicht zu sehen bekommen.

Denn es sollte nach oben gehen, nicht auf einen Berg, nein, geradewegs zu den Sternen. Gewissermassen. Also... vorne aussteigen, Blümchen pflücken und hinten wieder einsteigen, wie das früher mal mit alten Zügen ging, das kam nicht in Frage. Mehr "Auf" als "Zug", soviel stand fest. Mittendrin würden wir den Status "über den Wolken" erreichen... und ich war gespannt, ob wir vorher die berühmte "Wolke Sieben" entdecken würden, die allgemeines Wohlbehagen auslösen soll.

Etwas mehr Sorgen machten mir die Passagiere... die seltsame Dame da im Eck, mit ihrer kleinen Handtasche... könnte eine Entführerin sein, die anderen mit einer kleinen Pistole bedrohen und dann den Piloten dazu zwingen, woanders hin zu fahren... Aber nein, das war nicht möglich, denn erstens gab es keinen Piloten und zweitens - wohin denn sonst sollte der Lift fahren wenn nicht nach oben?
Tickte da nicht etwas? War dieser Mann mit seinem grauen Mantel ein Terrorist, der das Projekt mit einer Bombe bedrohen und Lösegeld oder die Freilassung von inhaftierten Terrorkollegen fordern, vor allem aber verhindern wollte, dass irgend jemand mit diesem Aufzug Allah zu nahe kommen könnte?

Du spinnst, sagte ich mir selbst, nun mal den Teufel mal nicht an die Wand. Farbe hatte ich sowieso nicht dabei, wozu auch. Plötzlich stupste mich jemand von der Seite an: "Wolle Rose kaufen?". "Nein", sagte ich, "die Rose piekst und mit der Wolle kann ich auch nichts anfangen"... Der mit wild durcheinandergekämmten Haaren Herumlungernde stupste also das nächste Opfer an.
Auf was für die Ideen die Leute hier kommen...

Ein sanfter Ruck riss mich aus meinen Überlegungen. Es ging also los, nach oben. Aus einem der Fenster waren die dicken Drahtseile zu erkennen, an denen der Aufzug hinaufglitt. Ein flaues Gefühl im Magen kann ich nicht leugnen, aber insgesamt war der Start doch wesentlich sanfter als ich es mir vorgestellt hatte. In den nächsten Tagen war ich damit beschäftigt, den Aufzug in allen Einzelheiten zu erkunden. Es war faszinierend, die Sterne zu sehen, zu beobachten, wie die Erde unter uns erschien.

62000 Meilen später kam der grosse Augenblick - die Türen öffneten sich und gaben den Blick auf die Orbitalstation frei. Dort erwartete mich das Pendel erneut, ein leises Fingerschnippen drang an mein Ohr. Als ich schließlich wach war, fragte ich mich, ob das alles wirklich nur ein Traum gewesen war...

Mittwoch, 19. August 2009

Ladezeiten für Blogs

Die Browserwelt ist komplizierter geworden... Plugins. Private Browsing, immer mehr Einstellungen und rasche Veränderungen, mit denen kaum jemand Schritt halten kann... all das hat Konsequenzen. Ein Effekt ist auffallend - je nachdem, mit welchem Browser eine Seite besucht wird, sieht das Design unter Umständen ganz anders aus... Da gibt es Verschiebungen, abgeschnittene Zeilen, alles mögliche. Je nachdem, für welche Bildschirmauflösung ein Blog konzipiert ist, werden Module zusammen geschoben, fehlen zum Teil oder sind nur mit der vertikalen Leiste überhaupt sichtbar. Dann bleibt nur die Verkleinerung der Schriftgröße oder ein Befehl wie "fit to width" im Opera.
Was aber wirklich ärgerlich ist, dass sich durch aufwendige Designs die Ladezeiten zum Teil erheblich verlängern können - bis in den Minutenbereich hinein. Aufwendig bedeutet dabei nicht eine schön gestaltete Hintergrundgrafik, der entscheidende Faktor scheinen vielmehr Module zu sein, die aus verschiedenen Quellen Daten zusammen sammeln - das dauert eben und es genügt eine kleine Störung an irgendeiner Stelle, um den Ladeprozess erheblich zu verlängern. Wirklich herauszufinden, welche Module hier besonders viel Zeit kosten, wäre eine längere Forschungsarbeit... eines allein macht sich zunächst kaum bemerkbar. Mehrere zusammen dagegen verlängern die Ladezeit erheblich.

Vorläufig also scheinen mir zwei Dinge überlegenswert: zum einen die Angabe des Optimierungssettings, sprich: Browser und Bildschirmauflösung, für die ein Blog konzipiert ist. Größere Bildschirme finden zwar immer mehr Verbreitung, aber die Veränderungen im Design sind dann doch recht gravierend, wenn man ein Blog, das für eine Breite von 1680 Pixeln optimiert wurde, mit 1024 Pixel betrachtet.

Die zweite Idee ist die bewusste Bescheidenheit bezüglich der eingebauten Module... weniger ist mehr, wenn die Ladezeit noch im Rahmen bleiben soll. Wer besuchte Webseiten speichert und täglich an einem Blog arbeitet, merkt oft überhaupt nicht, wie lange es dauern kann, bis eine Seite von Lesern geladen wird, die vielleicht mit einer anderen Auslösung und ohne dieses Zwischenspeicherung arbeiten.
Interessant ist auch das Experiment, mit verschiedenen Browsern dieselbe Seite zu laden.

Getestet habe ich einmal...

Psychosophie
http://miteinandersprechen.blogspot.com
Inhaltliche Prüfung (40%) sehr gut
Die Inhalte sind von sehr guter Qualität. Die Seite bemüht sich um eine anspruchsvolle Darstellung.

SPAM-Prüfung (20%) sehr gut
Kaum Werbung und keine Belästigung durch SPAM.

Reputation (20%) ausreichend
Die Seite ist kaum anerkannt.

Usability (20%) befriedigend
Mittlere Usability.

Grummel.... als Beurteilung steht da: "Komplexe Navigation und zu viele Links. Es werden zu viele neue Fenster geöffnet. Unübersichtliche Anzahl von eingebundenen Objekten."

Gesamturteil gut (2.0)




Eine Patentlösung habe ich nicht parat... Ring frei also für Kommentare, Beobachtungen und schlaue Tipps!

s. auch: Qualitätsmanagement für Blogs

Samstag, 15. August 2009

Woodstock? Musik und Gemeinschaft

War Woodstock ein Medienschwindel? Ist das jetzt auch wieder eine Verschwörungstheorie, die in Zweifel zieht, ob das Ganze überhaupt stattgefunden hat? Sicher ist: nur toll war es eben auch nicht. Dabei war ich zwar nicht, aber eine Zeile aus dem Album mit 3 LPs blieb mir dann doch recht deutlich im Ohr hängen.

"I hope it stops raining." (hoffentlich hört der Regen bald auf...)

Ob der Spruch "High sein, frei sein" wirklich von dort stammt, weiß ich nicht, dass man Drogen braucht, um die "Pforten der Wahrnehmung" zu öffnen, glaube ich nicht, aber dass alles nur ein Public Relation Gag war eben auch nicht. Vor vierzig Jahren war das also, im August 1969.

Musik und Gemeinschaft, ein Riesenspektakel. Auszüge gefällig?
Hier ist Carlos Santana mit Soul Sacrifice:



Crosby, Stills & Nash... hier ohne Young:



Jimi Hendrix: Purple Haze



Alter Zeltlagerklassiker... Joan Baez, We shall overcome



...With A Little Help from My Friends: Joe Cocker



My G...G...G....G....Generation. The Who



Sometimes I feel like a motherless child - a long way from my home.
Richie Havens: Freedom



Sie rauchten im Regen und rutschten im Schlamm - aber es muss wohl ein gewaltiges Gemeinschaftsgefühl gewesen sein. Die Stimmung, das Lebensgefühl, das Suchen und Tasten, die Sehnsucht nach Veränderung, all das ist vierzig Jahre her und nicht mehr aktuell. Oder doch?

Qualitätskriterien für Blogs


Was könnten sinnvolle Kriterien für die Qualität eines Blogs sein?
Einen Artikel zur Qualität eines Blogs möchte ich hier aufgreifen, die Darstellung der Kriterien wurde ergänzt und überarbeitet. Messbare Kennzahlen wie Besucherzahlen, Pagerank, Gesamtzahl der Beiträge etc. sind hier zunächst nicht aufgenommen.

1. Originalität
Also - etwas Eigenes, die eigene Meinung, eigene Erfahrungen, Bilder, Videos, Musik, Berichte... etwas, das sonst nicht oder nicht so leicht zu finden ist. Logischerweise geistern aktuelle Themen meist kreuz und quer durch die Blogosphäre und finden in zahlreichen Beiträgen ihren Niederschlag. Im Gegensatz zu Tageszeitungen, in denen mehr oder weniger überall dasselbe steht, bieten Blogs mehr Raum für Kommentare, Meinungen, Ergänzungen usw. Aktuelles kann also durchaus originell sein - wenn sich ein Beitrag nicht nur auf die reine Wiedergabe von Fakten beschränkt.
Originalität und Aktualität hängen zusammen - sind aber nicht notwendigerweise miteinander verbunden, wenn mit Aktualität der Bezug auf aktuelle Ereignisse gemeint sein soll.

2. Unterhaltungswert
Hier dürfte der Geschmack deutlich zu Buche schlagen... was für wen unterhaltsam ist, das ist eben Geschmackssache. Ob Unterhaltungswert ein sinnvolles Qualitätskriterium für Blogs ist, hängt vom Blogkonzept ab - Scienceblogs etwa, denen es mehr um sachliche Information bzw. wissenschaftliche Darstellungen geht, können auf Unterhaltungswerte eher verzichten. Trotz allem lockern Bilder, Videos, Anekdoten und Ähnliches die oft trockene Materie auf. Verfeinern lässt sich dieser Ansatz als blogspezifisches Infotainment.

3. Übersichtlichkeit
Zur Übersichtlichkeit gehört eine gewisse Struktur... zu viel Information und Durcheinander, bei dem nicht mehr erkennbar ist, was nun wohin gehört, wird manche Leser abschrecken. Nützliche Instrumente sind dabei Kategorien, Inhaltsverzeichnisse und Angaben über "ähnliche Themen" am Ende von Blogbeiträgen. So wird erkennbar, in welchen Zusammenhang ein Beitrag gehört.

4. Regelmäßigkeit der Beiträge
Vergleicht man ein Blog mit einer Zeitung, liegt Regelmäßigkeit als Qualitätskriterium nahe. Ganz unproblematisch ist dieses Kriterium aber nicht - denn früher oder später zeigt sich deutlich, dass manche Beiträge nur dazu dienen, überhaupt etwas zu publizieren. Wie lange kann der letzte Beitrag zurückliegen, bis ein Blog uninteressant wird? Inhalte, die sich nicht auf aktuelle Ereignisse beziehen, können sehr lange interessant bleiben - auch hier also scheint die Betrachtung im Zusammenhang des Blolgkonzepts sinnvoll. Die Tageszeitung von gestern interessiert kaum jemand... informative Artikel zu einem Thema können dagegen lange Zeit auf Interesse stossen.

5. Informationswert
Auch wenn es für die Mehrzahl nicht das wichtigste Kriterium ist - wer sich für ein bestimmtes Thema interessiert, schätzt den Informationswert. Also gut recherchierte Artikel, die Substanz haben, Quellen angeben, fundiert sind. Nun gibt es ja in jeder Disziplin so etwas wie "gesichertes Wissen", also einen allgemein akzeptierten Grundbestand und Bereiche, in denen mehrere Ansätze, Standpunkte und Aufassungen existieren. Für Laien dürfte es oft schwer sein, zwischen gesichertem Wissen und Hypothesen, Meinungen und persönlichen Standpunkten zu unterscheiden. Hilfreich dürfte es also sein, deutlich zu markieren, wo die Fakten aufhören und die Meinung beginnt...

6. Design
Ein schwieriges Kriterium... was ist ein "gutes Design"? Suche ich nur nach Information, kümmert mich das Design wenig. Aber ein schöner Hintergrund, ein ansprechender Seitenaufbau - das hat was. Darüber lässt sich vielleicht lange diskutieren. Von "schlicht und funktional" bis "komplex und aufwendig" reicht die Palette, die nicht nur eine Frage des Geschmacks ist. Im Zusammenhang mit Design und Layout spielt die Ladezeit eine Rolle - je mehr Elemente, Widgets, Maps etc. eingebaut sind, umso mehr verlängert sich die Zeit, die vergeht, bis alle Details von verschiedenen Servern zusammen gesammelt sind. Hier stellt sich wieder die Frage der Übersichtlichkeit.

7. Stil und Rechtschreibung
Wieder ein komplexes Thema... was ist ein guter Stil? Auch darüber lässt sich viel nachdenken...
Nicht selten finden sich in einem Blog mehrere Stile gleichzeitig - auch das kann ein Blog interessant machen. Rechtschreibung sollte mit dem Blick auf Suchmaschinen wichtig sein, aber auch im Interesse jener liegen, die ernst genommen werden wollen.

8. Interaktivität
Mit dem Stichwort "Interaktivität" sind Elemente gemeint, die Kontakt und Austausch ermöglichen - in der Form von Kommentaren, Nachrichten oder E-Mails. Detailfragen beziehen sich auf die Zugänglichkeit der Kommentarfunktion (mit oder ohne Kennwort, Anmeldung usw., Moderation, Häufigkeit und Zeitnähe, mit der Kommentare beantwortet werden), aber auch auf den Aspekt der Bezugnahme auf Kommentare bzw. Artikel in anderen Blogs.

9. Blogkonzept
Zum Blogkonzept gehört auch die Frage des Wiedererkennungswertes - ziehen sich bestimmte Themenfelder wie ein roter Faden durch ein Blog, entsteht ein blogspezifischer Erwartungshorizont, gewissermassen eine "Marke".

Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung und Diskussion:

  • Welche Kritierien sind besonders wichtig?
  • Wie lassen sich die einzelnen Kriterien beurteilen?
  • Welche davon lassen sich messen, welche nicht?
  • Welche Bedeutung haben messbare Werte wie Besucherzahlen etc.?
  • Welche Rolle spielen Impressum, Autoren usw.?
  • Hat Werbung einen Einfluss auf die Qualität eines Blogs? Wenn ja, welchen?
  • Welche Wünsche ergeben sich für die Qualitätsverbesserung von Blogs...
  • ...als Blogger
  • ...als Leser
  • ...an Plattformbetreiber?
  • Fehlen in der Aufstellung wichtige Kriterien (es können auch persönlich wichtige Kriterien sein!)?

Qualitätsmanagement für Blogs

(Erste Fassung)

Das Thema ist nicht neu und hat viele Aspekte. Zum einen stellt sich die Frage nach sinnvollen Qualitätskriterien für Blogs - darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein und es muss hier nicht um einen Konsens gehen. Als Anregung und Impuls für jene, die Blogs gestalten wollen, können Möglichkeiten sichtbar werden, hier und da etwas besser oder auch nur anders zu machen.

Journalisten sind immer wieder eifrig dabei, wenn es darum geht, Blogs abzuwerten... es gibt aber sehr viele hochwertige Blogs und Potentiale, die sich mit einem sinnvoll angewendeten Qualitätsmanagement aufwerten lassen. Das Thema ist ein offenes Projekt.

Problemaspekte und Fragen

  • Was sind mögliche Qualitätskriterien für Blogs?
  • Welche Qualitätskriterien sind für wen sinnvoll bzw. von Bedeutung?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, Qualität zu "managen" und Blogs besser zu gestalten?
  • Welche Probleme treten für Blogleser möglicherweise auf?
  • Welche Methoden gibt es, einzelne Qualitätskriterien zu beurteilen bzw. zu messen?
  • Welchen Einfluss hat das Blogdesign auf Ladezeiten und Darstellung des Blogs?
  • Welchen Einfluss haben Browser und ihre Einstellungen auf Ladezeit, Darstellung und die Möglichkeit, sich an interaktiven Elementen wie Kommentaren und Chatboxen zu beteiligen?
  • Welche Konsequenzen hat das "Optimierungssetting", also Browser, Browsereinstellungen und Bildschirmauflösung auf die Darstellung von Blogs mit anderen Settings?

Soweit also er erste Entwurf...

Donnerstag, 13. August 2009

Probleme gemeinsam lösen

Wie kann man Probleme gemeinsam lösen? Geht das überhaupt? Als erster Denkanstoss zur eigenen Kommunikationsbiographie kann die Frage dienen, in welcher Situation solche Erfahrungen möglich waren und wie dort das Gespräch verlaufen ist. Lautet die Antwort "das kenne ich überhaupt nicht, bisher haben mir nur andere gesagt, was ich tun soll" oder: "bisher musste ich meine Probleme immer allein lösen, ich habe nie jemand gefunden, mit dem ich sie hätte besprechen können", fehlt etwas.
Etwas bescheidener gefragt: wo habe ich die Erfahrung gemacht, dass mich ein Gespräch einen Schritt weiterbringt? Dort ist vielleicht "mehr" zu finden. Und ich denke, es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, was das ist, das sich dort finden lässt.

Manchmal genügt ein kleiner Impuls, eine Idee, eine Anregung, um einen Problemlöseprozess in Gang zu bringen, am Laufen zu halten oder einen kleinen Schritt weiterzubringen. Impulse also können wertvoll sein, aber das ist nur ein Teil vom Ganzen.

Das Grundkonzept, das ich hier vorstellen möchte, beruht auf zwei Ansätzen. Zum einen auf der Denkpsychologie, die so allerlei nützliche Modelle liefert. Zum anderen auf dem Klärungsgespräch, das für Problemlöseprozesse eine sehr gute Grundlage liefert.
Anwendung kann und soll die Idee gemeinsamer Problemlösung vor allem dort finden, wo es um komplexe Probleme geht - ganz einfach deshalb, weil in solchen Situationen die Gruppe dem Einzelnen immer überlegen ist.

Probleme zu lösen als Aspekt der Lebensgestaltung ist zunächst eine individuelle Angelegenheit.

Das Denkmodell PISCO lässt sich aber auch als Strukturmodell für ein Problemgespräch nutzen. Es stammt von Edward de Bono und ist dargestellt in seinem Buch "Denkschule".

P steht für "Purpose", in der deutschen Übersetzung also "Zweck". Man kann auch sagen: "Ziel".

Zusammen mit den Prinzipien des Klärungsgesprächs, insbesondere mit dem Gedanken, den Gesprächsprozess offen zu halten, bieten sich hier öffnende Fragen an:

Worin besteht eigentlich das Problem? Was ist das Ziel? Was wollen wir erreichen?

An dieser Stelle geht es nicht um Vorschläge, schon gar nicht um Lösungen - es geht einfach um die Frage, wie sich ein Problem definieren lässt, was das Problematische am Problem ist und für wen. Das alle Beteiligten dieselbe Problemwahrnehmung haben, ist keinesfalls selbstverständlich. Einen bestimmten Sachverhalt als ein "Problem" zu sehen bedeutet nicht, dass es für alle anderen auch eines ist. Ein Problemgespräch zu gestalten bedeutet auch nicht, eine Lösung parat zu haben oder für andere eine Lösung zu liefern - gerade in pädagogischen und therapeutischen Zusammenhängen ist es wesentlich wertvoller, den Prozess im Auge zu behalten und Möglichkeiten zu schaffen, wie andere ihre Lösungen selbst finden können. Geht es dagegen um eine gemeinsame Problemsituation, ist die Wahrscheinlichkeit, dass gefundene Lösungen akzeptiert, getragen und umgesetzt werden, wesentlich höher, wenn sie eben nicht einseitig vorgegeben, sondern gemeinsam erarbeitet wurden.
Prozessorientiert gedacht geht es hier um die Klärung der Problemwahrnehmung, die Verständigung über verschiedene Sichtweisen und das Bemühen, eine gemeinsame Problemdefinition und Zielsetzung zu finden. Das wird vielleicht nicht immer gelingen - eine vorläufige Definition, eine grobe Problembeschreibung kann aber für den Anfang genügen.

I steht ursprünglich für "Input", also Eingabe, passender finde ich die Bezeichnung: Information.

Zum Klärungsgespräch gehört auch das Zusammentragen von Informationen, Sichtweisen und Perspektiven. In der Sprecherziehung wird das Klärungsgespräch auch als "Puzzle" bezeichnet - im günstigen Fall ergibt sich aus unterschiedlichen Bausteinen ein sinnvolles Ganzes. Dabei kann es sich allerdings auch zeigen, dass ein bestimmtes Problem mit den vorliegenden Informationen nicht gelöst werden kann. Als Leitfrage für Prozesse gemeinsamer Problemlösung kann deshalb die zielorientierte Informationssuche gelten:

Wo können wir Informationen finden, die uns helfen, das Problemfeld besser zu erfassen und uns einer Lösung näher bringen können?

Mit der Informationssammlung allein ist es aber nicht getan: das Strukturieren, Ordnen, Bewerten und Auswählen von Informationen führt in den Bereich des Informationsmanagements hinein.
Problemlösungen werden nicht allein dadurch besser, dass immer mehr Informationen zur Verfügung stehen - die Kunst und die Schwierigkeit besteht darin, relevante Informationen herauszufiltern, Schwerpunkte zu setzen und sich nicht zu sehr in Details zu verlieren, die nebensächlich oder irrelevant sind.

S steht für "Solution", also Lösung. Treffender scheint mir die Bezeichnung "Lösungsansätze"

Es gibt also ein Problem und es liegen Informationen vor, die das Problem betreffen. Ansätze sind vielleicht schon erkennbar, zeichnen sich durch Beweglichkeit aus. Der Begriff Beweglichkeit ist sehr wichtig - alles, was nicht beweglich ist, also nicht verändert werden kann, gehört zu den Rahmenbedingungen, die akzeptiert werden müssen - Lösungen lassen sich nur dort finden, wo sich etwas in Bewegung bringen und realisieren lässt. In den meisten Fällen gibt es mehrere Lösungen für ein bestimmtes Problem. Welche davon die Beste ist, lässt sich vielleicht nicht sofort erkennen. Wichtig ist vor allem, dass Ideen im Gespräch nicht zu früh beseite geschoben werden, sondern die Chance haben, sich zu entwickeln und zu entfalten.
Wenn die Zeit drängt, kann auch eine vorläufige Lösung tauglich sein - technische Entwicklungen etwa zeichnen sich häufig durch Lösungen aus, die nach und nach verbessert werden.

C steht für "Choice", also Wahl oder Entscheidung.

Während Informationssuche und das Bemühen um Lösungsansätze den Prozess öffnet, zielt der Prozess der Entscheidungsfindung auf einen Abschluss hin. Beraten kann man im Grunde endlos, es wird immer neue Informationen geben, die Anlass für ein neues Überdenken, kritisches Hinterfragen, neue Ansätze und spezifische Details geben können. Der kritische Faktor dabei ist die Zeit - Entscheidungen zu treffen verkürzt den Prozess, gelingt leichter, wenn akzeptiert wird, dass eine Lösung, die einigermaßen tragfähig ist, besser ist als ein endloser Prozess der Lösungssuche.

O steht für "Operate", also Handeln.

Die beste Lösung taugt nichts, wenn sie nicht realisiert wird. Individuelle Problemlöseprozesse unterscheiden sich dabei grundsätzlich von Methoden gemeinsamer Problemlösung. Die allgemeine Formulierung des Gesprächs als Verständigungshandlung "mit dem Ziel gemeinsamen Handelns" braucht im Einzelfall eine Differenzierung - denn Lösungen müssen nicht bedeuten, dass alle zusammen gemeinsam etwas tun. Möglich ist auch eine Aufgabenverteilung, eine Veränderung auf organisatorischer Ebene, ein Beschluss, oder das Handeln einer einzelnen Person.
Leitfrage also: wer soll was tun?

Soweit also das Grundmodell. Ob es sich in allen Situationen auf alle nur erdenklichen Probleme anwenden lässt, ist zweifelhaft. Als Orientierungshilfe, die sich bei Bedarf situativ anpassen lässt, steckt es immerhin einen Rahmen ab, in dem zentrale Elemente konstruktiver Prozesse beschrieben werden. Betrachtet man komplexe Problemlösungen als einen zielgerichteten und rückmeldegesteuerten Prozess, werden die einzelnen Phasen mehrfach auftreten - aus den Beobachtungen ergeben sich Hinweise darauf, ob die realisierten Handlungen "etwas gebracht haben", Korrekturen, Veränderungen, neue Ziele oder neue Informationen legen unter Umständen einen neuen Durchgang nahe. Anhand solcher Modelle lässt sich auch erkennen, wo etwas schief gehen kann:

  • Sind die Ziele unklar, fehlt die Grundlage für sinnvolle Entscheidungen, der Prozess läuft "irgendwo hin" und landet vielleicht an einer Stelle, die nicht erwünscht ist
  • Fehlen wichtige Informationen, bleiben Entscheidungen "in der Luft hängen" und können bestenfalls zufällig zu brauchbaren Ergebnissen führen
  • Bleiben Möglichkeiten ausgeklammert oder werden zu früh bestimmte Ansätze fokussiert, lassen sich zwar Lösungen finden - aber nicht unbedingt die beste
  • Werden notwendige Voraussetzung für die Realisierung bestimmter Handlungen übersehen, entsteht vielleicht ein "toller Plan", der aber letzten Endes doch nichts verändert.

Für die Entwicklung der Problemlösefähigkeiten in einer Gruppe ist die Rolle des Vorgesetzten genauso hinderlich wie die Parteinahme für eine bestimmte Position bzw, einen bestimmten Lösungsansatz. Beginnt das Gespräch mit der Prämisse, dass die Lösung im Grunde schon klar ist, die wichtigsten Entscheidungen schon getroffen sind, entsteht nicht mehr als ein Scheingespräch.
Die Grundregel des Klärungsgesprächs "sich gegenseitig ernst nehmen - als Person und in der Sache" fördert die Haltung, gemeinsam nach der Lösung für ein Problem zu suchen. Und dabei persönliche Konflikte zurückzustellen. Prozessdirektivität als handlungsleitendes Prinzip für eine Person, die das Gespräch leitet, bedeutet, sich inhaltlich zurückzuhalten, eigene Ideen und Vorstellungen zurückzuhalten und stattdessen zu beobachten, in welcher Phase sich die Gruppe befindet und vor allem durch öffnende Fragen (möglichst jeweils nur eine) den Prozess zu steuern.
Am Ende des Prozesses (bzw. eines vorher definierten Zeitabschnitts) sind Methoden der Integration, Zusammenfassung und Verständigungssicherung sinnvoll.


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Literatur:
DeBONO, E. (1995). Denkschule. München: Orbis Verlag.
GEISSNER, H. (1986). 2. Auflage. Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. Frankfurt am Main: Scriptor.

Mittwoch, 12. August 2009

Die deutsche Fahne auf dem Mond

Für den Fall eines Wahlsieges planen CDU und FDP eine Reise zum Mond. Wie? Waren wir da nicht schon? Sind Meyer und Pöhlmann denn schon vergessen, die die deutsche Fahne auf den Mond gepflanzt haben? Nachdem es also bereits eine bemannte Mondfahrt gab, soll nun eine unbemannte Reise folgen. Ohne Männer also. Will Angela Merkel etwa selbst...? Das Gerücht, Guido Westerwelle wolle Bundesmondminister werden, wurde von offizieller Seite bisher noch nicht bestätigt. Immerhin, behaupten böse Stimmen, liesse sich auch so (sprich: ohne den umstrittenen Deutschlandplan) das Problem der vielen Arbeitslosen in Deutschland lösen. Denn da oben ist viel Platz.
Aber hier zunächst der Beweis für die bereits erfolgte Mondlandung.




Auch hier existiert natürlich eine Verschwörungstheorie, die behauptet, das Video sei in der Area 51 des ZDF gedreht worden. Immerhin erinnert der Moderator im Studio verdächtig an Loriot. Aber das ist natürlich nur ein Gerücht, das zu Wahlkampfzwecken erfunden wurde.

Netzwerke und Hierarchie: wenn Machtstrukturen Lösungen verhindern

Bingo! Dachte ich mir, als ich den folgenden Videoausschnitt fand. Klarer kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen... Aber zuerst einmal muss ich vielleicht erklären, was mir durch den Kopf ging...

  • Die Welt wird immer komplizierter.
  • Die Probleme werden komplexer.
  • Es gibt strukturelle Probleme in unserer Gesellschaft, die der Lösung von Problemen deutlich im Wege stehen.
  • Disziplingebundenes Denken in der Wissenschaft steht der Lösung von Problemen oft im Weg, denn nicht jeder "Gegenstand" tut uns den Gefallen, sich in die engen Grenzen einer einzigen Disziplin einzufügen.
  • Institutionen, Unternehmen und die öffentliche Verwaltung sind hierarchisch organisiert.
  • Hierarchien sind "institutionalisierte Konfliktlösungen" - manchmal tauglich, manchmal aber auch miserable Pseudolösungen.
  • Brauchen wir also in manchen Bereichen (Wirtschaft, Gesundheitswesen, Bildungswesen, Politik..) neue Formen der Kooperation, die symmetrische Interaktionen "auf Augenhöhe" jenseits der etablierten Hierarchien ermöglichen?

Die einfache Schlussfolgerung - Hierarchien haben sicher ihren Sinn, machen Organisationen übersichtlich. Und können wunderbar funktionieren, erleichtern die Kontrolle. Sie haben etwas Bequemes, wenn man weiss, woran man sich orientieren kann. Es ist einfach, wenn man eben hier und da einfach dazu steht, nicht zuständig zu sein und sich damit um bestimmte Probleme mit Recht herumdrücken kann. Wenn man sich aber nur an irgendeiner Stelle intensiver mit einem Problem auseinandersetzt, komplexe Zusammenhänge erkennt, die eben über den Bierdeckelhorizont einer Disziplin, einer Institution, eines Unternehmens usw. hinausgehen... dann bleibt nur die Perspektive interdisziplinärer, institutionsübergreifender, vernetzter Zusammenarbeit übrig. Genau das aber wird systematisch verhindert - denn es passt nicht in hierarchisches Denken, bedeutet Machtverlust.



Vor vielen Jahren kam ich beim Brüten über den Begriff "Konfliktfähigkeit" unter anderem zu einem wichtigen Satz:

Konfliktfähigkeit heisst auch, auf Macht verzichten zu können.

Ob ich da nun "verzichten" oder "verzichten können" schreiben sollte, war mir anfangs nicht klar. Das Verzichtenkönnen ist also kein Zufall - denn es geht nicht darum, Macht einfach nur abzugeben, was konkret sowieso nicht immer und nicht so einfach geht.

Etwas unwohl ist mir jetzt geworden, weil ich einen Ausschnitt aus dem Zusammenhang gerissen habe. Wer also einen Anfang sucht, kann sich den Vortrag, aus dem der Ausschnitt stammt, auch von Anfang an ansehen - es beginnt mit der Frage, wer Peter Kruse eigentlich ist.

Ein Gedanke passt noch dazu, der aus einer ganz anderen Ecke stammt, der psychoanalytischen Familientherapie nämlich: manchmal geht es nicht um das Machen, sondern um das Zulassen von Veränderung. *

Den Gedanken, dass viele komplexe Probleme auf dieser Welt nur dann gelöst werden können, wenn mehr Vernetzung zugelassen wird, stelle ich einmal als These in den Raum bzw. das Netz. Ohne die Hoffnung, dass unmittelbar verständlich ist, was das alles bedeuten soll...

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(*s. dazu: BAURIEDL, TH. (1984). Beziehungsanalyse. Das dialektisch-emanzipatorische Prinzip der Psychoanalyse und seine Konsequenzen für die psychoanalytische Familientherapie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.)Blocksatz

Dienstag, 11. August 2009

Kommunikationsbarrieren: das Fernsehen ist nicht für alle da

Kommunikationsbarrieren sind ein weites Feld. Anschaulich und leicht zu verstehen ist das Problem der Fremdprachen - wer sich ohne hinreichende Sprachkenntnisse im Ausland bewegt, kann ziemliche Probleme damit haben, etwas zu verstehen und sich verständlich zu machen. Aus aktuellem Anlass möchte ich hier aber ein Problem aufgreifen, das noch wesentlich schwieriger ist.
Auf das Fernsehen zu verzichten würde vielleicht so manchem nicht allzu schwer fallen, auf das Musik hören... das ist schon wieder etwas anderes. Gar nichts zu hören... ist für mich genauso schwer nachzuvollziehen wie blind zu sein. Die Selbstverständlichkeit, mit der jene, die über diese Sinne voll verfügen können, das Sehen und Hören als Normalität betrachten, lässt wenig Interesse für die Belange jener aufkommen, die auf das eine oder andere verzichten müssen.

Das folgende Video ist sehr bewusst ausgewählt...




...denn wer die Gebärdensprache nicht beherrscht, versteht erstmal überhaupt nichts.
Und genau das ist das Problem. Hier geht es aber auch um einen Lösungsansatz, bezogen auf das Fernsehen: Untertitel nämlich, mit denen Hörgeschädigte und Gehörlose Fernsehsendungen trotzdem mitverfolgen können. Wie das aussieht, zeigt das Video deutlich.

Noch ein Video, wieder Gebärdensprache, für Hörende also im Normalfall absolut unverständlich.
Allerdings... hier mit Untertiteln. Schließlich habe ich also doch verstanden, worum es geht.




Untertitel sind technisch möglich - wenn man will. Im Moment genügt es mir schon, auf das Problem und auf die Aktion Untertitel aufmerksam zu machen.


Woher kommt der siebte Himmel?

Aus dem dumpfen Verdacht heraus, dass sich unser Weltbild in absehbarer Zeit verändern wird, entstand die Frage nach der Entwicklung und dem Wandel, den es bereits hinter sich hat.
Das Thema "Weltbild" hat aber noch einen anderen Akzent - als Konfliktpotential nämlich steht es dann gleichsam zwischen den Kulturen, wenn sich die Weltbilder fundamental unterscheiden und damit jede Form der Verständigung von deutlich unterschiedlichen Prämissen ausgeht. Recht plausibel scheint mir die Annahme, dass sich Menschen wesentlich leichter miteinander verständigen können, wenn sie von ähnlichen oder gleichen Annahmen ausgehen, dasselbe Weltbild zugrunde legen oder - wie das unter Fachleuten häufig zu beobachten ist - sich auf einen gemeinsamen "Sachverstand" beziehen, über den nicht diskutiert werden muss. Es geht dabei um Denkmuster, Begriffe, Sichtweisen, Bilder eben, die ähnlich sind und als gemeinsame Bezugspunkte dienen können.
Die "Wolke sieben" oder der "siebte Himmel" ist im Sprachgebrauch noch lebendig und steht für "etwas Besonderes", aber woher dieser Begriff stammt, das war mir nie so recht klar.

Eine Erklärung liefert das folgende Video. Nehmen wir an, es würde sich zeigen, dass Fragmente eines längst überholten Weltbilds noch durch die Köpfe geistern und nicht nur Konflikte erzeugen, sondern auch der Lösung globaler Probleme im Wege stehen... dann könnte die kritische Reflexion von Weltbildern einen enormen Fortschritt bringen. Sich selbst als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, um den alles kreist - das scheint immer noch so selbstverständlich zu sein, dass der Wechsel zu einer globalen, kosmischen Perspektive kaum möglich erscheint. Dort aber stehen uns jene Überzeugungen, die so selbstverständlich und tief verwurzelt sind, dass sie sich nur im Verlauf von Jahrhunderten verändern können, möglicherweise enorm im Weg.



Montag, 10. August 2009

Wahlkampf im Netz: von Glaubwürdigkeit keine Spur?

Vor ein paar Tagen gab es bereits einen kritischen Beitrag zum Thema "Wahlkampf im Netz". Mit der Bemerkung "keiner kriegt's hin" scheint der Nagel nun wirklich auf den Kopf getroffen zu sein. Neuere Entwicklungen eröffnen auch neue Möglichkeiten, sich zu äußern, die eigene Meinung kund zu tun. Skepsis aber schwebt über alledem - so interessant der Ansatz des "Open Reichstag" ist, so deutlich werden dabei auch einige Probleme, die einen tiefen Graben zwischen Bürgern und Politik aufzeigen.

Mit Steinmeiers Rede hatte ich mich bereits beschäftigt, die Umfrage im Politbarometer zeigte dann ganz deutlich das Problem. Die Zahlen nimmt ihm kaum jemand ab - insgesamt hat sich die SPD damit unglaubwürdig gemacht.
Das allerdings ist nicht nur das Problem einer einzelnen Partei.
Stand 10. August: 15 Uhr - auf die Frage, "Sind die Aktivitäten der deutschen Politiker glaubwürdig?" stimmten 86% mit "Dagegen".
Auf die Frage "Sollten Wahlversprechen einklagbar sein?" stimmten 85% mit "Dafür".

Beides gibt zu denken...
"Die machen ja sowieso, was sie wollen" - das scheint landläufig die herrschende Meinung zu sein. Kritisch beleuchten kann man aber auch die Mittel, die eingesetzt werden, um Politik zu vermitteln. Hinterfragen lässt sich die rhetorische Konzeption, mit der etwas "verkauft" werden soll.

Kurze Stichworte, knappe Formulierungen, Versprechungen und Schlagworte - all das ist genauso glaubwürdig wie die Margarine, die Harmonie in die Familie zaubert, die Flügel aus der Dose oder der garantierte Schutz vor Erkältung aus dem Joghurtbecher. Werbung und Wahlkampf haben eines gemeinsam: sie sprechen die Konsumenten als dumme Trottel an, denen man alles verkaufen kann, die man nicht ernst nehmen muss. Bürger sind dumme und verführbare Idioten, die man nur irgendwie dazu bringen muss, an der richtigen Stelle ein Kreuzchen zu machen.

Die Problematik der Glaubwürdigkeit hat noch eine ganz andere Seite - die Frage der Machbarkeit nämlich. Wirtschaft und Gesellschaft, demographische, technische und wirtschaftliche Entwicklungen sind hochkomplexe Prozesse, hochgradig intransparent. Wettervorhersage: naja, so ungefähr lassen sich Trends beobachten und Prognosen ableiten. Aber sicher.... nein, sicher sind dies Voraussagen nicht. Hochrechnungen, Kalkulationen über Wirtschaftswachstum und ähnliche Phänomene... Schätzungen, mehr oder weniger brauchbar, aber sicher sind sie auch nicht.

Entwicklungen in anderen Ländern, Trends in vielen Bereichen.... Unsicherheiten, Unwägbarkeiten, genau genommen heißt das doch nur: niemand kann wissen, was geschehen wird. Und dann kommen Leute daher und wollen uns weismachen, sie hätten ein Rezept für das, was "man" tun muss, sie wüßten heute schon, was morgen die richtige Politik ist.

Glaubwürdigkeit auf Versprechungen zu gründen - das funktioniert nicht. Warum also hören Politiker nicht einfach damit auf, Versprechen zu machen, die ihnen niemand abkauft, die sie sowieso nicht halten können, die überhaupt niemand zuverlässig halten kann, weil sich Politik nun einmal immer in einem intransparenten Wirkungsgefüge bewegt? Grundsatzfrage ohne den Anspruch auf eine abschließende Antwort: was macht Politik überhaupt glaubwürdig?

Anders gefragt: was ist denn wirklich machbar?
Gerechtigkeit ist nicht machbar, Vollbeschäftigung ist nicht machbar, Frieden ist nicht machbar, Umweltschutz ist nicht machbar, Bildung ist nicht machbar, Freiheit ist auch nicht machbar, was auch immer sich die Poltik auf die Fahnen schreibt, das was wirklich machbar ist, ist schlicht und ergreifend sehr begrenzt.

Politik kann Impulse setzen und im günstigen Fall gehen sie in die "richtige Richtung". Was dabei die "richtige Richtung" ist, darüber lässt sich schon streiten. Ob eine bestimmte Entscheidung nun wirklich richtig ist, im Sinne von: "den gewünschten Effekt zeigt", das lässt sich manchmal erst im Rückblick erkennen. Und selbst das ist fragwürdig - denn die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung sind nicht immer so transparent, dass bestimmte Entwicklungen in einem System eindeutig auf eine ganz bestimmte politische Entscheidung zurückgeführt werden können. Skepsis also ist geboten bei monokausalen Erklärungsansätzen und eingleisigen Lösungsansätzen nach dem Motto "jetzt verbieten wir mal die Killerspiele und dann gibt es keine Amokläufe mehr" oder: "wir verlängern die Ferien für die Schüler so lange, bis die Schweine keine Grippe mehr haben".

Offen ist immer noch, was denn nun letztendlich glaubwürdig sein KANN.

Werte? Mehr Wachstum, mehr Bildung, mehr Gesundheit, mehr Umweltschutz? Geht man von einer systemischen Betrachtung aus, ist alles Käse, so gut es auch klingen mag. Insgesamt geht es nicht um einzelne Werte, sondern um die Balance. Verschiedene Systeme, verschiedene Interessen, verschiedene Bedürfnisse, Wünsche, Anliegen und Ziele - die Balance ist das Kunststück, das die Politik insgesamt zu bewältigen hat.

Ziele? Das System selbst zwingt Politikern kurzfristiges Denken auf. Wer über mehr als eine Wahlperiode hinausdenkt, wird damit kaum ernst genommen. Ein Begriff wie "Nachhaltigkeit" deutet aber darauf hin, dass wir längst vor der Notwendigkeit stehen, längerfristig zu denken und das bedeutet eben: über mehrere Generationen hinweg. Die Schwierigkeit liegt dabei nicht nur in der Struktur des menschlichen Bewusstseins, sondern auch in der Kurzlebigkeit politischer Instituitionen.
Grund genug, Glaubwürdigkeit eher dorthin zu verlagern, wo Machtgerangel und Wahlkämpfe nicht stattfinden, Vertrauen dort anzusiedeln, wo sich die Energie auf ein bestimmtes Problemfeld konzentriert und fundierte Antworten auf komplexe Fragen zu erwarten sind.

Absichten? Es liegt nahe, Glaubwürdigkeit dort zu vermuten, wo Absichten nicht nur über einen längeren Zeitraum vertreten werden, sondern auch in konkrete Bemühungen münden. Sprich: glaubwürdig werden Politiker, wenn sie das, was sie angekündigt haben, auch wirklich tun.
Systemisch betrachtet ist das aber auch unsinnig - denn die flexible Reaktion auf Veränderungen und besondere Situationen, die nicht prognostizierbar sind, stellt die Rationalität bisheriger Absichten unter Umständen ziemlich in Frage. Die Einklagbarkeit von Wahlversprechen würde Politiker auf Intentionen festlegen, die nach der Wahl (wohlgemerkt auch aus der Perspektive der Wählerinteressen) unter Umständen nicht mehr sinnvoll sind.

Argumentation? Aussagen können in sich logisch schlüssig, gut begründet und fundiert sein - und trotzdem auf Einwände stossen oder als unglaubwürdig abgetan werden. "Recht zu haben" und glaubwürdig zu sein - das sind verschiedene Dinge.

Glaubwürdigkeit ist ein Beziehungskonstrukt. Was ich damit meine?
Glaubwürdigkeit steckt nicht in einzelnen Aussagen, Positionen oder einer bestimmten Person, Partei usw. Glaubwürdigkeit hängt davon ab, wer was wie in welchem Zusammenhang und in welcher Situation für wen so überzeugend darstellen kann, dass die eigene Auffassung, Meinung, Position als in sich schlüssig akzeptiert wird. Das ist keine "Leistung eines guten Redners" allein sondern ein gemeinsames Erzeugnis, das sich in einer Zuschreibung (des Merkmals "glaubwürdig" an eine Aussage, ein Konzept, eine Person usw.) zeigt. Glaubwürdigkeit ist so betrachtet ein sozialer Konsens. Die eine Richtung, über die man nachdenken kann ist die Frage, ob Poltiker überhaupt irgendwelche Versprechen machen sollten (vor allem, wenn klar ist, dass sie sie sowieso nicht halten können oder halten wollen). Die andere Richtung ist die Frage, ob Politiker im Wahlkampf überhaupt ernst genommen werden können - denn worum es letzten Endes geht, ist ja offensichtlich.

Die Frage hinter den Fragen ist aber auch, ob Politik überhaupt glaubwürdig ist, glaubwürdig sein kann. Für alle und in allen Siuationen.... grosses Fragezeichen.
Denn letzten Endes... machen "die da oben" ja doch, was sie wollen.
Wäre es anders... würde sich keiner drum reißen.

Die Piratenpartei: Politik und das Netz

Es gab ja mal eine Zeit, in der es in Deutschland nur drei Parteien gab, die wirklich eine Rolle spielten - und die Grünen vor der Frage standen, ob der Einzug ins Parlament wohl gelingen würde. Die Zeiten haben sich geändert - die Grünen sind im Bundestag selbstverständlich geworden.
In der Regel richtet sich die Aufmerksamkeit recht stark auf die großen Parteien - wenn Wahlen vor der Tür stehen, zeigen sich aber auch des öfteren kleine Parteien, von denen die meisten nie etwas gehört haben. Sie scheinen bedeutungslos - oft mit eingeschränktem Programm, außergewöhnlichen Positionen, Gesichtern, die niemand kennt oder "namenlos" - ein paar Schlagworte, verbunden mit dem indirekten Appell "wählt uns!". Und der Perspektive, dass mehr als ein paar zufällige Stimmen nicht erreichbar sind. Eine Partei, die regieren will, braucht eine breite Palette von Themen, den Blick für das Ganze - steht aber auch unter dem Druck, Positionen zu formulieren, die einen möglichst breiten Konsens ermöglichen. Themen, die nicht so drückend sind, in der Öffentlichkeit keine große Bedeutung haben, fallen dabei schnell unter den Tisch. Denn damit lässt sich sicher kein Wahlkampf machen....
Nichts ist so beständig wie der Wandel - dass es in Deutschland keiner Partei mehr so recht gelingen mag, die absolute Mehrheit im Bundestag zu bekommen, zeigt die Notwendigkeit parteiübergreifenden Denkens ebenso wie den Sinn parteiunabhängigen Denkens. Da lohnt es sich vielleicht einmal. einen Blick auf die kleinen Parteien zu werfen: was wollen die eigentlich?



Die Piratenpartei scheint noch sehr wenig bekannt zu sein. Allein der Name könnte Anlass sein, mit einem Lächeln abzutun, was immer auch Programm sein mag...
Wer sich eine Meinung bilden will, braucht zunächst Informationen.
Frage also: was ist das für eine Partei, was sind ihre Themen und Ziele?

Es gibt bereits einen Wikipediaartikel zur Piratenpartei - und einige Artikel im Netz. Freier Wissensaustausch, Transparenz der Staatsmacht, Urheber- und Patentrechte, Datenschutz und freie Bildung - Themen also rund um das Internet, eine internationale Organisation mit eingeschränktem Wahlprogramm und geringem politischem Gewicht. Im Moment zumindest. Wenn das Internet an Bedeutung gewinnt, werden auch die Probleme rund um das Internet an Bedeutung gewinnen - ob sich dabei die Piratenpositionen durchsetzen können, ist dabei offen.

Einen Einblick in die Standpunkte der bayrischen Piraten zum Thema "geistiges Eigentum" finden sich in einem Blog: "Hingesehen"  sprach mit Andreas Popp.

Das Parteiprogramm der Piraten  stellt einen Ansatz zur Internetpolitik dar. Freies Kopieren, Datenschutz, Patentrecht, Open Access - Reibungspunkte, die grundsätzliche Rechtsauffassungen in Frage stellen. Die Interessenskonflikte zwischen Urhebern und Nutzern, die gerne umsonst zu allen Informationen Zugang hätten, sind hier leicht zu erkennen.
Soll jeder alles frei kopieren dürfen? Das ist eine Frage, die sich durchaus kontrovers diskutieren lässt. Ein Zitat aus dem Abschnitt zur Transparenz des Staatswesens möchte ich noch herausgreifen:

"Die Abkehr vom "Prinzip der Geheimhaltung", der Verwaltungs- und Politikvorstellung eines überkommenen Staatsbegriffs, und die Betonung des "Prinzips der Öffentlichkeit", das einen mündigen Bürger in den Mittelpunkt staatlichen Handelns und Gestaltens stellt, schafft nach der festen Überzeugung der Piratenpartei die unabdingbaren Voraussetzungen für eine moderne Wissensgesellschaft in einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung." (Aus dem Parteiprogramm der Piratenpartei)

Wie transparent kann und soll ein Staat wirklich sein? Wer hat wirklich ein Interesse daran, dass mündige Bürger Einblick haben können in das, was sich "hinter den Kulissen" tut?
Die Frage, wieviel Kontrolle der Staat über die Bürger und umgekehrt: wieviel Kontrolle die Bürger über den Staat haben, haben sollen, haben können - das ist eine Grundsatzproblem, das mit zunehmender Nutzung des Internets auch immer mehr Menschen berührt.

Im Geiste sehe ich so manchen den Kopf schütteln. "Ich weiss nicht, was ich von der ganzen Geschichte halten soll" - so ungefähr könnte die Haltung aussehen. Regierungsfähig sind die Piraten auf gar keinen Fall. Das Problemfeld, mit dem sie sich beschäftigen, wird aber vermutlich an Bedeutung gewinnen.


Donnerstag, 6. August 2009

Steinmeiers Deutschland-Plan: Perspektive oder Luftblase? (Redeanalyse zweiter Teil)

Vorbemerkung: dieser Artikel ist die Fortsetzung der Analyse zum Deutschlandplan.
"Das Programm, das ich heute präsentiere, zeigt, dass wir in den nächsten zehn Jahren vier Millionen neue Arbeitsplätze schaffen können. Es zeigt, dass wir bis 2020 Vollbeschäftigung erreichen können."
Diese beiden Aussagen markieren den Kern dessen, was strittig ist. Strittig ist dabei genau genommen die Realisierbarkeit - Kritiker behaupten, das sei nicht möglich, hier werden Wahlversprechen gemacht, die nicht haltbar sind. Große Versprechen, die nicht eingelöst werden, das ist ja nichts Neues. Auch, wenn es um das Thema Arbeitslosigkeit geht.

Kann Politik überhaupt Arbeitsplätze schaffen? Ist Vollbeschäftigung bis 2020 möglich? Meine ehrliche Antwort darauf ist: am ersten zweifle ich, was das zweite betrifft - keine Ahnung. Also (nun kommt das Rhetorische ins Spiel): wenn einer so etwas behauptet, dann gehört auch eine Begründung dazu.

"Das Programm, den ich Ihnen heute vorstelle, ist das Kursbuch für den Neustart der sozialen Marktwirtschaft. So etwas denkt man sich nicht am grünen Tisch aus. Ein solcher Plan braucht Wissen aus der Praxis, damit er für die Praxis taugt. Wir haben vier Monate lang recherchiert, Fakten zusammengetragen, Gespräche geführt. Wir haben zugehört bei den Sorgen, den Ängsten, den Wünschen von Unternehmen, Sozialverbänden, Instituten. Wir haben uns umgeschaut, umgehört, umgetan im Inland und im Ausland. Wir haben gefragt: Was treibt sie um, die Unternehmer, die Manager, die Gewerkschafter, die Wissenschaftler? Wo liegen die Probleme? Wo liegen die Chancen? Wo liegen die Hoffnungen? Vor allem aber: Wo sind unsere Stärken? Wie können wir diese Stärken nutzen und entfalten?"
Von Visionen war bereits die Rede. Wenn einer sagt, "ich habe da so eine Idee" oder eine Vision nach dem Prinzip "I had a dream" vorstellt, kann man vielleicht darüber lächeln. Vier Monate Recherche... das klingt eher nach einer sorgfältigen Problemanalyse als nach einem spontanen nächtlichen "Heureka, ich hab's!".
"Ich verzichte darauf, Ihnen die ganzen 67 Seiten jetzt vorzulesen."
Das wäre dann auch wirklich etwas lang geworden... immerhin kann man die 67 Seiten zum Thema "Politik für das nächste Jahrzehnt" auch nachlesen.
Als "Zusammenfassung der Zusammenfassung" möchte ich die 8 Kernpunkte des Plans als Zitate herausgreifen:
"Erstens: Industrie und Produktion müssen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bleiben. Wir wollen sie durch die gezielte Verbindung mit neuen und grünen Technologien modernisieren."

"Punkt zwei ..: Moderne Dienstleistungen werden zum Jobmotor. Wir schaffen mit punktgenauen Rahmenbedingungen die Voraussetzung dafür. Unsere Ziele sind ehrgeizig, aber realistisch: Eine Million neuer Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft, 500.000 weitere in der Kreativwirtschaft und noch einmal 500.000 in Logistik, Handel und Tourismus."

"Punkt 3: Der Mittelstand erhält umfassende Unterstützung. Für die akuten Probleme und für eine langfristige Perspektive."

"Punkt 4: Investitionen in moderne Netze sichern die Zukunft und den Wohlstand."

"Punkt 5: Bildung, Bildung und nochmals Bildung - der Schlüssel für unsere Zukunft."

"Punkt 6: Wir schaffen eine echte Gleichstellung von Frauen und Männern - auch in der Wirtschaft."

"Punkt 7: Ja zur Wertschöpfung, Nein zur Wert-Abschöpfung. Der langfristige, nachhaltige Unternehmenserfolg wird wieder zum Maß aller Dinge."

"Punkt 8: Die Krise darf sich nicht wiederholen. Da, wo sie begonnen hat, brauchen wir neue Regeln - die Finanzmärkte bekommen ein tragfähiges Gerüst."
Eine umfassende Analyse des gesamten Deutschland-Plans kann und will ich hier nicht leisten. Viele Fragen lassen sich nur mit einem tiefen Einblick in wirtschaftliche Zusammenhänge beurteilen. Inhaltlich wird aber deutlich, dass es hier um ein umfassendes politisches Programm geht - und nicht nur um das Thema "Arbeit", das als Aufhänger und Einleitung diente. Wenn man eine nüchterne und skeptische Position vertreten möchte, bleibt zumindest übrig, dass durch
- Modernisierung der Wirtschaft und neue Technologien und
- Förderung des Dienstleistungssektors
tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen können und werden.
Das Anliegen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit neue Jobs entstehen können, ist ebenfalls weder neu noch unglaubwürdig. DIe Zahlen - können nicht mehr als Schätzungen sein, und darin liegt vermutlich der Kern der pauschalen Abwertung des Deutschlandplans als "unglaubwürdig".

Ist Steinmeiers Rede also eine Luftblase, ein leeres und überzogenes Versprechen, das man ihm nicht abnehmen kann?

"...ich haben Ihnen heute mein Programm für Deutschland im nächsten Jahrzehnt vorgestellt. Und manche rufen gleich: Alles nur Wahlkampf! Und das, obwohl sie das Papier noch gar nicht gelesen haben. Was haben die für ein Verständnis von Wahlkampf und Demokratie? Wahlkämpfe gehören zur Demokratie. Aber sie sollten vor allem ein Wettstreit über Ideen und Konzepte sein.
Und manche haben gleich gesagt: Es sei unseriös, Vollbeschäftigung zu versprechen.
Denen sage ich: Ich verspreche auch nicht Vollbeschäftigung.
Ich sage aber: Vollbeschäftigung ist möglich. Ich verspreche, dass ich dafür sehr hart arbeiten werde. Und auf Ihre Unterstützung baue. Denn Vollbeschäftigung kann nur das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung sein."
Eine Aussage scheint mit dabei besonders wichtig zu sein: Vollbeschäftigung ist möglich.
Das ist nun eine handfeste These, mit der sich die gesamte Rede als Fünfsatz rekonstruieren und integrieren lässt:

Was kann die Politik leisten, um neue Arbeitsplätze zu schaffen?
- durch neue Technologien in der Industrie und Produktion können 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen
- durch die Förderung des Dienstleitungssektors können insgesamt weitere 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen
- der Deutschland-Plan sieht umfassende Massnahmen vor, die Voraussetzungen für diese Entwicklungen zu schaffen
Vollbeschäftigung ist bis 2020 möglich.

Sinn und Zweck dieser Rekonstruktion sollte es sein, die Frage der Glaubwürdigkeit präziser zu fassen - und zu klären, wo die Kritik denn nun ansetzen kann, wenn sie vernünftig sein soll.
Weitgehend konsensfähig dürften die Thesen sein, dass
a) durch neue Technologien auch neue Arbeitsplätze entstehen und
b) dass politische Entscheidungen die Entstehung neuer Arbeitsplätze begünstigen können.

Streiten kann man sich darüber, ob die Zahlen stimmen. Die Frage ist aber auch - sind sie wichtig? Kommt es darauf an, ob exakt am 1. Januar 2020 ganz genau 4 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind? Werden hier einfach Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen und als Grundlage für eine pauschale Abwertung des gesamten Konzepts benutzt? Ich meine, dass diejenigen, die Steinmeiers Rede als unglaubwürdig abtun, ihm nicht gerecht werden.

Formal und inhaltlich haben wir keine Rede vor uns, in der irgend etwas zusammenfantasiert und visionär verkleistert wird - die Beschreibung als "Problemanalyse und politisches Programm" kommt meiner Ansicht nach dem Inhalt näher. Dass darin eine argumentative Struktur erkennbar ist, hoffe ich deutlich gemacht zu haben.

"SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zieht mit dem Versprechen in den Wahlkampf, bis zum Jahr 2020 vier Millionen neue Jobs zu schaffen. Union, FDP, Grüne und Linkspartei kritisieren das als unglaubwürdig und unseriös." So stellt die Tagesschau - eine Umfrage vor. Die Wirkung der Rede gleicht einem taktischen Eigentor - und lässt die Frage offen, wer sich nach alledem wirklich intensiv mit den Gedankengängen auseinander setzen wird... Parteipolitik verdeckt dabei leicht, worum es eigentlich gehen sollte - um Probleme und Lösungen. Um das, was sinnvoll ist. Rationalität in der Politik - das könnte bedeuten, konkrete Vorschläge zu untersuchen und auf ihre Realisierbarkeit hin zu befragen. Aber es ist eben Wahlkampf, da geht es um Köpfe und Positionen, sich selbst ins gute und die anderen ins schlechte Licht rücken, es geht um Stimmen, Mehrheiten, Macht. Und nicht in erster Linie um die Sache. Als Person wirkt Frank-Walter Steinmeier auf mich weder unglaubwürdig noch unseriös - aber seine Botschaft scheint nicht anzukommen.

Vielleicht hätte er einfach nur die Zahlen weglassen sollen?

Immerhin: inzwischen wird der Deutschland-Plan nun doch diskutiert - wer mitreden will, ist gut beraten, einer knappen Empfehlung zu folgen: erst lesen, dann urteilen.

Redeanalyse: Steinmeiers Deutschland-Plan (Erster Teil)

Vier Millionen neue Arbeitsplätze, Vollbeschäftigung bis 2002 - so ist es vorgesehen im Deutschlandplan der SPD. "Unglaubwürdig", meint Oskar Lafontaine dazu. Solche Versprechen gab es ja schon öfter - und dann wurde doch nichts draus...

Zuerst: hier ist die Rede.




Mehr als eine Stunde dauerte die Rede - und der Versuch einer Redeanalyse, im wesentlichen beschränkt auf den Redetext, natürlich noch länger.
Ausgangspunkt der Redeanalyse ist die Kritik, die an Steinmeiers Rede geübt wurde.

Ist sie wirklich unglaubwürdig?
Wenn ja, woran lässt sich diese Unglaubwürdigkeit erkennen?
Was ist überhaupt Glaubwürdigkeit?


Aus der Perspektive einer formalen Betrachtung lässt sich Glaubwürdigkeit festmachen an Aussagen, die begründet sind (also nicht einfach "leer im Raum stehen"), sich auf Fakten beziehen, überprüfbar sind. Dabei geht es nicht nur um einen Gesamteindruck, sondern um auch um Details - jede einzelne Aussage kann mehr oder weniger glaubwürdig sein und je nach persönlicher Gewichtung zum Gesamteindruck beitragen.

Die Rede beginnt mit einer Begrüßung, einem Element also, das "sich gehört", dem Erwartungshorizont der Zuhörenden entspricht. Anschließend wird das Themenfeld abgesteckt: worum es denn nun gehen soll in dieser Rede, was Inhalt und Anliegen der folgenden Darstellung sein soll.

"Es geht nicht um allgemeines Gerede über die Krise. Sondern darum, was in Deutschland geschehen muss, um die Krise nachhaltig zu überwinden und neue Arbeitsplätze zu schaffen."
Was mir hier auffällt, sind Unterschiede in der Wirkung auf Hörende und Leser. Als Zuhörer bleiben vielleicht nur Stichworte 'hängen", hier soll es also um "Krise" und "Arbeitsplätze" gehen, nicht um "allgemeines Gerede", sondern (vermutlich) um etwas Konkretes. Als geschriebener Text werfen die beiden Sätze Fragen auf - wie ist das denn nun gemeint? Was ist mit Krise gemeint und welche Logik steckt in den Aussagen? Muss "etwas geschehen", um die Krise "nachhaltig zu überwinden" - oder käme die Formulierung "es muss etwas getan werden, damit wir die Krise überwinden können" dem Gemeinten näher? Steht das Schaffen neuer Arbeitsplätze am Ende der Krise oder ist sie ein Mittel, um die Krise zu überwinden? Wenn nun "Krise" bezogen ist auf die Arbeitslosenquote, ist dann das Schaffen neuer Arbeitsplätze das Mittel zur Überwindung - oder nur eine verkürzte Darstellung, die auf der Annahme basiert, dass "neue Arbeitsplätze" auch automatisch "weniger Arbeitslose" bedeutet.
Hier lässt sich bereits die Frage stellen, wie es denn mit der Möglichkeit aussieht, dass "an anderer Stelle" Arbeitsplätze wegfallen - dann nämlich gäbe es insgesamt eben auch nicht mehr Arbeit und die Logik "Arbeitsplätze schaffen, um Arbeitslosigkeit zu überwinden" läuft ins Leere.
Potentiell missverständlich ist auch die Formulierung, eine Krise "nachhaltig zu überwinden" - geht das überhaupt? Trennen wir die Aspekte, sind es zwei verschiedene Anliegen - eine Krise überwinden und nachhaltige, sprich: langfristig tragfähige Lösungen zu finden.
Was beim Lesen an dieser Stelle noch unklar sein mag, wird im weiteren Verlauf deutlicher.
Fragen werden benannt, die "sich viele stellen":

"Wo sollen Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand künftig herkommen?
Was tut die Politik, damit so eine Krise nie wieder passiert?
Wie stellen wir sicher, dass Unternehmen langfristig investieren und verantwortlich agieren?"
3 Fragen also sind aufgeworfen. Und die Antworten?
"Die nächsten Jahre werden schwierig - für die Unternehmen, aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur mit neuen Ideen und einem klaren Kompass können wir es schaffen, dass die Krise nicht in eine lang anhaltende Schwächephase mit vielen Hunderttausenden zusätzlichen Arbeitslosen einmündet."
Neue Ideen und ein "klarer Kompass", zwei Begriffe also, die eine Strategie andeuten, daneben eine präzisere Zieldefinition: eine "lang anhaltende Schwächephase (der Wirtschaft)" und "viele Hunderttausende zusätzliche Arbeitslose" verhindern. Fügt man nun die Aussagen zusammen, ergeben sich zwei unterschiedliche Zielsetzungen:

  • neue Arbeitsplätze schaffen
  • ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindern
(die Formulierung: "verhindern, dass weitere Arbeitsplätze wegfallen" ist ein Interpretationsschritt, dürfte aber dem Anliegen des Redners entsprechen)

An dieser Stelle möchte ich kurz auf eine andere Ebene wechseln, den nächsten Abschnitt zunächst überspringen und den Aspekt "neue Ideen" zusammen mit dem Zitat von Helmut Schmidt kommentieren. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen".
Dahinter steht eine bestimmte Auffassung von Politik, ein klarer Realitätsbezug, frei von Spekulationen und wilden Fantasien... so ungefähr. Wenn ich den Begriff "Visionen" näher betrachte, bieten sich mindestens drei verschiedene Bedeutungen an.
1. Visionen als Vorstellungen von dem, was sein kann. Die Mondlandung war für Kennedy zunächst eine Vision, ein fernes, für viele unrealistisch erscheinendes Ziel. Zehn Jahre hatte er angesetzt und ein Ziel formuliert, das sich tatsächlich als realisierbar erwiesen hat. Hätte man den Präsidenten deshalb zum Arzt schicken sollen?
2. Visionen als paranormale Phänomene sind ein Thema für die Parapsychologie und nicht "an sich" ein Zeichen psychischer Krankheit. Nüchtern betrachtet könnte sich um die Einsicht in Zusammenhänge handeln, die anderen verborgen bleiben. Etwas bescheidener von Intuition zu sprechen könnte durchaus eine wertvolle Fähigkeit für Politiker sein - und das Bild vom "Kompass" anschaulicher beschreiben.
3. Visionen im Sinne von Halluzinationen und Wahnvorstellungen - das war es wohl, was Helmut Schmidt gemeint hat und ihn an einen Psychiater denken ließ.

Perspektivenwechsel, Frage an die Hörer/Leser der Rede:
ist Frank-Walter Steinmeier ein Visionär?


Insgesamt (persönlicher Eindruck) wirkt er eher nüchtern, realistisch, analytisch. Nicht wie einer, der halluziniert und zum Psychiater sollte, von besonderen Visionen war bis zu dieser Stelle noch nicht die Rede und - neue Ideen sollten in der Politik willkommen sein.

Nächster Abschnitt in der Rede:

"Wenn wir nichts tun oder gar das Falsche tun, dann habe ich die Sorge, dass unser Land auseinander driftet, dass es brüchig wird, dass es sich spaltet in Arm und Reich, in Gewinner und Verlierer, in die da oben und die da unten, in bewachte Stadtviertel, in die keiner mehr darf, und in soziale Brennpunkte, in die sich keiner mehr traut. Es darf nicht dazu kommen, dass Menschen durch den Rost fallen, dass Unternehmen kaputt gehen, dass Landstriche veröden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Werte und Errungenschaften unwiederbringlich verloren gehen. Dass die Solidarität und die Toleranz, die Deutschland seit 1945 wie keine andere Nation zu ihren Grundfesten gemacht hat, erodieren und verschwinden."
Kurze Kommentare dazu: soziale Gerechtigkeit ist ein wichtiges Thema, die Spaltung in Arm und Reich haben wir längst. Wenn ein Manager für seinen Abgang 50 Millionen bekommt, können "Normalsterbliche" nur noch mit dem Kopf schütteln... Dass Unternehmen kaputt gehen wird immer wieder geschehen und keine Politik wird das verhindern können. Was aber möglich ist und auch geschieht, ist das Nachdenken über Werte. Die Frage nach Werten ist gleichzeitig ein Ansatzpunkt für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit (die an sich ebenfalls ein Wert ist): trennen lässt sich dabei die Glaubwürdigkeit einer Aussage von der Glaubwürdigkeit einer Person.

Bevor Steinmeier auf den Deutschland-Plan eingeht, wird ein zentrales Anliegen deutlich:

"Bei der Wahl am 27. September geht es deshalb nicht nur um Steinmeier oder Merkel, ... es geht darum, wie Deutschland in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, in den Jahren nach der Krise, in den Jahren der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung, aussehen soll."
Zurück zur Frage der Glaubwürdigkeit... bis zu dieser Stelle hat der Redner...
  • ein Thema genannt,
  • Fragen formuliert,
  • Probleme benannt,
  • Ziele beschrieben (als Richtungsziele, aber auch als Vermeidungsziele)
  • an Werte appelliert und
  • eine Position bezogen
Zusammengefasst: da denkt einer zehn bis zwanzig Jahre voraus, sucht in einer kritischen Situation nach Wegen, beschreibt Werte und Ziele und behauptet, er habe dazu neue Ideen. Rein formal macht ihn nichts von alledem unglaubwürdig. Trotzdem nehmen ihm das manche nicht ab - das alles sei eine "Verzweiflungstat vor der Wahl".
Wie sieht es denn nun aus mit Steinmeiers Deutschland-Plan. Ist er wirklich nur eine Luftblase, eine Verzweiflungstat vor der Wahl - oder eine Perspektive?

(hier geht es zur Fortsetzung)

Dienstag, 4. August 2009

Das echte Gespräch

Scheingespräche, Pseudokommunikation... die nette Insiderformulierung "da hat mir einer ein Gespräch geredet", was im Klartext bedeutet: das war ein Scheingespräch, da hat mir jemand nicht zugehört und ist auf meine Äußerungen nicht eingegangen... eine klare Definition für den Begriff "Scheingespräch" zu finden ist gar nicht so einfach. Mehrere Denkmodelle sind möglich und aus verschiedenen Gründen sinnvoll. Die eher unangenehme Einsicht ist, dass es sehr wenige echte, vollständige Gespräche gibt, und das hat viele Gründe. Was nun herauskam bei dem Versuch, zu klären, was ein echtes Gespräch denn nun ist und von einem Scheingespräch unterscheidet, ist eine Liste von Merkmalen.

1. Freiwilligkeit
Alle Beteiligten können frei entscheiden, ob und inwieweit sie sich am Gespräch beteiligen oder nicht.

2. Verantwortlichkeit
Alle Beteiligten stehen zu ihren Äußerungen, übernehmen Verantwortung für sich, ihre Aussagen und ihre Beziehungen - aber nicht füreinander.

3. Geteilte Situationsmacht
Alle Beteiligten können über Themen, Inhalte, Ort und Zeit des Gesprächs mitbestimmen.

4. Symmetrie und Wechselseitigkeit
Die Beteiligten sprechen "auf Augenhöhe" miteinander, es gibt kein deutliches Machtgefälle, keine einseitige Weisungsbefugnis.

5. Tauschbarkeit der Rollen
Alle Beteiligten können prinzipiell alle Rollen einnehmen.

6. Volle Verfügbarkeit über alle Sprechhandlungen
Alle Beteiligten können sich äußern und Fragen stellen.

7. Gesprächsregularien sind verhandelbar
Die Regeln, denen das Gespräch folgt, sind prinzipiell verhandelbar.

8. Gesprächsprozess und Ergebnis sind offen
Was im Verlauf des Gesprächs zum Thema wird, welche Schwerpunkte dabei gesetzt werden und was am Ende "dabei herauskommt", ist offen.

9. Äußerungen sind zu einem hohen Anteil auf Äußerungen anderer bezogen
Alle Beteiligten nehmen wieder aufeinander Bezug, greifen Äußerungen anderer auf, ergänzen, fragen, klären usw.

10. Es gibt kein Steuerungsmonopol
Alle Äußerungen können inhaltsbezogen, personbezogen oder verlaufsbezogen sein.

11. Freie Meinungsäußerung
Alle Beteiligten können ihre Meinung frei äußern, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

12. Selbstbestimmung
Wer woraus welche Konsequenzen für das je eigene Verhalten bzw. Handeln zieht, ist offen - alle Beteiligten sind und bleiben für ihre Entscheidungen und Handlungen selbst veranwortlich.

Alle zwölf Merkmale einzufordern setzt die "Latte" sehr hoch an - dann gibt es nur sehr wenige echte Gespräche, die meisten sind eben auf die eine oder andere Art "Pseudo". Realistisch ist also der Gedanke, dass Gespräche meist personal, situativ und thematisch eingeschränkt sind. Ob und inwieweit das in welcher Situation sinnvoll und angemessen ist, darüber lässt sich viel nachdenken... Immerhin: anhand der Merkmale lassen sich Ansatzpunkte bestimmen, die zu einer Vervollständigung "unechter Gespräche" führen können. Lernen und lehren kann man echte Gespräche genau genommen überhaupt nicht - denn ein Seminar zum Thema "echte Gesprächsführung" würde durch den Rahmen bereits Rollenmuster und eine inhaltliche Struktur vorgeben. Die Hintergründe für verschiedene Einschränkungen in Gesprächen lassen sich auch nicht so ohne weiteres aufzulösen - sich all diese Dinge bewusst zu machen bedeutet aber, sich von der Illusion zu befreien, Lehrer könnten mit Schülern, Vorgesetzte könnten mit Mitarbeitern wirklich echte Gespräche führen.
Eingeschränkt und damit unecht und defizitär werden die meisten Gespräche durch Situations- und Rollenmuster. Muster, die uns so selbstverständlich erscheinen, als seien sie "vom Himmel gefallen". Das sind sie aber nicht... sie haben sich entwickelt und etabliert, können mehr oder weniger sinnvoll sein. Die Frage ist, worin das Scheinbare des Scheinbaren wirklich besteht - Vorgesetzte, die von "flachen Hierarchien" sprechen und mit Sprüchen wie "wir sind ein Team" Symmetrie vortäuschen, verschleiern damit im Grunde nur die Realität ungleicher Rechte. Lehrer, die glauben, sie könnten mit ihren Schülern wirklich "ins Gespräch" kommen, täuschen sich über die Beschränkungen hinweg, die mit vorgegebenen Lehrplänen verbunden sind. Authentisch sind nur jene Gespräche, in denen das Unechte des Unechten erkannt und auch benannt werden kann.

Montag, 3. August 2009

Clean zu bleiben ist nicht leicht

Ein Kommentar sollte es werden, zur Geschichte von Terraconz, der einem "alten Freund" wieder begegnet ist. Aus dem Kommentar wurde leider nichts... die Verbindung wurde unterbrochen...
Deshalb also nochmal von vorn... in der Tat, es kann schnell gehen. Rückfälle können auch nach vielen Jahren noch geschehen. Das ist einfach so - es ist aber auch eine Frage, wie man einen solchen Rückfall interpretiert. Die Vorstellung "jetzt bin ich rückfällig geworden, jetzt kann ich auch weitersaufen (oder weiter konsumieren)" sollte der Vergangenheit angehören. Denn ein Rückfall (sprich: erneuter Konsum des Suchtmittels nach längerer Zeit der Abstinenz) heisst nicht, das "alles umsonst" war.
Der erste Schritt ist, einen Rückfall gründlich aufzuarbeiten, der zweite: bei Bedarf Hilfe in Anspruch nehmen. Nachsorge also ist wichtig, Selbsthilfegruppen sind wichtig und noch eine weitere Einsicht, die mit Abhängigkeitserkrankungen allgemein sehr viel zu tun hat.
Mit einer einmaligen Entscheidung zur Abstinenz ist es eben nicht getan. Irgendwie scheint es logisch zu sein, dass zuerst eine Abstinenzentscheidung da sein muss, bevor eine Therapie Sinn machen kann. Irgendwie scheint es logisch zu sein, dass das Thema "Abstinenzentscheidung" als abgehakt gelten kann, wenn sie denn einmal getroffen ist. Manche können erst im Verlauf einer Therapie eine Abstinenzentscheidung treffen, andere überhaupt nicht. Während bei Alkoholikern die Abstinenzentscheidung einfach zu sein scheint, sich eben darauf bezieht, keinen Alkohol mehr zu trinken, wird es bei Drogenabhängigkeit schon wesentlich komplizierter. Aber auch beim Thema Alkohol geht es ja nicht nur ums "Trinken" - Alkohol ist eben auch in vielen Lebensmitteln enthalten, nimmt man alkoholhaltige Medikamente hinzu, wird erkennbar, dass es auch hier um viele Einzelentscheidungen geht, wenn der Verzicht auf Alkohol "rund" werden soll.
Clean bleiben - das mag für einen Heroinabhängigen bedeuten, auf Heroin zu verzichten. Aber ab und zu mal ein "Bierchen", das ist ja etwas anderes... In der Tat scheinen manche zumindest eine Zeit lang ganz gut damit zurecht zu kommen. Die Gefahr der Suchtverlagerung ist trotzdem groß, aber das ist ein anderes Thema. Der Gedanke, um den es mir geht, als Erklärung für den Absturz des besagten Freundes, ist die Mehrdimensionalität der Abstinenzentscheidung. Etwas einfacher formuliert: "clean" zu bleiben heißt eben, auf alle Drogen zu verzichten. Auf die gesamte Palette. Und - auf Alkohol.
Mit dem Gedanken, die Abstinenzentscheidung als "mehrdimensionales Prozesskonstrukt" zu verstehen ist aber noch ein weiteres Moment verbunden. Einmal genügt eben nicht. Die Abstinenzentscheidung ist ein Prozess, der beständig erneuert werden muss, es ist eine Haltung, die immer wieder neu eingeübt werden muss. Dort, wo das Cleansein schwierig wird, kann die Abstinenzentscheidung brüchig werden, ein schwacher Moment kann dann genügen, um einen Rückfall auszulösen, der dann wirklich die gesamte Palette der lange eingeübten Suchtmuster reaktiviert. In diesem Begriff der Abstinenzentscheidung findet sich vielleicht eine Antwort auf die Frage, warum es manche schaffen, sehr lange clean zu bleiben, andere eben nicht.

Eine simple Überlegung läuft darauf hinaus, nach Gründen zu fragen, die für das Cleansein sprechen. Wer es gern systematisch hat, kann versuchen, für sich selbst eine spezifische Instruktion zu entwickeln. Insgesamt aber hängt viel davon ab, Unterstützung zu bekommen, wenn es darauf ankommt. Clean zu bleiben ist eben nicht leicht.

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