Alfred Adler sprach vom Minderwertigkeitskomplex, in der Schematherapie nach Young taucht das Schema Unzulänglichkeit auf. Auf die Theorien zur Entstehung möchte ich hier nicht näher eingehen. Ausgehend vom Schemakonzept interessieren mich im Moment mehr die sprachlichen Formulierungen, in denen sich "Unzulänglichkeit" ausdrückt. Und - die Konsequenzen, somit die Ansatzpunkte für die Bearbeitung dieser Denkmuster über sich selbst.
Kleine Unzulänglichkeit des Posts: der Text in der Grafik ist zu klein...
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Im Modell zur Struktur des Selbstkonzepts ist hier vor allem das Selbstkonzept der Fähigkeiten betroffen, es lassen sich aber auch Formulierungen beschreiben, die sich auf das Selbstkonzept der Persönlichkeit beziehen. Das Erleben, unzulänglich zu sein, kann sich auf die Zuschreibung negativer Persönlichkeitsmerkmale beziehen ("Ich bin zu dumm, zu ungeschickt, zu..."), oder auf die Selbsteinschätzung, in bestimmten Bereichen eben nicht "wertvoll" (genug) zu sein. Ich glaube, dass sich so manches genauer erkennen lässt, wenn man bestimmten Formulierungen und ihren Hintergründen etwas näher nachgeht.
Zunächst hat die Aussage "ich bin minderwertig" etwas Statisches an sich. Kein Impuls für Veränderungen lässt sich direkt darin erkennen. Welche Gefühle dadurch ausgelöst werden, kann jede und jeder für sich ausprobieren. Und dann, als Kontrastprogramm, dem Satz nachspüren: "es gibt Bereiche in meinem Leben, in denen ich meine Fähigkeiten weiterentwickeln möchte". Wer mag, kann und darf Kommentare dazu hinterlassen.
Ein weiterer Ansatz bezieht sich auf die Formulierung "ich bin nicht gut genug". Auch hier findet sich etwas Statisches. Möglichkeiten, die Aussage zu ergänzen, sind:
Ganz ehrlich: ich bin nicht schnell genug, um den Weltrekord im Hundertmeterlauf brechen zu können. Große Sorgen mache ich mir deswegen nicht. Leute, die in allen möglichen anderen Disziplinen Goldmedaillen gewonnen haben, sind auch nicht schnell genug, um gerade im Hundertmeterlauf einen neuen Rekord aufzustellen. Was ich damit deutlich machen möchte, ist der Situationsbezug - und die allgemeine Behauptung, dass man an alle Menschen überall auf der Welt Ansprüche stellen kann, denen sie eben nicht gerecht werden können. Sind sie deshalb alle minderwertig? Und wenn, wer ist dann überhaupt (noch) etwas wert? Eine weitere Variation: "ich bin nicht gut genug, wenn ich davon ausgehe, dass ich bestimmte Ansprüche unbedingt erfüllen müsste". Der Schlüsselbegriff ist hier "Anspruch", genauso wichtig sind aber auch die Aspekte "unbedingt" und "davon ausgehe(n), dass...".
Ganz ehrlich: ich bin nicht schnell genug, um den Weltrekord im Hundertmeterlauf brechen zu können. Große Sorgen mache ich mir deswegen nicht. Leute, die in allen möglichen anderen Disziplinen Goldmedaillen gewonnen haben, sind auch nicht schnell genug, um gerade im Hundertmeterlauf einen neuen Rekord aufzustellen. Was ich damit deutlich machen möchte, ist der Situationsbezug - und die allgemeine Behauptung, dass man an alle Menschen überall auf der Welt Ansprüche stellen kann, denen sie eben nicht gerecht werden können. Sind sie deshalb alle minderwertig? Und wenn, wer ist dann überhaupt (noch) etwas wert? Eine weitere Variation: "ich bin nicht gut genug, wenn ich davon ausgehe, dass ich bestimmte Ansprüche unbedingt erfüllen müsste". Der Schlüsselbegriff ist hier "Anspruch", genauso wichtig sind aber auch die Aspekte "unbedingt" und "davon ausgehe(n), dass...".
..."ich bin nicht gut genug für..." undEin konkretes Beispiel zu diesem Thema: "ich versuche immer, es allen Recht zu machen, aber das gelingt mir meistens nicht". Die Erfahrung der Unzulänglichkeit ist hier gekoppelt an einen Anspruch, der sich in der Regel als unerfüllbar erweist. Eine nette Geschichte dazu erzählen die Brüder Lazarus in ihrem Buch "Der kleine Taschentherapeut" im Kapitel "Niemand ist vollkommen!":
..."ich bin nicht gut genug, um..." - oder auch:
..."ich bin nicht gut genug, weil...".
Bei einer Party, zu der wir kürzlich eingeladen waren, verkündete einer der Gäste voller Stolz: "Ich bin ein Perfektionist!" Er war ziemlich konsterniert, als wir sagten: "Tut uns leid, das zu hören. Sie haben unser ganzes Mitgefühl!" (LAZARUS, A. & LAZARUS, C. (1999). Der kleine Taschentherapeut. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 60f.)
Die Wege gehen auseinander, je nachdem, wie man das Thema "Unzulänglichkeit" betrachtet. In der statischen und pessimistischen Variante ist es das Ergebnis frühkindlicher Erlebnisse, an denen sich nun einmal nichts ändern lässt. In der dynamischen und rationalen Variante sind Gefühle von Minderwertigkeit die Konsequenz aus bestimmten Denkmustern, die sich untersuchen und verändern lassen. Genau das ist das Anliegen der Kogntiiven Therapie, auf die die Brüder Lazarus in ihrem "Taschentherapeuten" zurückgreifen.
Das alles bedeutet nicht, alle Deifzite, die man an sich selbst erkennen mag, "gesund zu beten" oder zu ignorieren. Denn in diesem Eindruck, "nicht gut genug" zu sein, kann eben auch ein Impuls liegen, der durchaus konstruktiv werden kann. Anstatt im Frust darüber zu baden, dass dieses und jenes nicht gelingen mag, lässt sich die eigene Energie auch dort investieren, wo sich Ansatzpunkte zeigen, hier und da etwas besser zu machen. Aus der praktischen Unmöglichkeit, komplett in allen Lebensbereichen in jeder Hinsicht absolut unzulänglich zu sein, ergibt sich die logische Konsequenz, dass es immer auch Fertigkeiten und Fähigkeiten gibt, die als wertvoll anerkennenswert sind. Dort, wo das Bedürfnis angestupst wird, zu wachsen und zu reifen und deutlich wird, dass Entwicklung im Erwachsenenalter keinesfalls aufhört, lässt sich viel tun, um dem Schema "Unzulänglichkeit" eine ganze Menge entgegen zu setzen.
Wünschenswert ist aber auch, dass Eltern, Lehrer, Pädagogen, Führungskräfte, Personalleute usw. endlich damit aufhören, anderen Leuten zu sagen, sie wären eben "nicht gut genug", "nicht belastbar", "nicht teamfähig" oder was auch immer ihnen als Zuschreibung negativer "Eigenschaften" einfällt. Denn all das ist gesundheitsschädigend. Wesentlich wertvoller ist ein Klima, in dem Menschen wachsen, sich entwickeln und etwas dazu lernen können. Wenn all diejenigen, die andere als "unzulänglich" oder "minderwertig" betrachten, einmal in den Spiegel sehen würden, um darüber nachzudenken, was sie alles NICHT können... könnte die Erkenntnis, dass es die allumfassende menschliche Kompetenz nicht geben kann, einen realistischeren Umgang miteinander einläuten. Der Gedanke, dass irgendein Mensch auf der Welt unzulänglich oder minderwertig sei, ist nichts anderes als Ausdruck einer menschenverachtenden Ideologie.
Hallo Rolf.
AntwortenLöschenEin interessanter Artikel.
Ich finde ihn mutig und unnötig zugleich.
Warum?
Weil, auf Unzulänglichkeit aufmerksam machen zu wollen oder zu müssen, ist mutig und unnötig zugleich.
Hallo Mona,
AntwortenLöschenwer sich mit Ängsten, Depressionen, Sucht, Essstörungen oder der Borderlinestörung beschäftigt oder selbst davon betroffen ist, stösst früher oder später auf solche Probleme. Und fragt sich, wie man damit fertig werden kann, welche Impulse dabei hilfreich sind. Für Leute, die rundherum mit sich zufrieden sind, ist so ein Artikel wohl wirklich unnötig. Vielleicht ist es trotzdem sinnvoll, darauf aufmerksam zu machen, dass wohl mehr Leute mit der Überzeugung, unzulänglich zu sein, ihre liebe Not haben als die meisten ahnen.
Lieber Rolf,
AntwortenLöschen"Unzulänglichkeiten" sind Teil der eigenen Persönlichkeit.
Entweder man freundet sich mit ihnen an, oder man bekämpft sie.
Rolf,
AntwortenLöschenzu Deiner oben abgebildeten Grafik fällt mir noch ein:
In der Mitte Deiner Grafik, steht farblich hervorgehoben, das Wort Selbstkonzept.
Müsste dort nicht stehen "Mein Selbstkonzept" ?
Hallo Mona,
AntwortenLöschensolange Unzulänglichkeit auf kleine Schwächen bezogen ist, muss man wirklich keinen großen Wirbel drum machen. Was mit einem "Schema" hier gemeint ist, ist eine tief verwurzelte Überzeugung, grundsätzlich unzulänglich zu sein. Wenn man sich selbst mit Schwächen akzeptieren kann, ist das schon eine gesunde Einstellung. Problematisch ist vor allem die generalisierte Zuschreibung von Unfähigkeit "in jeder Hinsicht, in jeder Situation". Da wird es dann wirklich problematisch.
...zum Selbstkonzept...:
AntwortenLöschen"mein Selbstkonzept" ist durchaus korrekt. Das ist ein Fachartikel, der einen Fachbegriff verwendet. Noch treffender ist im Grunde: "mein Bild von mir selbst". Und die Teile sind dann "Vorstellungen von dem, was ich kann/bin/soll oder muss/darf usw."
Rolf,
AntwortenLöschenes darf nicht vergessen werden zu erwähnen: Unzulänglichkeiten wachsen nicht unbedingt auf eigener Einschätzung, sondern werden einem auch gerne eingeredet.
Also muss doch eine entsprechende Botschaft lauten:
Nicht überall wo Unzulänglichkeit vermutet wird, ist auch Unzulänglichkeit vorhanden.
Genau Mona,
AntwortenLöscheneine Schauspielschülerin fällt mir dabei immer wieder ein. Ihr wurde gesagt, sie hätte nicht das geringste Talent und würde nie eine Rolle bekommen. Sie hat sehr darunter gelitten, ist inzwischen aber berühmt. "Species", "Alien" - es geht um Sigourney Weaver. Die Distanzierung von den Urteilen anderer ist dabei ein wichtiger Schritt.
Genau Rolf,
AntwortenLöschenund auf diese Distanzierung von den Urteilen anderer, hast Du meines Erachtens nach, in Deinem Text nicht ausreichend hingewiesen.
Richtig,
AntwortenLöschendas ist eigentlich einen längeren Post wert... immerhin habe ich das Interview mit Sigourney Weaver wenigstens auszugsweise gefunden. Es wurde in der ZEIT veröffentlicht, Ausgabe 18, im Jahr 2000. Schon eine Weile her, aber hängen geblieben... unter "Gelesen" ist der Auszug abrufbar. Sie hat eine ganze Weile dafür gebraucht - als Denkanstoss lasse ich gern den Satz los "ich bin nicht identisch mit dem Bild anderer von mir". Aber es ist nicht immer leicht, das Selbstbild von den sozial vermittelten Fremdbildaspekten abzulösen. Wer immer wieder hört "du kannst nichts", glaubt es meist irgendwann. Sigourney Weaver hat es geschafft, sich davon zu lösen und das hat mich sehr beeindruckt.
Rolf,
AntwortenLöschendann schreibe diesen "längeren Post".
Ich wünsche Dir eine angenehme Nachtruhe.
:-)
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