Traumatische Erlebnisse scheinen für manche Psychotherapeuten ein rotes Tuch zu sein – mehrfach habe ich von Patienten erfahren, sie seien damit abgewiesen worden, in den Einzelgesprächen im Verlauf einer psychosomatischen Rehabilitation sei ihnen gesagt worden, das müssten sie wieder mit nach Hause nehmen, dafür sei hier keine Zeit.
Solche Erfahrungen machen die ganze Angelegenheit oft noch unangenehmer – wenn sich jemand nach vielen Jahren oder Jahrzehnten endlich dazu durchgerungen hat, von schlimmen Erlebnissen zu berichten, dann sollten sie nicht auch noch die Erfahrung machen, dass niemand darauf eingehen will.
Natürlich gibt es spezielle Zusatzausbildungen für die Traumatherapie, natürlich macht es Sinn, nach Psychotherapeuten zu suchen, die sich darauf in besonderer Weise spezialisiert haben. Aber auch ohne den Anspruch, in die Aufarbeitung tief und umfassend einzusteigen, lässt sich einiges tun, um Wege aufzuzeigen, Entlastung zu ermöglichen und vor allem die Erfahrung des Alleinbleibenmüssens mit unangenehmen Erfahrungen zu korrigieren.
Eben das ist gemeint mit dem Ansatz fragmentierter Traumabearbeitung. Gewalterfahrungen, Missbrauch, Misshandlung, schlimme Unfälle usw. lassen sich nicht in 5 Minuten aufarbeiten, Traumafolgestörungen nicht mit einem einzigen Zauberspruch aus der Welt schaffen. Gerade dann, wenn ein Erlebnis überwältigend, niederschmetternd, überfordernd oder unerträglich war, lässt es sich nicht ‚als Ganzes’ erfassen. Wer dem Prinzip ‚Erinnern und Durcharbeiten’ folgt und dabei solche Situationen untersucht, wird immer wieder neue Aspekte entdecken können. Möglichst viel aufzudecken und dann die Traumatisierten damit allein zu lassen, das ist das Schlimmste, was man ihnen antun kann. Schrittweise vorzugehen und dabei immer mehr Fähigkeiten zu aktualisieren und weiter zu entwickeln dagegen eine sehr wirksame und hilfreiche Methode.
Die Frage, wann ein Trauma hinreichen ‚bearbeitet’ oder ‚aufgearbeitet’ ist, lässt sich nicht so leicht beantworten. Traumafolgestörungen sind gute Kriterien dafür: wenn flashbacks, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Albträume usw. nachlassen, scheint die Aufarbeitung gelungen. Es kann aber auch bedeuten, dass das traumatische Erlebnis erneut weit weggeschoben, analytisch gesprochen massiv verdrängt wird. Vielleicht ist das ja auch sinnvoll und damit komme ich zu einer differenzierteren Betrachtung dessen, was als Verdrängung bezeichnet und oft als unangemessen bzw. krankhaft eingeordnet wird.
Die Psyche verfügt über Schutzmechanismen.
Wenn eine Situation unerträglich ist, kann ich mich aus ihr befreien – selbst dann, wenn ich mich kaum bewegen kann. In meiner Phantasie bin ich dann ganz woanders, gar nicht da, das Schlimme betrifft mich nicht, hat mit mir nichts zu tun. Ich bin woanders, ich bin ein anderer, das was mir widerfährt, bin ich nicht.
Vielleicht dauert es dann Jahre oder Jahrzehnte, bis das Erlebnis sich wieder meldet, gewissermaßen ‚Hallo’ sagt und nun endlich mal bearbeitet werden möchte. Wie ein Brief, zeitgemäßer vielleicht: eine E-Mail, die immer noch nicht beantwortet wurde, sich aber auch irgendwie nicht löschen lässt.
Beantworten ist dann auch: zu erkennen, „das war ich wirklich, das ist mir passiert“. Sich an das Schreckliche herantasten, um schrittweise zu verstehen, was da eigentlich geschehen ist, wie es geschehen konnte, all die Fragen zu beantworten, die quälend sein können, Fragen nach dem Warum, warum gerade ich, warum gerade mir so etwas passieren musste.
Fragmente sind Splitter, Erlebnisaspekte, Gefühlsqualitäten wie Entsetzen, Schuld, Angst, Scham, Misstrauen, Unsicherheit und Verzweiflung. Wenn alles auf einmal mit aller Wucht ins Bewusstsein strömen würde, könnte die emotionale Überschwemmung alles zunichte machten, was an konstruktiver Aufarbeitung angeregt wird.
Nehme ich dagegen ein einzelnes Fragment heraus, wird die komplizierte Geschichte leichter handhabbar. Gehe ich davon aus, dass ein dicker Brocken darin besteht, in der Vergangenheit hängenzubleiben, ist allein die Fähigkeit, auf der Zeitachse wieder zurück in die Gegenwart zu finden, eine große Hilfe.
So, liebes Trauma, ich komme mal zu Besuch, aber ich sage es gleich: wenn es mir zuviel wird, dann gehe ich wieder. Es ist eine bildhaft-symbolische Betrachtung, die Schutzmechanismen entwickelt gegenüber der Gefahr, von einem traumatischen Erlebnis gewissermaßen gefangen zu werden. Äußerungen wie „ich muss immer daran denken“ zeigen, dass solche spontan ins Bewusstsein dringenden quälenden Erinnerungen durchaus zwanghaft wirken können. Sich befreien heißt dann, entscheiden können, ob ich mich erinnern will oder nicht. Sprachanalytisch betrachtet: ‚ich erinnere mich’ ist eine reflexive Formulierung, ich tue da etwas mit mir, sage ich dagegen ‚ich erinnere etwas’ kommt ein Objektbezug zum Ausdruck.
Sich aufdrängende Erinnerungen sind mit dem Erlebnis von Unkontrollierbarkeit verbunden.
Alles, was in irgendeiner Weise dazu dient, Selbstkontrolle zu entwickeln, hilft auch, diesen unangenehmen Aspekt traumatischer Erlebnisse zu reduzieren. Das Fragment „ich bin hilflos und kann nichts tun“ bekommt durch die Erfahrung zunehmender Selbstkontrolle eine andere Akzentuierung, verliert an Bedeutung. Das, was in einer Situation hilft, Einfluss zu nehmen, sich nicht hilflos zu fühlen, lässt sich vielleicht auch in einer anderen Situation einsetzen.
Wenn ich eine Situation erinnere, also bewusst wieder wachrufe, erkenne, dass ich damals vielleicht hilflos war, heute aber, jetzt gerade nicht hilflos bin, dann ist die Erinnerung nicht mehr so schlimm. Gleichzeitig wird damit eine Brücke geschlagen, die aus der Vergangenheit wieder in die Gegenwart zurückführt.
Damit sind natürlich noch lange nicht alle Fragmente beschrieben, die bei traumatischen Erlebnissen relevant sind. Aber ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass auch Verhaltenstherapeuten, die vielleicht mit der Aufarbeitung vergangener Erfahrungen ‚gar nichts am Hut haben’, durchaus etwas tun können, um die Traumabearbeitung vorzubereiten.
Dann müssen die Betroffenen nicht noch länger damit allein bleiben. Vielleicht hilft ein kleiner Schritt in einem kleinen Fragment nur ein kleines Stück weiter.
Aber das ist doch schon etwas.
***
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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.
In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.
Mittwoch, 30. Oktober 2013
Donnerstag, 31. Januar 2013
Schmerzdistanzierung
Schmerzen
zu erleben kann sehr unangenehm und belastend sein. Vielleicht ist von außen
nichts zu erkennen, es scheint für andere vielleicht alles in Ordnung. Der
Spruch ‚geteiltes Leid ist halbes Leid’ ist nicht erfahrbar, wenn das persönliche
Erleben von Schmerz eben nicht geteilt, nicht mitgeteilt werden kann.
Vielleicht
bleibe ich manchmal allein mit meinem Schmerz, mit meinem Schmerz allein. Es
kann angenehm und tröstlich sein, Verständnis zu erfahren. Spätestens dann, wenn einmal niemand da ist,
der meinen Schmerz versteht, ist es umso wichtiger, dass ich selbst fürsorglich
mit mir umgehen kann. Vieles spricht dafür, dass das Ankämpfen gegen den
Schmerz die Sache nur noch schlimmer macht, das Annehmen von Schmerz bedeutet
aber auch nicht Passivität oder Resignation.
Das Bemühen
um Abstand, um Distanz kann mir helfen, nüchterner mit meinem Schmerz
umzugehen, mich weniger einfangen zu lassen, ihm seine Macht zu nehmen. Ich
habe Schmerzen, aber ich „bin“ nicht meine Schmerzen. Mein Körper gibt
mir Signale, dass da etwas nicht in Ordnung sei. Vielleicht sind diese Signale
aber auch trügerisch, entstanden in meinem Kopf, ohne wirkliche Bedeutung, ohne
Botschaft.
Sachlich
und distanziert kann ich meinen Schmerz fragen, was er mir mitteilen möchte. Soll ich mich wirklich um einen bestimmten
Körperteil kümmern oder habe ich schon alles getan, was mir möglich war? Soll
ich meinem Schmerz viel Raum lassen oder ist es an der Zeit, mich anderen
Dingen zuzuwenden, weil ich längst verstanden habe, was mir mein Körper
mitteilen wollte?
Ich will nicht passiv werden und in
eine Schonhaltung verfallen, die mir nicht weiterhilft.
Ich will mich nicht überanstrengen
und damit neue Schmerzen auslösen.
Achtsam mit mir umzugehen bedeutet,
sorgfältig zu beobachten, welches Maß an Anstrengung, welche Form und welche
Intensität an Bewegung für mich angemessen und mit minimaler Anstrengung
möglich sind. Mein Schmerz kann mir ein
Wegweiser sein, der mir zeigt, wie ich am besten mit mir selbst umgehen kann.
Wenn ich meinen Schmerz wahrnehmen
kann, bin ich von meinem Schmerz getrennt. Beobachten und beschreiben,
verstehen und aus der Distanz überlegen, wie ich jetzt am besten reagiere… wo
auch immer die Ursache für meine Schmerzen liegen mag, ich kann mein Schmerzerleben
in jedem Fall selbst beeinflussen. Vielleicht genügt dazu eine kleine Bewegung…
…meiner Gedanken…
…meiner inneren Bilder…
…meiner Muskeln…
…meiner Gefühle…
Für den Fall, dass mein Schmerz sich
auf die Reise macht und verschwinden will,
lasse ich ihn ziehen.
***
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