zum Anfang: Kognitive Bezugssysteme und Kommunikation Teil 1
Regel 7: Verwendung plausibler Argumentationsmuster
Ein Standpunkt darf nicht als hinreichend gerechtfertigt angesehen werden, wenn die Rechtfertigung nicht durch ein plausibles und korrekt angewendetes Argumentationsmuster erfolgt.
Jede Wissenschaft entwickelt bestimmte Argumentationsmuster, die für die Beurteilung von Aussagen eingesetzt werden. Aus einer Theorie Hypothesen ableiten und überprüfen, ob sie sich bestätigen lassen - eine Theorie problematisieren, wenn sich eine abgeleitete Hypothese nicht bestätigen lässt usw.. Spezifische Berechnungen, um einen Sachverhalt zu untersuchen. Beschreibungen von Beobachtungen, Bezüge zu vorliegenden Studien, Vergleiche und ähnliches mehr. Potentiell strittig ist der Bezug auf Autoritäten - ebenso Erfahrungsquellen wie persönliche Erleuchtungen, Kaffeesatz oder Tarotkarten. Träume. Visionen, Intuition und Alltagsbeobachtungen mögen wichtige Impulse zur Theoriebildung leisten - empirisch orientierte Wissenschaftler werden aber stets nach einer Bestätigung fragen und dabei möglichst etwas messen wollen. Dabei stellt sich auch die Frage, welchem Paradigma eine Wissenschaft, ein bestimmter Ansatz folgt. Historiker werden Interpretationen der Geschichte ablehnen, die sich mit belegten Fakten nicht in Einklang bringen lässt und sich wenn möglich bei ihren Interpretationen auf Dokumente und Materialien stützen. Naturwissenschaften folgen eher dem kausal-nomologischen Paradigma, suchen also nach Gesetzmäßigkeiten. Strittig kann also sein, welche Erkenntnisquellen als wissenschaftlich anerkannt sind und welche nicht. Wer in einem Buch gelesen hat, die Relativitätstheorie sei durch eine Verschwörung zustande gekommen, kann daraus zwar "logisch" ableiten, sie müsse falsch sein - als wissenschaftliche Erkenntnis kann diese persönliche Meinung aber nicht gelten. Behaupten schließlich kann jeder irgend etwas. Aber so einfach ist die Wissenschaft nicht!
Regel 8: Logische Gültigkeit
Die Argumentationsmuster müssen logisch gültig sein oder zu logisch gültigen Schlußfolgerungen ergänzt werden können (durch das Explizitmachen von indirekt unterstellten Prämissen).
Wenn es um Logik geht, taucht irgendwann auch Aristoteles auf- so auch bei Kienpointer. In seinem Buch "Vernünftig argumentieren" hat er den plausiblen Argumentationsmustern ein eigenes Kapitel gewidmet. Wenn man sich die Vielfalt möglicher Muster und die Existenz verschiedener logischer Systeme vor Augen führt, ist leicht nachvollziehbar, dass sich Denkfehler an vielen Stellen einschleichen können. Wenn es um Gefühle geht und dann auch noch die Theorie des double-bind berücksichtigt wird, kann eine auch nur annähernd vollständige Beschreibung sämtlicher Probleme, die sich aus dem Bemühen um Logik ergeben können, nur zu einem ziemlich dicken Buch führen.
Wenn es um Logik geht, taucht irgendwann auch Aristoteles auf- so auch bei Kienpointer. In seinem Buch "Vernünftig argumentieren" hat er den plausiblen Argumentationsmustern ein eigenes Kapitel gewidmet. Wenn man sich die Vielfalt möglicher Muster und die Existenz verschiedener logischer Systeme vor Augen führt, ist leicht nachvollziehbar, dass sich Denkfehler an vielen Stellen einschleichen können. Wenn es um Gefühle geht und dann auch noch die Theorie des double-bind berücksichtigt wird, kann eine auch nur annähernd vollständige Beschreibung sämtlicher Probleme, die sich aus dem Bemühen um Logik ergeben können, nur zu einem ziemlich dicken Buch führen.
Die Kommunikationstheorie von Watzlawick ist dabei ein interessantes Beispiel für ein unlogisches Theoriegebäude, das sich erstaunlich lange hält. Die Aussage "man kann nicht nicht kommunizieren" ist irreführend, denn nicht alles Verhalten ist Kommunikation. Die Unterscheidung "verbal" und "nonverbal" ist ebenfalls irreführend und ungenau. Stelle ich die Forderung, dass eine wissenschaftliche Theorie in sich widerspruchsfrei sein muss, bleibt von seiner Kommunikationstheorie nicht sehr viel übrig... Manchen scheint es geradezu gleichgültig sein, ob ihre Aussagen logisch sind oder nicht. "Die Logik ist der Anfang aller Weisheit, aber nicht das Ende". Das sagte Mr. Spock. Nun, als Vulkanier muss er das doch wissen, das ist doch logisch - oder?
Regel 9: Annahme des Ergebnisses der Diskussion
Wenn die Rechtfertigung eines Standpunktes nach den obigen Regeln korrekt erfolgt ist, muß die Person, die den Standpunkt in Zweifel gezogen hat, ihn nun akzeptieren; wenn die Rechtfertigung nicht gelungen ist, muß die Person, die den Standpunkt vertreten hat, ihn nunmehr zurücknehmen.
Zunächst einmal bezieht sich Kienpointer in seinem Buch auf Gesprächsprozesse. Übertragen auf Wissenschaftskommunikation (in einem umfassenden, also auch längere Zeiträume einschließenden Sinn) kann man diese Regel problematisieren. Die korrekte Anwendung im Gespräch würde bedeuten, dass ein erfolgreich verteidigter Standpunkt nicht mehr bezweifelt werden darf. Rechtfertigung bzw. Verteidigung eines Standpunktes bedeutet aber nicht "Immunisierung für alle Zeit":
"(Es) darf [auch] nicht der Eindruck entstehen, die erfolgreiche Verteidigung eines Standpunktes habe ihn für alle Zeiten gegen erneute Kritik und Zweifel immun gemacht. ... Dasselbe gilt auch für die erfolglose Verteidigung eines Standpunktes: er ist nur vorläufig widerlegt." (KIENPOINTER, a.a.O, S. 64)Noch interessanter ist ein weiteres Zitat...:
"Auf der Beziehungsebene können Probleme der Befolgung von Regel 9 auftreten, wenn Personen zu stur oder überheblich sind, um einen Standpunkt zurückzunehmen." (KIENPOINTER, a.a.O., S. 65).Das ist, wie mir scheint, ein sehr wichtiger Aspekt. Das Phänomen, dass Standpunkte immer und immer wieder vertreten werden, obwohl sie längst widerlegt sind, lässt Diskussionen leer im Kreis herumlaufen - und dann taucht natürlich auch irgendwann die Frage auf, ob das "noch Sinn macht". Als Begründung für die Vorläufigkeit erfolgreicher bzw. erfolgloser Verteidigung eines Standpunkts erwähnt Kienpointer nicht zufällig 'neue Gesichtspunkte' und 'neue Argumentationen", die im Laufe der Zeit auftauchen können. Bleibt es aber bei einer sturen Verteidigung ohne neue Aspekte, verliert eine Diskussion irgendwann ihren Sinn.
Regel 10: Klarheit des Ausdrucks und korrektes Verstehen
Die Formulierung der Argumentationen darf weder ungenau noch mehrdeutig sein, und die Gesprächsteilnehmer müssen gegenseitig ihre Formulierungen so sorgfältig wie möglich interpretieren.
Konstuktiv formuliert könnte die Regel lauten: formuliere genau und eindeutig. Und hier wird es dann auch schon schwierig: wie genau ist genau genug? Und: für wen ist welcher Grad an Genauigkeit genau genug? Typisch für Fachsimpeleien und eingespielte Teams, engere Bekanntschaften, Freunschaften und Beziehungen sind Formulierungen im Telegrammstil, die trotzdem präzise genug sind, um verstanden zu werden. Manche wissen eben, was gemeint ist, wenn ein Ergebnis "hochsignifikant" ist. Andere wissen es nicht. Begriffe sind innerhalb bestimmter Kreise klar, in der Öffentlichkeit aber nicht unbedingt - oder mit einer anderen Bedeutung belegt, ohne das es zunächst auffällt. Man kann sich nun um sprachliche Perfektion bemühen und so sorgfältig wie nur irgend möglich sein - es wird nicht gelingen, alle möglichen und denkbaren Missverständnisse damit auszuschliessen. Kienpointer beschreibt im Abschnitt zu dieser Regel "unkooperative Techniken des Mißverstehens" und bringt damit zum Ausdruck, dass 'schräge' Interpretationen durchaus beabsichtigt sein können - und eben auch die Pointe in so manchem Witz darstellen.
Angemessene Formulierungen sind klar, sachlich und wirksam - dass es dabei nicht um ein situationsunabhängiges 'Formulierungstraining' gehen kann, wird im späteren Verlauf des Buches deutlich. Im Kapitel über "Verständlichkeit" heisst es:
"Es ist kaum möglich, unabhängig vom Thema, von den Gesprächsteilnehmern und vom Anlass des Gesprächs generelle Regeln aufzustellen" (KIENPOINTER, S. 189)Es bleibt also das Bemühen um Klarheit und die Perspektive, im Zweifelsfall eben nachzufragen, wie etwas Bestimmtes gemeint war. Klären, was strittig ist - das kann auch bedeuten, Missverständnisse auszuräumen. Und: die Erkenntnis gewinnen, dass Verständigung schwierig ist, wenn es kein gemeinsames Bezugssystem gibt.
Literatur:
KIENPOINTER, M. (1996). Vernünftig argumentieren. Regeln und Techniken der Diskussion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
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