Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Gesprächsbereitschaft

„Man kann nicht nicht kommunizieren“ – das ist ein Axiom von Paul Watzlawick. Einspruch! Wenn es um Gespräche geht, kann man sehr wohl ein Gespräch verweigern. Diese Weigerung ist durchaus ein „kommunikatives Signal“ – ein Gespräch kommt aber nur zustande, wenn auf beiden bzw. allen Seiten Gesprächsbereitschaft gegeben ist. Sonst – geht es nicht.
Also: ein Gepräch setzt im direkten Vollzug Gesprächsbereitschaft voraus. Ersetzt man „Gespräch“ durch „Dialog“ und bezieht moderne Formen der (medienvermittelten schriftlichen) Kommunikation im Internet mit ein, kann man sehr wohl einen Dialog verweigern. Dann aber stellt sich die Frage, was Gesprächsbereitschaft eigentlich ist, an welchen Stellen ein Gespräch ins Stocken geraten, brüchig werden oder ganz scheitern kann. „Mit DEM nicht!“ – oder „mit DER nicht!“, das ist eine Möglichkeit. Vielleicht ja doch, aber nicht jetzt. Oder nicht hier. Oder nicht so… wenn „ich“ mit „dir“ ins Gespräch kommen möchte, sind viele Elemente mehr oder weniger automatisch vorausgesetzt. Aber, wie ich meine, keinesfalls selbstverständlich…


Gesprächsbereitschaft ist, wenn
ich
in der Rolle, die ich habe, also:
der Rolle, die ich mir selbst zuschreibe,
die mir auch von anderen zugeschrieben und zugestanden wird,
im Rollensegment, in dem ich mich bewege,
mit dir, dem einen, der oder den anderen,
in deiner Rolle,
die ich dir zuschreibe und zugestehe
in deinem aktuellen Rollensegment,
in dem du dich bewegst,
über das von wem auch immer angesprochene oder angedeutete Thema
in einem Themenfeld, das für uns beide bzw. alle von Interesse und Bedeutung ist,
gerade jetzt,
gerade hier,
aus gutem Grund
mit einem bestimmten Ziel
etwas Bestimmtes
mit einer bestimmten Sprechhandlung (als Frage, Äußerung, Rückmeldung, Stellungnahme, Vorwurf , Aufforderung etc.)
in meiner und deiner aktuellen Stimmungslage
in genau dieser Situation, in der wir uns gerade befinden,
besprechen, klären oder diskutieren möchte.

An jedem der genannten Punkte kann Gesprächsbereitschaft eingeschränkt sein oder ganz fehlen. Gespräche können scheitern
  • am Zeitpunkt („jetzt nicht“)
  • am Ort („nicht hier“)
  • am Thema („nicht darüber“)
  • am Kommunikationsstil („nicht so“)
  • an Rollen, Rollenzuschreibungen oder Rollensegmenten („nicht als...“)
  • an Motiven, Gründen oder Zielen („nicht unter diesen Voraussetzungen, mit diesem Ziel, aus diesem oder jenem Grund…“)
  • an der Situation – zum Beispiel an äußeren Störungen wie Lärm, Unterbrechungen usw. die ein Gespräch nicht möglich machen.

In allen Bereichen spielen auch kulturelle Muster eine Rolle – bezogen auf die Frage, was „zwischen Tür und Angel“, im Sitzen oder Stehen, in der Sauna oder in der Kantine, im Rahmen einer institutionell festgelegten Sitzung oder auf dem Fussballplatz „passend“ oder „besprechbar“ ist.
Die Sammlung ist noch nicht vollständig. Zu den schwierigeren Problembereichen gehören die Grenzen der Konfliktfähigkeit, der Toleranz und der Semantisierbarkeit. Wenn Standpunkte sehr weit auseinander liegen, wenn die Unterschiede und Gegensätze als sehr groß und unvereinbar erscheinen, wenn Vorschläge der einen Seite für den oder die andere(n) nicht akzeptabel sind, können Gespräche (etwa Verhandlungen) scheitern. Sie müssen aber nicht endgültig scheitern, wenn die eine oder andere Seite über Haltung, Standpunkte und Vorschläge nachzudenken bereit ist und Annäherungen, neue Vorschläge oder Einstellungen erarbeitet werden. Mit „Semantisierbarkeit“ ist gemeint, dass nur das im Gespräch besprochen werden kann, was eben auch sprachlich formuliert, also „zur Sprache gebracht“ und verstanden werden kann. Grenzen der Semantisierbarkeit setzen auch bei gegebener Gesprächs- und Konfliktbereitschaft der Gesprächsfähigkeit und der Konfliktfähigkeit Grenzen – und werfen die Frage auf, ob und mit welchen Mitteln der Kontakt auf andere Art fortgesetzt werden kann.
Gesprächsbereitschaft kann personal, personbezogen, situativ oder thematisch begrenzt sein oder ganz fehlen. Die Vorstellung, jeder könne mit jedem und jeder an jedem Ort zu jeder Zeit über alles sprechen oder in einer anderen Form (gebärden, schreiben…) kommunizieren, ist eine Illusion.

4 Kommentare:

  1. Lieber Rolf,
    da kenne ich ganz andere Illusionen, die mir in meinem bisherigen Leben zugetragen wurden.
    Kommunizieren ist doch keine Illusion, sondern Teil unseres Lebens, Realität. Egal wie Kommunikation untereinander betrieben wird, sie ist keine Illusion, sondern allgegenwärtig.

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  2. Liebe Mona, vielleicht habe ich mich da missverständlich ausgedrückt. Natürlich ist Kommunizieren keine Illusion, aber es geht eben nicht mit jedem, nicht zu jeder Zeit, nicht mit allen über jedes Thema. Dass Kommunikation in unterschiedlichen Formen stattfindet liegt daran, dass es ein menschliches Grundbedürfnis ist - aber es hat eben auch Grenzen. Wenn man eine bestimmte Sprache nicht beherrscht, kann man sich vielleicht "mit Händen und Füssen" über manches verständigen, aber die Angelegenheit hat eben ihre Grenzen... Wenn jemand schweigt oder verstummt ist markiert auch das eine Grenze der Kommunikation. Man kann ZU Menschen sprechen, die schlafen oder im Koma liegen, aber man kann nicht MIT ihnen sprechen.

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  3. Rolf,
    ich wage es zu bezweifeln, dass man mit Menschen, die im Koma liegen,
    nicht sprechen kann.
    Eine bestimmte Sprache nicht zu beherrschen, bedeutet nicht, sich nicht verständigen zu können.
    Ach ja, wenn jemand schweigt oder verstummt, markiert das keine Grenze der Kommunikation, sondern eine eventuelle Unsicherheit, oder eine bestimmte Absicht.

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  4. Dass bei Leuten, die im Koma liegen, etwas ankommt, halte ich für sehr wahrscheinlich. Aber sie antworten nicht (wenigstens diejenigen, die ich bisher erlebt habe...). Verständigen kann man sich auch ohne Sprache - ich habe mich vor langer Zeit einmal mit einem Spanier "unterhalten" - er konnte kein Deutsch, ich kann kein Spanisch. Das lief nur über Musik... also ohne Worte. Okay, zugestanden, auch eine Form der Verständigung. Das Schweigen ist auch eine Sprechhandlung und wenn das Verstummen vorübergehend ist, könnte ein Gespräch wieder aufgenommen werden... wie nenne ich dann den Moment, in dem Unsagbares oder Unaussprechliches in einem Gespräch auftaucht? Unterbrechung?

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