Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Dienstag, 16. Juni 2009

Bachelor? Studiengebühren? Nein danke!

Hätte ich vielleicht etwas anderes studieren sollen? Die Frage ging mir oft durch den Kopf. Aber Studiengebühren, verschultes Studium, Bachelor... nein danke, mit meinem Diplom-Studiengang, breit angelegt und ziemlich lang, bin ich im Rückblick doch ganz glücklich... Und ich kann auch erklären, warum. Im Grunde fing es mit den Lehrern und den Vorurteilen an... "Psychologen haben eh selbst eine Macke", "Psychologen sind Fachidioten"... Alle wollten mich davon abbringen. Um den Vorurteilen zu entgehen stand also das Bemühen um Breite im Vordergrund. Mal sehen, was es da so alles gibt... Der Blick über den Tellerrand, die Auseinandersetzung mit wissenschaftstheoretischen Fragen, Arbeitskreise, Streifzüge durch Pädagogik, Philosophie, Soziologie, Didaktik, Sprechwissenschaft und Sprecherziehung - nein, ein Fachidiot kann da nicht herauskommen, wenn man die Möglichkeit hat und nutzt, auch das "Nebendran" und auch mal das "ganz Andere" (sprich: Seminare zu Ökosophie, Kritischer Pädagogik und Konkrete Poesie) zu besuchen. Was ist wichtig?
DIe vielen emprischen Untersuchungen mit ihren speziellen Designs und der Frage, welches Ergebnis denn nun signifikant ist, theoretische Details... vieles ist verloren gegangen. Vieles längst nicht mehr aktuell. Aber - das Wissen, "da war doch mal was", Grundzüge dessen, was man "Sachverstand" nennen kann und vor allem: die Fähigkeit, sich Wissen anzueignen, Inhalte zu beurteilen und zu bewerten, zu reflektieren und Zusammenhänge zu erkennen - das ist mehr als die Wiedergabe von Inhalten, erfordert mehr als ein Studium, das auf Reproduktion gerichtet ist. Standpunkte zu entwickeln, sich in der Auseinandersetzung zu reiben, den Begriff des Kommilitionen als "Mitstreiter um die Wahrheit" zu erleben - das geht nicht, wenn man nur Wissen in sich hineinstopft. Sich in der Uferlosigkeit der Fachliteratur zu orientieren und zurecht zu finden, auszuwählen und interessegeleitet Schwerpunkte zu bilden - das ist ein wichtiger Prozess und er wird schwierig, wenn Studiengebühren und verkürzte Studienzeiten wenig Raum für das Suchen, Tasten, Sich Verirren und wieder Finden lassen. Eins ist mir deutlich geworden: noch so viel Erfahrung kann ein fundiertes Studium nicht ersetzen, das Wissen "aus zweiter Hand", das man heute über Wikipedia beziehen kann ist ein blasser Abglanz von dem, was mühevoll selbst erarbeitet wurde. Was hängen blieb... das sind nicht immer die Fakten, weniger die Lehrenden, die über besonders umfangreiches Wissen verfügten, eher jene, die Auseinandersetzungen möglich machten.
"Psychologie kann man nicht lernen, Psychologie muss man erleben", sagte mal einer meiner Professoren. Zu einem Studenten im zehnten Semester meinte er: "Dann ahnen Sie ja schon langsam, was Psychologie ist..." - Zumindest, dass es in jeder Disziplin Strittiges, unterschiedliche Ansätze und Paradigmen, verschiedene Perspektiven und methodische Zugänge gibt: das ist etwas Elementares, das nicht verloren gehen sollte. Wann und wo auch immer Leute den Spruch "so ist es!" von sich geben, zeigen sie damit, dass sie eine wissenschaftliche Grundlage nie besessen oder wieder verloren haben. Denn erkenntniskritisch betrachtet sind alle wissenschaftlichen Erkenntnisse in gewisser Weise vorläufig, gültig unter bestimmten Voraussetzungen, im Moment eben irgendwie schlüssig und mit Forschungsergebnissen "kompatibel" - aber nichts von alledem kann und darf der Weisheit letzet Schluss sein. Wer wirklich zu wissen glaubt, hat den Sinn der Wissenschaft, die in beständigem Hinterfragen, Weiterdenken und Weiterforschen besteht, nicht verstanden.
Es gibt noch einen Aspekt, der verloren zu gehen droht, wenn Studiengänge verschult werden - das interdisziplinäre Denken. Fachübergreifende Veranstaltungen, ein Studium generale, das ist ein Ansatz zur Belebung der Interdisziplinarität. Im Grunde aber muss es aus jeder Disziplin heraus entwickelt werden - wenn dem Vorwurf der Fachidiotie nun wirklich etwas entgegen gesetzt werden soll. Nicht alle Probleme, die uns begegnen, werden uns den Gefallen tun, sich in irgend eine einzige Disziplin einordnen zu lassen... und dann stehen wir vor einer Grundsatzfrage: blenden wir alles aus, das irgendwie am Rand einer Diszplin liegt und darüber hinaus deutet? Oder - wagen wir den Sprung zum problemorientierten, nicht undisziplinierten, sondern disziplinübergreifenden Denken?
Mir scheint, mit Fachidioten können wir in einer kompliziert gewordenen Welt und einer schwierig gewordenen Zeit wenig anfangen. Echte Wissenschaftler, die ihren Sachverstand einzusetzen wissen - das wär schon was. Also: fragen wir danach, was die Wissenschaft für ein Wissen schafft - und was davon übrig bleibt, wenn es immer schneller, immer kürzer werden soll... Zum Denken braucht man Zeit.

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