Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Freitag, 26. März 2010

Die Ethik des Papstes

Papst Benedikt XVI steht weiter in der Kritik: er habe in seiner Zeit als Erzbischof viel mehr gewusst als er bisher zugegeben hat. In der Meldung der Tagesschau gibt es eine interessante Aussage, die Rückschlüsse auf die ethischen Prinzipien erlaubt, denen der damalige Erzbischof folgte:

Dem pädophilen Priester sollte eine Unterkunft gewährt werden, damit er eine Therapie machen konnte.

Das klingt vernünftig und berücksichtigt mehrere Prinzipien: einerseits sollte der Priester nicht einfach entlassen werden (was man als 'gnädig' betrachten kann), andererseits lässt sich rekonstruieren, dass das Verhalten des Priesters als Problem erkannt und (vorsichtig formuliert) einer Lösung näher gebracht werden sollte. Die Entscheidung des Generalvikars hat diese Absicht jedoch vereitelt - es scheint also keine verbindliche Dienstanweisung gewesen zu sein. Missbrauch durch den besagten Priester war bereits erfolgt - also waren weitere Missbrauchsfälle zumindest als Möglichkeit vorherzusehen. Sie fanden auch tatsächlich statt - und führten 6 Jahre später zu einer Bewährungsstrafe von 18 Monaten.

Die Entscheidung des Erzbischofs Ratzinger ist in sich schlüssig, wenn man zwei der relevanten Rollensegmente berücksichtigt: der Kirche (also dem eigenen Arbeitgeber) gegenüber war die Entscheidung loyal und sollte Aufsehen vermeiden. Dem Priester gegenüber war die Entscheidung gnädig, setzte vermutlich aber auch voraus, dass die beabsichtigte Therapie auch wirklich durchgeführt wird. Der kritische Punkt ist das Rollensegment des Vorgesetzten: auch hier hat der Erzbischof wohl nicht damit gerechnet, dass der Priester einfach so wieder im Gemeindedienst eingesetzt wird. Ob der heutige Papst als damaliger Erzbischof darüber informiert war, ist umstritten. Nur: wie steht es eigentlich um die Verantwortung den Kindern und Jugendlichen gegenüber? Jenen, die bereits missbraucht worden waren und jenen, die vielleicht noch missbraucht werden würden?

Im Rückblick wäre es auf jeden Fall vernünftiger gewesen, auf die Durchführung einer Therapie zu drängen und darauf zu bestehen, dass erst danach (wenn überhaupt) ein weiterer Einsatz des pädophilen Priesters in der Gemeinde erfolgen darf.

Der kritische Artikel in der New York Times fasst die ethischen Prinzipien recht deutlich zusammen: "their highest priority was protecting the church from scandal" heißt es dort. Übersetzt: oberste Priorität war es, die Kirche vor einem Skandal zu bewahren. Und das ist damals ja auch gelungen - 30 Jahre lang. Also: bloß keine Öffentlichkeit, keine Hinweise nach außen, auf gar keinen Fall staatliche Behörden verständigen...

Der Erzbischof Joseph Ratzinger zeigte also in besonderem Ausmaß das, was Arbeitgeber in Deutschland (und sicher auch anderswo) von ihren Arbeitnehmern erwarten: Loyalität. Und das bedeutet, dass man eben auch einmal ein Auge zudrücken muss, wenn irgend etwas nicht so ganz sauber abläuft. Auf gar keinen Fall aber dürfen Betriebsgeheimnisse nach außen dringen.

Ob ohne diese Loyalität der Kirche gegenüber aus dem Erzbischof Ratzinger der Papst Benedikt XVI geworden wäre, ist fraglich. Wäre er damals zur Polizei gegangen, hätte er zugelassen, dass der Priester sich für die Missbräuche verantworten muss, dann hätte der Aufruhr, der jetzt stattfindet, schon Jahrzehnte früher stattgefunden. Und - die Taten wären eben nicht verjährt, die Glaubwürdigkeit der Kirche wäre bereits damals erschüttert worden. Irgend jemand in der Kirche hätte bestimmt darüber nachgedacht, wie man wohl einen solchen Erzbischof wieder loswerden könnte... Ethisch korrekt, verantwortungsbewusst den Kindern gegenüber, der Wahrheit verpflichtet und an den Gesetzen des Staates orientiert: das hätte bedeutet, aufzudecken und Konsequenzen zu ziehen, aber auch: die eigene Karriere zu ruinieren, zumindest aufs Spiel zu setzen.
Die Wahrheit hätte den damaligen Erzbischof befreit - von den Vorwürfen, mit denen er sich jetzt als Papst konfrontiert sieht, aber auch sehr wahrscheinlich von seinem Amt. 

Auch wenn es nun so aussehen mag, als wollte ich den Papst in Schutz nehmen wollen: hier zeigt sich ein typisch deutsches Loyalitätsdilemma.  
Und deshalb möchte ich sie einmal fragen, die deutschen Arbeitnehmer...

...in der chemischen Industrie: ob sie es wohl melden würden oder gar gegen ihren Arbeitgebern Anzeige erstatten würden, wenn sie Anweisungen ausführen sollen, die bewusst und vorhersehbar die Umwelt belasten?
...in Krankenhäusern: ob sie in der Rolle des Arztes einen Patienten auch gegen die medizinische Notwendigkeit von der Intensivstation in eine andere Abteilung verlegen würden, wenn der Chefarzt es so will?
...in Versicherungsgesellschaften: ob sie bereit wären, auf eine Provision zu verzichten und ihren Kunden eben nicht eine Versicherung zu verkaufen, die sie im Grunde gar nicht brauchen?
...an den Universitäten: ob sie in der Rolle des Professors die Universitätsleitung darauf aufmerksam machen würden, dass es sittenwidrig und unanständig ist, von habilitierten Dozenten kostenfrei Lehrveranstaltungen zu verlangen?

Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen. Aus eigener bitterer Erfahrung kann ich nur sagen: meine Weigerung, fachlich oder juristisch bedenkliche Anweisungen auszuführen, hat mich mehr als einmal den Job gekostet.
Niemand kommt wirklich nach oben, ohne mindestens einmal ethisch fragwürdige Entscheidungen zu treffen - weil Loyalität einfach eine große Bedeutung hat. Und dabei wird eben vieles unter den Teppich gekehrt. Integrität und Glaubwürdigkeit zu bewahren - das ist alles andere als einfach. Was hier am Beispiel des Papstes durchbricht, ist nur die Spitze eines Eisbergs, der sehr viel mit dem deutschen Untertanengeist zu tun hat. Denn Arbeitnehmer in Deutschland, ob sie nun in der katholischen Kirche oder sonstwo beschäftigt sind, müssen vor allem eines: funktionieren. Und deshalb wird so manches verschwiegen, obwohl es wichtig wäre, den Mund aufzumachen. Schließlich geht es ja darum, Geld zu verdienen.


s. auch: Mißbrauch, Glaube und Glaubwürdigkeit

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