Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 11. März 2010

Missbrauch, Glaube und Glaubwürdigkeit

Die Berichte über Misshandlungen in kirchlichen Einrichtungen geht nun schon seit Wochen durch die Medien... Der Focus veröffentlichte heute einen Artikel über Kirchenaustritte aus Protest gegen den Missbrauchsskandal. Zu lesen gibt es zu diesem Thema eine Menge - und dabei lässt sich auch die Frage aufwerfen, wie glaubwürdig der Glaube heute noch ist. Aber zuvor scheint es sinnvoll, zu klären, was denn nun eigentlich Glaubwürdigkeit bedeutet. Behaupte ich: "Ich weiß alles und habe für alle Fragen auf der Welt eine Antwort."Dann wird mir das kaum jemand abnehmen. Behaupte ich: "In den nächsten Wochen wird es in Europa bestimmt wärmer", dann sieht das schon anders aus, denn es naht der Frühling. Die erste These zum Thema Glaubwürdigkeit bezieht sich auf Erfahrungen - das, was den eigenen Erfahrungen entspricht, glauben wir eher als das, was der eigenen Erfahrung entgegen steht, sich damit nicht in Einklang bringen lässt. Damit ist das Problem der Glaubwürdigkeit aber noch nicht erschöpfend geklärt. Denn die Krise der Glaubwürdigkeit rund um die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bezieht sich zunächst auf die Glaubwürdigkeit der Gläubigen, von denen man "so etwas" einfach nicht erwartet. Glaubwürdigkeit hat hier etwas mit der Frage zu tun, ob die eigene Lehre auch gelebt wird - oder das Verhalten dazu geradezu im Widerspruch steht.
Wenn man sich die Kommentare zum Focusartikel ansieht, zeigt sich eine gewisse Bandbreite der Auffassungen:
  • manche nehmen die Missbrauchsfälle als Anlass, aus der Kirche auszutreten
  • manche stellen die katholische Kirche als Institution insgesamt in Frage
  • manche appellieren an die Entwicklung einer eigenen Lebensphilosophie
  • manche koppeln den Glauben von der Kirche ab
  • manche verweisen auf die "guten Projekte" der Kirche und sehen auch das Wertvolle an der Kirche durch die Missbrauchsfälle in Frage gestellt
  • manche plädieren für eine Welt ohne Religionen und betrachten die Kirche als unsinnige Organisation.
Dabei fällt auf, dass die Frage der Glaubwürdigkeit von einzelnen Personen meist recht automatisch auf die katholische Kirche, Kirche überhaupt, den Papst und Religionen allgemein übertragen wird. Zu Recht?
Zunächst einmal ist Pädophilie eine psychische Störung im Sinne des ICD (der internationalen Klassifikation psychischer Störungen, die neben dem DSM und dem ICF am weitesten verbreitet ist). F65.4, genauer beschrieben. Als Störung der Sexualpräferenz ist die Pädophilie damit dem Kapitel über 'Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen' zugeordnet. Aus einer psychologischen Perspektive stellt sich also neben der Frage, wie angemessene Unterstützung für die Opfer aussehen kann, das Problem unerkannter Störungen, die nicht die Frage nach Schuld und Vergebung, sondern eher die Frage nach einer angemessenen Therapie aufwerfen.

Gelegentlich findet sich in den Artikeln auch der Hinweis, dass es Missbrauch schließlich nicht nur in der katholischen Kirche gibt. Und das ist auch richtig - die Schlußfolgerung, dass alle Katholiken pädophil sind, ist genauso falsch wie die These, dass alle Pädophilen in der katholischen Kirche sind. Andererseits gilt aber auch: der katholische Glaube ist keine Garantie dafür, dass die Psyche vollständig gesund ist. Psychische Störungen können eben auch bei Gläubigen auftreten. Mir geht es hier nicht darum, die Kirche in Schutz zu nehmen - die These ist einfach, dass es hier um zwei verschiedene Dinge geht.

Ein ähnliches Problem betrifft Margot Käßmann: wenn sie in einer Predigt den Satz "nichts ist gut in Afghanistan" ausspricht, hat sie damit keine politische Rede als offizielle Vertreterin der evangelischen Kirche gehalten. Das Pech, mit 1,5 Promille am Steuer erwischt zu werden ist wiederum eine andere Ebene - weil diese verschiedenen Ebenen, Rollen und Rollensegmente aber meist im Zusammenhang gesehen werden, steht automatisch auch die Glaubwürdigkeit der gesamten Person und der Institution zur Diskussion.

Was mir sinnvoll erscheint ist also die Trennung verschiedener Aspekte, die zwar oft zusammen hängen, sich aber auf unterschiedliche Verantwortlichkeiten beziehen.
  1. Ein Aspekt ist die Frage des Strafrechts - und die Beobachtung, dass von Priester oft eben Entschuldigungen ausgesprochen werden, als sei es damit getan. 
  2. Pädophilie als Folge des Zölibats zu betrachten ist fragwürdig - dann nämlich dürfte die Störung außerhalb der katholischen Kirche nicht auftreten.
  3. Der Papst kann nicht für die Taten seiner Gläubigen verantwortlich sein - hier stellt sich eher die Frage, wie die katholische Kirche als Institution und Arbeitgeber mit straffälligen Mitarbeitern umgeht. Und - ob sie offen und ehrlich für Aufklärung sorgt.
  4. Die Vorstellung, dass Priester automatisch auch moralisch integre und ethisch handelnde Menschen sind, lässt sich wohl recht eindeutig als widerlegt ansehen.

Zusammengefasst: die Glaubwürdigkeit einer Person, die Glaubwürdigkeit einer Institution (die Kirche ist hier nur ein Beispiel) und die Glaubwürdigkeit des Glaubens sind verschiedene Dinge.

So betrachtet ist es verwirrend, wie oft solche Angelegenheiten mit Rücktritten beantwortet werden. Welches Problem wird dadurch denn wirklich gelöst? Die Odenwaldschule am Bodensee: die Betroffenheit der Leiterin deutet die Übernahme der Verantwortung an, als sei sie selbst es gewesen - die Frage ist aber, ob sie überhaupt eine Chance hatte, etwas darüber zu erfahren, was früher in den privaten Wohnungen einzelner Lehrer vor sich ging. Um Verzeihung bitten, Lehrer entlassen - solche Äußerungen tauchen öfter auf. Dass es hier auch um eine psychische Störung geht, die behandlungsbedürftig ist, fällt regelmäßig unter den Tisch. Noch schwieriger ist die Frage der Prävention - an wen wendet sich denn ein Lehrer oder ein Priester, der pädophile Neigungen an sich entdeckt? Wann sorgen Einrichtungen wie Schulen, Internate und Heime endlich für eine Anlaufstelle, bei der betroffene Kinder angstfrei von dem erzählen können, was sie erlebt haben? Wie glaubwürdig ist eine Gesellschaft, die den Opfern jahrzehntelanges Schweigen auferlegt, weil es hier um ein hochgradig schambesetztes Thema geht? Auf politischer Ebene kann man natürlich über einen Entschädigungsfonds nachdenken. Aber auch hier wird gern 'monetär' gedacht (Ablasshandel?) - und die Frage, wie die Betroffenen mit der ganzen Angelegenheit fertig werden, wird schnell beiseite geschoben. Die Glaubwürdigkeit des Glaubens ist genauso fragwürdig geworden wie die Glaubwürdigkeit der kirchlichen Institutionen - vielleicht aber auch als solche deutlicher ins Bewusstsein gerückt. Denn so manches, was offiziell als Glaubensinhalt noch vertreten wird - im Ernst: wer glaubt das denn wirklich? Der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra spricht? Und Maria ist Jungfrau geblieben, obwohl sie ein Kind zur Welt brachte? Ein Priester kann psychisch krank sein und eine Bischöfin das Bedürfnis entwickeln, im Vollrausch einmal so manches zu vergessen, was sie aktuell beschäftigt und belastet. Glaubende sind eben auch nur Menschen - es irrt der Mensch, so lang er strebt. auch dann, wenn er im Glauben lebt. Und wer glaubt, der Glaube mache aus einem Menschen automatisch einen Heiligen, täuscht sich eben. Die Frage ist, ob der Sinn des Glaubens verloren gehen muss, wenn man den Glauben an bestimmte Glaubensinhalte verliert - oder nie besessen hat. Die Frage ist, ob der Sinn des Glaubens verloren gehen muss, wenn man den Glauben an die Glaubwürdigkeit der Kirche, ihrer Vertreter oder ihrer Institutionen verloren hat. Eines aber scheint mir sicher: dort, wo Kirche und Religion an Bedeutung verlieren, bleibt nur ein Weg übrig: selber denken. Wer sich dabei kritisch an die eigene Nase fasst, wird früher oder später erkennen, dass die je eigene Glaubwürdigkeit umso schwerer zu erreichen ist, je höher man die Ansprüche an sich selbst in den Himmel schraubt. Also, ganz ehrlich: die Unfehlbarkeit nehme ich nicht für mich in Anspruch. Das wenigstens ist, hoffe ich, eine glaubwürdige Aussage.



Zum Abschluss möchte ich noch auf eine Website verweisen, die sich umfassend mit dem Tabuthema sexueller Missbrauch beschäftigt: www.missbrauch-opfer.info.
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