Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Dienstag, 23. März 2010

Macht Arbeit krank? Bericht der Bundespsychotherapeutenkammer

"Arbeit macht öfter seelisch krank - keine Arbeit auch" - berichtet die Tagesschau. Das stimmt aber (so) nicht - wenn man den Bericht der Bundespsychotherapeutenkammer für die Pressekonferenz am 23. März 2010 genauer liest...
Im dritten Abschnitt des Berichts wird die Frage der "wahren" Prävalenz aufgegriffen - und dabei ist das Kernproblem deutlich beschrieben. Kurz und knapp:

Sind psychische Störungen häufiger geworden oder werden sie häufiger diagnostiziert?

Bereits die Verwendung des Begriffes "seelisch" zeigt die allgemeine Unwissenheit sehr deutlich - denn das Diagnosesystem ICD-10 ist keine "Seelendiagnostik", bei der eine womöglich unsterblich gedachte Seele untersucht wird. Wenn darauf hingewiesen wird, dass die "Erkennensrate psychischer Störungen in der hausärztlichen Versorgung häufig unzureichend ist",  könnte man den  Hausärzten daraus einen Vorwurf ableiten. Zu Unrecht allerdings, denn Hausärzte, die wohl meist Fachärzte für Allgemeinmedizin sind, sind eben Mediziner - und damit auf körperliche Krankheiten spezialisiert. Hausärzte sind also bei psychischen Störungen einfach die falsche Adresse - und sollten an Psychologen delegieren, wenn die Vermutung naheliegt, dass eine psychische Störung vorliegen könnte. Denn die psychologische Diagnostik stellt genügend Instrumente zur Verfügung - und viele von ihnen sind recht einfach zu handhaben.
Das Argument geringerer Tabuisierung psychischer Störungen ist nicht durchgängig haltbar - auf die widersprüchlichen Ergebnisse weist der Bericht der Bundespsychotherapeutenkammer deutlich hin. Wünschenswert ist es durchaus - und wenn eine höhere Anzahl psychischer Störungen lediglich zeigen würde, dass es akzeptabler geworden ist, psychische Störungen beim Namen zu nennen, dann wäre das eher ein gutes Zeichen. Aus dem möglichen Vorwurf gegen die Ärzteschaft könnte auch ein positives Zeichen werden - denn die gestiegene Anzahl der Krankmeldungen aufgrund von psychischen Störungen kann auch bedeuten, dass die Hausärzte in den letzten Jahren mehr erkennen und angemessener reagieren.

Interessant ist der Abschnitt über den Einfluss der Arbeitsbedingungen auf die psychische Gesundheit - sie liefern Ansatzpunkte für die Gestaltung eines psychologisch gesunden Arbeitsplatzes.

Zunächst die Faktoren, die hier eine Rolle spielen:
  • Anforderungen des Arbeitsplatzes
  • Entscheidungsfreiräume
  • Gehalt
  • menschliche Wertschätzung
  • beruflicher Status
  • Aufstiegschancen
  • Arbeitsplatzsicherheit
  • ausbildungsadäquate Beschäftigung

Hohe Anforderungen müssen nicht zu psychischen Störungen führen - problematisch wird es vor allem dort, wo ein hohes Mass an Verantwortung mit geringen Entscheidungsmöglichkeiten verunden ist. Ein psychologisch gesundes Konzept verbindet ein hohes Mass an Verantwortung mit entsprechenden Entscheidungsbefugnissen. Noch einfacher formuliert: wer Verantwortung tragen soll, muss auch entscheiden können und entscheiden dürfen.
Das Modell der "Verausgabung" zielt auf ein Ungleichgewicht ab, das im Kern darin besteht, viel zu geben (oder geben zu sollen), aber wenig dafür zu bekommen. Wer hier weiter denkt, stößt auf Bedingungen des Arbeitsvertrages, aber auch auf die Frage nach Umgangsformen und Führungsstilen. 

Eine hohe Gefährdung der psychischen Gesundheit ist vor allem dort zu erwarten, wo
- das Gehalt zu gering ist bzw. der Qualifikation nicht entspricht
- der Arbeitsplatz unsicher ist und damit beständig Arbeitsplatzverlust droht
- den Mitarbeitern wenig Wertschätzung entgegen gebracht wird
- berufliche Tätigkeiten nicht angemessen sind, d.h. der Ausbildung nicht entsprechen
- organisatorische Ungerechtigkeiten vorliegen
- soziale Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten fehlt.

Welche Faktoren in welchem Ausmass wirksam sind, läßt sich schwer eindeutig sagen. Klar ist: es gibt Ansatzpunkte genug, Arbeitsplätze unter die Lupe zu nehmen und der Frage nachzugehen, wo sich etwas verändern lässt. Vorausgesetzt, Arbeitnehmer werden als Menschen wahrgenommen, die nicht nur ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, sondern auch einen Anspruch auf psychische Gesundheit haben.

Aus dem Bericht geht deutlich hervor, dass Arbeitslosigkeit die psychische Gesundheit belastet. Außerdem widersprechen die Ergebnisse der Metaanalyse von Paul & Moser (2006) dem Vorurteil, Arbeitslose wären einfach 'zu faul zum Arbeiten'.

Arbeit kann krank machen, Arbeitslosigkeit erst recht. Ob es 'schlimmer geworden' ist, läßt sich nicht so ohne weiteres sagen. Psychische Gesundheit ist auf jeden Fall eine Frage der Arbeitsbedingungen bzw. der Erwerbssituation. Die Schlußfolgerung, dass es vor allem darum gehen muss, Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist trotzdem fragwürdig, denn es spielen eben auch persönliche und private Einflussfaktoren eine Rolle.

Fest steht: die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen ist in den Jahren 2000 bis 2008 gestiegen - und das kann und sollte Anlass sein, etwas mehr über reale Arbeitsbedingungen nachzudenken.


Quelle:

Bericht der Psychotherapeutenkammer, 23.März 2010, PDF-Datei mit 24 Seiten

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