Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Dienstag, 16. März 2010

Philosophieren zwischen Sinn und Ergebnis

Mit der Erkenntnis, nicht in die Wissenschaft zu gehören, wirft Helmut Hofbauer grundsätzliche Fragen auf. Ist Philosophie eine Wissenschaft? Zunächst rüttelt die Frage an der simplen Gewohnheit, die Philosophie eben in die Geisteswissenschaften einzuordnen. Als solche beschäftigt sie sich auch mit wissenschaftstheoretischen Fragen und kann damit jeder Wissenschaft Impulse geben. Aber das, was mit Philosophie zu tun hat, ist weit umfassender und betrifft nicht nur die Wissenschaft als solche.

Das Problem ist der "Anspruch, man müsse in einer wissenschaftlichen Kommunikation gleichsam alle übrigen Denker und Forscher überholen, um überhaupt etwas sagen zu dürfen." (Hofbauer, a.a.O.).

Es wird still auf der Welt, wenn nur das wirklich Neue, das alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt, gesagt werden darf. Als ungesunde Einstellung, die dem Sinn des Philosophierens entgegensteht, stellt dieser Anspruch ein Quelle von Kommunikationsstörungen dar. Sinnvoll also erscheint es, sich davon schnellstmöglich zu befreien. Als Blogleser zumindest käme es mir nicht in den Sinn, einen solchen Anspruch zu stellen. Die Tatsache, dass da überhaupt jemand seine Gedanken aufschreibt, ist ein Hinweis darauf, dass da jemand denkt - und das an sich ist schon ein Zeichen dafür, dass sich hier ein menschliches Bedürfnis ausdrückt, das andere Gedanken anstossen und - im günstigen Fall - neue Einsichten bewirken kann. Als persönliche Erfahrung, zu einem bestimmten Thema einen neuen Anstoss bekommen zu haben, mehr Klarheit oder auch eine differenziertere Sicht zu entwickeln, hat dieser Prozess auch dann Sinn, wenn es nicht um die absolut geniale Innovation allen bisherigen Denkens geht.

Das Spannungsfeld zwischen Sinn und Ergebnis beschreibt mögliche Standpunkte und Orientierungsmarken. Dort, wo das Nachdenken selbst als sinnvoll gilt, ist es nicht so wichtig, ob dabei auch etwas wirklich Neues herauskommt. Die konsequente Ergebnisorientierung dagegen bewertet den Prozesse des Nachdenkens nach dem, was sich an Neuem ergibt - und stellt den SInn der Tätigkeit, die doch Voraussetzung aller Ergebnisse ist, möglicherweise in Frage.

"Warum sollte es nicht Philosophie sein, z.B. einen Gedanken von Platon, Descartes oder Nietzsche zu wiederholen, ihn noch einmal zu denken und ihn dadurch erneut zum Leben zu erwecken?" (Hofbauer, a.a.O.)

Es gibt keinen Grund, anders formuliert: versteht man Philosophie als das Bemühen, Erkenntnisse zu gewinnen, sind die Gedanken, die bereits gedacht wurden, natürlich ein wertvoller Hinweis. In uralten Texten Gedanken zu finden, die auch heute noch wertvoll, anregend, stimmig sein können, ist ein Teil dieses Prozesses. Manches mag auch heute noch gültig sein, anderes überholt. Auch das ist Erkenntnis: dass manche Einsichten über einen sehr langen Zeitraum gültig bleiben können. Und - dass so manches, das als neu bezeichnet wird, seine Wurzeln in Gedanken haben kann, die bereits vor Jahrhunderten gedacht wurden.

Hat Platon mit seinem Bild vom Pferd und Wagenlenker die Freudsche Triebtheorie bereits vorweggenommen? Ist die paradoxe Intervention wirklich eine Erfindung der modernen sytemsichen Therapie - oder nicht mehr als die Neuauflage einer alten Technik, die sich in einer recht bekannten Aufforderung ausdrückt: "wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein"? Kognitive Dissonanz und Spinoza... es gibt sicher noch mehr Beispiele dafür, dass grundsätzliche Fragen des menschlichen Daseins immer wieder neu, immer wieder anders und doch im Kern sinngemäß identisch oder geringfügig variiert neu auftauchen.

Zurück zur Frage nach Sinn und Ergebnis - und der Auseinandersetzung mit den Ansprüchen an die Philosophie und ihre Ergebnisse:

Anstatt also ihn zu fragen: „Was ist das Neue an deiner Erkenntnis und was ist seine Relevanz für die ganze Gesellschaft?“ – sollte man ihn lieber fragen: „Welche Bedeutung hat dieser Gedanke für dich und welche Fortschritte ermöglicht er in deinem persönlichen Denksystem?“ (Hofbauer, a.a.O.)

Die Vorstellung einer 'persönlichen Denklandschaft' kann sehr hilfreich sein, um persönliche Probleme zu beschreiben. Dort, wo es gelingt, einen inneren Konflikt aufzulösen, weil klar geworden ist, dass manche Dinge, Überzeugungen, Ziele usw. eben nicht stimmig zusammen passen, hat persönliche Erkenntnis einen hohen Wert - auch dann, wenn es nicht um weltbewegend Neues geht. Das persönliche Denken, das sich auf die je eigene Lebenserfahrung bezieht und in der Auseinandersetzung mit dem Denken anderer seine Prägungen erfahren hat, entwickelt und immer wieder neu reflektiert wird, ist eine Perspektive außerhalb der Wissenschaft - und als solche mehr als die immanente Betrachtung in der Lage, Aspekte des Wissenschaftstreibens zu entdecken, die innerhalb des wissenschaftlichen Denkens selbst kaum wahrnehmbar sind. Wer in einem Boot sitzt und rudert, kann das Boot selbst nicht von außen betrachten - dazu muss man aussteigen.

Eine Frage....

Damit stehe ich vor dem großen Problem, wie man Erkenntnisse nennen soll, die nach wissenschaftlichen Kriterien wahr sind, aber weder einen Neuigkeitswert haben noch die Menschheit vom jetzigen Ausgangspunkt einen Schritt voranbringen (und ihren Entdecker dadurch zu einem wissenschaftlichen Star machen)??? (Hofbauer, a.a.O.)

...und eine persönliche Antwort:

'Fundamental'. 'Grundsätzlich'. Oder so ähnlich. Und die persönliche Bedeutung lässt sich leicht erkennen - fundamentale Erkenntnisse, die wahr sind, sich immer wieder bestätigen, geben Halt. Sie bieten eine Basis für das Miteinandersprechen, das Selbstverständnis und das Erkennen der Welt. Alles oder auch nur zuviel auf einmal in Frage zu stellen löst Unsicherheiten aus - und gerade dort, wo das Philosophieren sich auf die kritische Betrachtung einzelner Fragen richtet, sind grundsätzliche Einsichten, auf die man sich immer wieder beziehen kann, der feste Boden, der das Wagnis des Denkens in unbekannte Bereiche hinein überhaupt erst rational macht und dem Versinken im Sumpf potentiell unendlichen Fragens vorbeugt.

Fundamentale Einsichten immer wieder neu zu denken und dabei auch jene zu ermutigen, die kaum in der Lage sind, das Wort "Philosophie" zu buchstabieren, ist durchaus eine ehrenwerte Tätigkeit. Jedes Jahr wechseln sich die Jahreszeiten ab, in der Nacht wird es dunkel und wenn tagsüber am Himmel dunkle Wolken aufziehen, müssen wir damit rechnen, dass es bald regnet. Neu sind diese Erkenntnisse nicht, aber deshalb sind sie nicht falsch.

Ist Philosophie nun wissenschaftlich oder nicht? Wenn man die individuelle Tätigkeit des Nachdenkens über sich selbst, andere und die Welt als Philosophieren bezeichnet, gibt es eine Dimension der Philosophie, die nicht notwendigerweise wissenschaftlich ist, es aber auch nicht sein muss. Andererseits gehört zur Suche nach Erkenntnis auch die Frage nach der Fundierung des Erkannten. Stimmt das denn? Sehen das andere auch so? Gibt es Belege, Begründungen, Erfahrungen und andere Einsichten, die meine Erkenntnis stützen?

So also trägt das Philosophieren den Keim der Wissenschaft immer schon in sich. Die Erkenntnis, dass überzogene Ansprüche Kommunikationsprozesse in der Wissenschaft (und nicht nur dort) stören, ist selbst eine philosophische Einsicht, die sich wissenschaftlich untersuchen und begründen lässt. Aus diesem Grund meine ich, dass gerade Menschen wie Helmut Hofbauer in die Wissenschaft gehören - wohin denn sonst?




1 Kommentar:

  1. Sehr geehrter Herr Grießhammer,
    vielen Danke für Ihren schönen Text! Ein bisschen ausführlicher habe ich Ihnen auf philosophieblog.de geantwortet:
    http://philosophieblog.de/philohof/philosophie-ist-nicht-wissenschaftlich-u#comments

    Herzliche Grüße aus Wien!
    philohof

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