Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 9. Juli 2009

Kritikbereitschaft: Kritik annehmen

Kritikbereitschaft hat zwei Seiten - als Bereitschaft, Kritik zu äußern, scheint sie für manche recht angenehm zu sein. Als Bereitschaft, Kritik anzunehmen, eher nicht. Zumindest drei Aspekte sind dabei von Bedeutung: der Inhalt, die Form und - nicht zuletzt - wer da kritisiert. Genauer: wer, in welcher Rolle, in welcher Situation, wer sonst noch anwesend ist. Ein Grundproblem, das in öffentlichen Beziehungen, in der Schule, am Arbeitsplatz, in Beratungsituationen und therapeutischen Zusammenhängen eine Rolle spielt, ist das angenommene Interventionsrecht - die Annahme also, dass ein Lehrer, Berater, Vorgesetzter, Erzieher, Therapeut usw. natürlich "etwas sagen darf", das Recht auf Kritik hat und bei Bedarf eben auch etwas Unangenehmes zum Ausdruck bringen kann. Die Frage ist, ob diese Kritikbereitschaft aus der jeweils anderen Perspektive auch akzeptiert wird.
Von wem also lassen sich die Menschen etwas sagen, wer darf auch Unangenehmes äußern?


Die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, die hier statistische Aussagen macht, ist bereits im Jahr 2006 durchgeführt worden. Bei 22358 Befragten (Alter: ab 18 Jahre) kann man von einer breiten Datenbasis ausgehen, die Fragestellung zur Kritikbereitschaft ist auch nur ein Teil des Sozioökonomischen Panels.
Ob sich in den letzten drei Jahren an diesen Zusammenhängen wohl sehr viel verändert hat? Selbst dann, wenn man einen gewissen Spielraum lässt und mögliche Entwicklungen einkalkuliert, bleibt der Trend des Ergebnisses ziemlich eindeutig. Was man eindeutig sagen kann: es gibt Unterschiede.
Die Bereitschaft, sich "unangenehme Wahrheiten" anzuhören, ist nicht in allen Beziehungen gleich stark ausgeprägt, Kritik wird nicht automatisch von jeder x-beliebigen Person akzeptiert. Es wird wohl auch darauf ankommen, worum es gerade geht... der Begriff "unangenehme Wahrheiten" zielt auf die empfindlichen Bereiche ab, Verhaltensweisen, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale also, die nicht gerne wahrgenommen werden, als problematisch oder konfliktbesetzt erlebt werden. Naheliegend scheint zu sein, dass eher nahe Bezugspersonen solche Dinge sagen dürfen, Partner, Freunde, Eltern.


Die ausgewählte Darstellungsform berücksichtigt die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer sind blau dargestellt, Frauen in orange.





Partner stehen also ganz oben - sie haben die größten Chancen, auch unangenehme Dinge sagen zu dürfen. Logischerweise entstehen dabei dann aber auch die schwierigsten Konflikte. Für manche veilleicht überraschend: zwei Drittel der Männer geben ihre Partnerin als die Person an, die am ehesten etwas Unangenehmes sagen darf, bei den Frauen ist es etwas mehr als die Hälfte. Bei den Familienangehörigen steht ganz oben die Mutter - die Tochter taucht bei den Frauen noch mit 9,2% auf. Alle anderen Familienangehörigen haben bei heiklen Themen nicht viel zu melden. Entferntere Verwandte, Stiefeltern, Vorgesetzte und "bezahlte Helfer" (darunter fallen wohl alle professionellen Ärzte, Berater, Therapeuten, Erzieher usw.) haben hier "nichts zu melden".


Es gibt einige interessante Alterstrends: bei den 18-19-Jährigen rangiert die Mutter mit 48,5% auf Rangplatz 1 - die Partner haben statistisch (13,8%) noch recht wenig zu sagen. Dieser Prozentsatz steigt bei den 20-29 Jährigen auf 38,7% an und erreicht ab dem 30. Lebensjahr die Zweidrittelmarke (68,8%). Gleichzeitig nimmt die Bedeutung der Mutter kontinuierlich ab. Die Tochter dagegen (falls vorhanden) gewinnt an Bedeutung und erreicht bei den über 70-Jährigen immerhin einen Stellenwert von 21 Prozent.


Wie sieht es denn nun bei Leuten aus, die gar keine Partner haben? Verheiratete nennen zu 84,8% Ehepartner/in als erste Person, die etwas Unangenehmes sagen darf, bei nicht Verheirateten sind es 63,8%. Bei Singles - 1,9%, hier tritt wieder die Mutter mit 28,6% in den Vordergrund, gefolgt von Tochter, Sohn und Schwester.


Die Ergebnisse scheinen mir recht bedeutsam - auch wenn in modernen Zeiten des Internets viel Privates öffentlich wird, bedeutet das noch lange nicht, dass alle das Recht haben, sich gegenseitig "die volle Wahrheit" zu sagen. Auch innerhalb der Verwandtschaft, am Arbeitsplatz, selbst in professionellen Beziehungen, die als vertraulich gelten, ist die Bereitschaft sehr gering, sensible Bereiche der Kritik auszusetzen. Privates will also privat bleiben - die besten Chancen, unangenehme Wahrheiten so zu vermitteln, dass sie auch angenommen werden, bestehen in einer engen Partnerschaft. Alle anderen, sofern sie nicht eine besondere Beziehung entwickelt haben, sollten also besser vorsichtig sein, wen sie in welcher Frage mit unangenehmen "Wahrheiten" (auch das ist schon eine bedenkenswerte Formulierung) konfrontieren. Denn selbst dann, wenn die Inhalte und die Form gut durchdacht sind, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Äußerungen nicht akzeptiert werden.


Es gibt noch eine Statistik aus der erwähnten Befragung, die in diesem Zusammenhang wichtig ist: die Anworten auf die Frage "Gibt es eine Person, die Ihnen auch mal unangenehme Wahrheiten sagen kann/darf?"





Die meisten (86% der über 18-Jährigen) hören sich unangenehme Dinge überhaupt nicht gern an. Egal, von wem es kommt. Für manche ist vielleicht auch das eine "unangenehme Wahrheit". Also: ich habe nichts gesagt! Nur aufgeschrieben, damit es lesen kann, wer mag - oder auch nicht. Die Empfehlung, in Gesprächssituationen, Diskussionen und noch mehr in emotional aufgeladenen Konfliktsituationen sehr vorsichtig mit dem Selbstbild des oder der anderen umzugehen, hat jedenfalls eine solide emprische Grundlage.

4 Kommentare:

  1. Hallo Rolf,
    was mich bei der Statistik überrascht hat ist,
    dass "Bezahlte Helfer" noch vor Großmutter und Großvater rangieren.

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  2. Hallo Mona, bei den "bezahlten Helfern" ist wie bei den Großeltern auch der Wert "Null". Die Liste ist damit keine Rangliste. Es bleiben aber auch Fragen offen, denn "wer kann am ehesten Unangenehmes sagen" muss ja nicht bedeuten, dass andere Personen komplett wegfallen. Wenn mit "bezahlten Helfern" auch Ärzte, Berater und Therapeuten gemeint sind, stimmt das schon nachdenklich. Haben sie, genauso wie Großeltern, wirklich keine Chance, Kritisches zu sagen? Statistik hin oder her - in konkreten Einzelfällen würden mich da schon einige Details interessieren.

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  3. Lieber Rolf,
    es mag sein, dass ich momentan einen Denkfehler mache, aber:
    "Statistische Erhebungen" sind für mich in der Tat "Ranglisten".
    Was bitte sind sie denn sonst?

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  4. Hallo Mona,
    eine Darstellung der Skalenniveaus und einen Exkurs über die Grundlagen der Statistik spare ich mir hier mal... Ja, was sind sie sonst? Der verzweifelte Versuch, Kausalitäten und Gesetze zu finden, wo es im Grunde nur Wahrscheinlichkeiten gibt... der Versuch, messbar zu machen, was durch die Messung entweder verkürzt wird oder beinahe ganz verloren geht. Und doch auch das Bemühen, herauszufinden, "was ist".

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