Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Montag, 4. Januar 2010

Wie lange dauert es, bis es klickt?

Es wird wohl ein größeres Projekt, den Zusammenhängen von Wissen, Wahrnehmen, Erkennen und Erkenntnis etwas näher auf die Spur zu kommen. Der 'Klick' als Bild für das Erkennen scheint gelegentlich nicht sofort zu kommen...

Alltagserfahrung... einen Apfel erkennt man sofort. Oder nicht? Tatsächlich scheint einige Zeit zu vergehen, bis ein wahrnehmbares Objekt erkannt wird. Es gibt Schätzungen von 100 bis 500 Millisekunden. In einem Experiment in Tel Aviv sollten Versuchspersonen ein Zeichen geben, wenn sie ein Objekt auf einem Bildschirm erkannten und darauf deuten. Die Objekte wurden jeweils nur sehr kurz eingeblendet, gemessen wurde die Aktivität des Gehirns mit dem EEG. Dabei zeigte sich, dass manche Versuchspersonen zwar angeben konnten, WO sie etwas gesehen hatten, aber sie konnten nicht sagen, WAS es war. Und das ist (meine Interpretation) ein Hinweis darauf, dass Wahrnehmen und Erkennen (im Sinne von: einem Objekt eine Bezeichnung zuordnen) zwei verschiedene Vorgänge sind. Zurück zum Experiment - etwa 300 bis 400 Millisekunden dauerte es, bis nach dem Auftauchen eines Objekts eine Reaktion im EEG erkennbar war. Einfache Objekte wie ein Würfel oder ein Apfel waren schneller zu erkennen, bei Worten dauerte es etwas länger. (Salti et. al. (2009))

Mit dem Blick auf dieses Experiment scheint die Vorstellung, Wissen als 'im Gedächtnis gespeicherte Information' zu betrachten, noch recht gut vereinbar zu sein. Die Zeitspanne, die zwischen Wahrnehmen und Erkennen liegt, lässt sich auch verstehen als jener Zeitraum, den das Gehirn braucht, um den 'richtigen Begriff' zu finden. Wissen bezieht sich dabei auf sprachliches Wissen, als Kenntnis über die Merkmale eines Objekts, denen ein bestimmter Begriff wie 'Apfel', 'Würfel' usw. zu geordnet ist.

Die Darstellung zur Neurophysiologe des Lernens geht von einem ganz anderen Informationsbegriff aus:

"Sie [die Architektur der Nervenverbindungen im Gehirn, R.G.] speichert gewissermaßen die während der phylogenetischen Entwicklung gewonnene Erfahrung über das Sosein der Welt. Wir kommen mit erheblichem Vorwissen über die Welt in diese." (Wolf Singer)
Dieses Vorwissen als Grundstruktur des Gehirns ist zunächst nichtsprachlicher Natur. Denn das 'vorgefertigte Gehirn', das 'Fragen an die Welt stellt' (ebenda) ist nicht von Geburt an das Gehirn eines Lebewesens, das für alle Objekte eine Bezeichnung hat und sich unmittelbar einer differenzierten Sprache zu bedienen weiss. Das Vorwissen (von dem man wirklich sagen kann, dass es Erkenntnisprozesse steuert) ist zunächst 'strukturell', nicht sprachbezogen, damit auch nicht bewusst im Sinne von 'sprachlich bewusst'. Anders formuliert: wir wissen so manches, noch bevor wir einen Begriff dafür haben. 
Nun komme ich zum Einwand von Jochen Ebmeier bezüglich der Begriffe 'Wissen und Erkennen'. Die Unterscheidung von Wissen und Erkennen bleibt aus meiner Sicht nach wie vor sinnvoll. Genau genommen ging es mir aber um die Gegenüberstellung von Wissen und Erkenntnis - und dabei war 'mitgedacht', dass Erkennen und Erkenntnis wiederum zwei verschiedene Dinge sind. Mit einem zu eng gefassten Begriff von Information komme ich allerdings schnell ins Stolpern... Der Gedanke, dass auch Gene lernen können und damit Informationen speichern, ist nicht neu und hat in jüngster Zeit wieder 'Nahrung' bekommen: genetische Veränderungen können innerhalb weniger Jahre stattfinden. Kann man das als einen Lernprozess verstehen? Als Erkenntnisprozesse der Evolution? Auch wenn es mehr wie 'trial & error' aussieht... dass hier Begriffe wie 'Information' und 'Erkennen' angemessen sind, liegt irgendwie nahe. Wichtig erscheint mir aber auch eine Differenzierung der Begriffe:
 
- es gibt unterschiedliche Arten von Information - und nicht alle sind sprachlicher Natur
- es gibt unterschiedliche Ebenen und 
- unterschiedlich komplexe Formen des Erkennens und der Erkenntnis.

"Die Selbsttätigkeit unseres Erkenntnisapparats beginnt nicht erst beim Selegieren von eintreffenden Reizen ('Informationen')..." (Jochen Ebmeier in seinem Kommentar) - das will ich nicht bestreiten. Die Darstellung im Post 'ich weiss, dass ich weiss' könnte als lineares Erkenntnismodell verstanden werden - so, als würde Erkenntnis irgendwie mit der Wahrnehmung beginnen und in einer komplexen Erkenntnis wie etwa einem wissenschaftlichen Theorigebäude enden. Im Grunde betrachte ich Erkenntnisprozesse eher unter dem Blickwinkel eines hermeneutischen Zirkels - und das auch dort, wo Prinzipien des Kritischen Rationalismus (also: Hypothesen ableiten, Experimentieren, Falsifizieren usw.) realisiert werden. Einen wirklichen 'Anfang' oder ein 'Ende' gibt es nicht. Wahrnehmen, Erkennen, Erkenntnis und Wissen sind Phasen in einem sich beständig wiederholenden Prozess.

Und manchmal dauert es etwas länger als eine halbe Millisekunde, bis es klickt.


Literatur:

Jochen Ebmeier (2008). Zur Neurophysiologie des Lernens nach Wolf Singer.

American Friends of Tel Aviv University (2009, December 21). Now you see it, now you know you see it. ScienceDaily. Retrieved January 4, 2010, from http://www.sciencedaily.com­ /releases/2009/11/091130131329.htm 


Detlef Weigel, Stephan Ossowski, Korbinian Schneeberger, Norman Warthmann, Richard M. Clark, José Ignacio Lucas-Lledó, Michael Lynch, Ruth G. Shaw
The rate and molecular spectrum of spontaneous mutations in Arabidopsis thaliana
Science, 1. Januar 2010


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