Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Montag, 26. April 2010

Wie rational sind unsere Ängste?

Hat Angst etwas mit Rationalität zu tun? Können Ängste vernünftig sein? Ja. Manchmal. Manchmal auch nicht. Oder - mehr oder weniger. Wenn ich Angst habe, einfach so über die Straße zu gehen, ist die Angst, überfahren zu werden, real. Denn da könnte ja wirklich etwas passieren. Also - es gibt eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass etwas passieren könnte. Vernünftig ist dann eben, vorsichtig zu sein. Und weil ich weiß, dass ich da etwas tun kann, um die Gefahr zu reduzieren, ist Angst hier kein großes Problem. Die Vernunft, die in der Angst steckt, bezieht sich auf ein Risiko, eine Gefahr, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auftritt. Nur - wie groß sind denn die Gefahren wirklich, die Ängste auslösen? Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Forschung zur Risikowahrnehmung - und die Ergebnisse zeigen, dass wir dabei meistens kräftig daneben tippen. Das, was uns aufregt, Ängste auslöst und Sorgen bereitet ist nicht unbedingt das, was uns umbringt.
Ali Arbia hat das Thema mit seinem Artikel Mediale Wahrnehmungsverzerrungen und Risiko aufgegriffen - und beschreibt darin die Verschiebung der Wahrnehmung durch die Aufmerksamkeit, die einem bestimmten Thema in den Medien zuteil wird. Und das kann eben bedeuten, dass für ein vergleichsweise geringes Risiko ein enormer Aufwand betrieben wird, während wesentlich gefährlichere Bereiche in den Hintergrund treten. Gleichzeitig wird deutlich, dass das Thema Risikowahrnehmung sich durch viele unterschiedliche Bereiche zieht - denn Risiken können sich auf Gesundheitsrisiken, ökologische Risiken, Technologien und politische Bedrohungen beziehen. Mit der Bemerkung, dass die mediale Berichterstattung "unser Bauchgefühl prägt", hat Ali Arbia einen zentralen Aspekt des Problemfelds angesprochen. Denn das psychische Erleben folgt eben nicht der Rationalität, was bedeuten würde, einem großen Risiko auch eine entsprechend intensive Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ziemlich harmlose Tiere wie Spinnen und Mäuse können enorme Ängste hervorrufen, während andere Dinge, die im Grunde wesentlich gefährlicher sind, keine Reaktion hervorrufen.
Marc Scheloske hat sich ebenfalls mit dem Thema Risikowahrnehmung beschäftigt. In seinem Artikel über Phonetisch-terminologische Aspekte der Risikowahrnehmung beschreibt er die Bedeutung der Begriffe, mit denen eine bestimmte Gefahr bezeichnet wird. Ist eine Substanz nur deshalb gefährlicher, weil der Name schwerer auszusprechen ist? Eine grundsätzliche Annahme ist recht einfach: das Bekannte macht weniger Angst. Die Logik der systematischen Desensibilisierung beruht ja auf der Erfahrung, dass das vermeintlich Bedrohliche gar nicht so schlimm ist. Wer sich einer Spinne langsam annähert und dabei die Erfahrung macht, dass eben doch nichts Furchtbares passiert, verliert mit der Zeit auch die Angst. Aber etwas Unbekanntes, das noch dazu schwer auszusprechen ist... das muss gefährlich sein...
Ein weiterer sehr aufschlussreichen Artikel stammt von Peter M. Wiedemann und Johannes Mertens: Sozialpsychologische Risikoforschung wird mit Risikokommunikation in Verbindung gebracht - und dabei wird die unterschiedliche Einschätzung von Risiken durch Laien und Experten als Kernkonflikt deutlich. Es ist ein Problem, das sich durch viele Felder hindurchzieht. Wie hoch ist die Akzeptanz bestimmter Technologien (wie etwa der Kernenergie) in der Öffentlichkeit und welche Rolle spielt dabei die Einschätzung der Risiken, die mit dieser Technologie verbunden ist?

Den Abschnitt zur "Psychometrie der Risikowahrnehmung" möchte ich kurz zusammenfassen:

Risiken werden intuitiv bewertet. Als gefährlich gilt vor allem...
...das, was die eigene Person betrifft,
...was man selbst nicht beeinflussen kann,
...von anderen Menschen verursacht ist (im Vergleich zu natürlichen Risiken) und
...zu einer Katastrophe mit mehreren Todesfällen zum gleichen Zeitpunkt führen kann.

Das klingt einfach und handfest und man kann so manche plausibel klingende Schlußfolgerung daraus ableiten. Wiedemann und Mertens bewerten den Ansatz der psychometrischen Risikobewertung trotzdem kritisch. Kann man damit individuelle Risikobewertungen erklären? Das scheint nicht so ganz gelingen zu wollen...
Zurück zur Studie, die Marc Scheloski erwähnt hat - in der Bezeichnung einer Substanz durch verständliche oder unverständliche Begriffe sind keine Informationen über persönliche Betroffenheit, Kontrollierbarkeit oder die Wahrscheinlichkeit einer Katastrophe enthalten. Warum also erscheint das, das schwer auszusprechen ist, gefährlicher?
Als Alternative möchte ich deshalb hier die These in den Raum stellen, dass es vor allem die inneren Bilder sind, die Menschen mit einem Risiko verbinden, die über Rationalität oder Irrationalität der Risikowahrnehmung entscheiden. Eine Katastrophe wie der Anschlag auf das World Trade Center, das ist etwas Schlimmes, das ist gefährlich, da muss man etwas tun. Andere Dinge sind vielleicht viel wahrscheinlicher, aber sie werden als relativ harmlos wahrgenommen, weil unser Gehirn kein Katastrophenbild damit verbindet. Als kleine Ergänzung eine Geschichte von Whorf. Nicht dem Worf aus Star Trek, sondern von Benjamin Lee Whorf... (aus "Sprache - Denken - Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie"). Eine Halle war abgebrannt. Was war geschehen? Ein Arbeiter hatte eine brennende Zigarette in ein Wasserbecken geworfen. Wie das sein kann? Die Flüssigkeit war eben brennbar... aber in der Wahrnehmung des Arbeiters war das "Wasser" natürlich harmlos. Sprache vermittelt Bilder und prägt damit die Risikowahrnehmung.

Vielleicht sind die Aliens ja noch gefährlicher als alles andere? Die Spekulationen über Sinn und Wahrscheinlichkeit außerirdischer Besuche überlasse ich gern den Physikern und Alienfans. Der Skepsis von Jörg Rings schließe ich mich an: warum sollten Außerirdische, die notwendigerweise ein sehr hohes technologisches Niveau erreichen müssten, um überhaupt auf die Erde zu gelangen, ein Interesse daran haben, uns auszuplündern? Stellt man sich assimilierwütige Borgs vor, muss der Kontakt zu Außerirdischen eine furchtbar riskante Sache sein. Käme ein Vulkanier mit einer zu einem V geformten Hand und dem Spruch "Lebe lang und in Frieden", sieht die Sache schon anders aus. Die Rationalität der Angst könnte also durchaus etwas mit den Bildern zu tun haben, die wir um bestimmte Substanzen, Technologien, Ereignisse, Tiere, Menschen, Gruppen, Katastrophen usw. herumbasteln.

Noch eine kurze Bemerkung zum Thema "Risikokommunikation, Experten und Laien" - die mediale Verzerrung lässt sich vielleicht korrigieren, wenn sich Wissenschaftler darum bemühen, möglichst realistische Vorstellungen von dem zu vermitteln, was gefährlich ist oder gefährlich werden kann. Einen breiten Konsens zur Risikoeinschätzung wird es deshalb trotzdem nicht in allen Fragen geben. Menschen sind nun einmal unlogisch.

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