Es wundert mich doch sehr, dass ich in meinem auführlichen Studium der Psychologie nie über die Astrologie gestolpert bin. Kein einziges Seminar, kein Hinweis, kein Impuls, mehr über das Thema zu erfahren... die Astrologie schien gewissermassen nicht existent zu sein. Testverfahren, Anamnesebögen, Persönlichkeitstheorien, psychische Störungen, Entwicklungsprozesse, Krisenbewältigung.... nirgends tauchten die Sterne als in irgendeiner Weise relevant auf. Die Astrologie ist kein Fach, kein besonderes Thema, kein Seminar wert, noch nicht einmal eine Randnotiz. Zu Recht?
Ein Artikel über Astrologiehotlines in den Science Blogs war der Impuls, etwas über das Verhältnis zwischen Astrologie und Psychologie zu schreiben. Florian Freistetter ist erkennbar kein Freund der Astrologie, die Stellungnahmen in den Artikeln wie "Astrologie ist Unsinn" und "Astrologie ist immer noch Unsinn" sind deutlich. Grundsätzlich stellt sich aber auch die Frage, ob sich wissenschaftlich denkende Menschen überhaupt mit Pseudowissenschaft und Esoterik auseinandersetzen sollten.
Die 500 Kommentare, die Florian Freistetter bekommen hat, schrecken mich eher ab - eine so umfangreiche Diskussion nimmt viel Zeit und Kraft in Anspruch. Das Anliegen, Wissenschaft zu vermitteln, teile ich allerdings mit ihm. Von Zeit zu Zeit neue Forschungsergebnisse darzustellen, dient schließlich auch diesem Zweck und die Verschwörungstheorien zur Mondlandung waren in diesem Blog ebenfalls bereits Thema.
Zunächst einmal würde ich nie auf die Idee kommen, in einer Lebenskrise ausgerechnet bei einer Astrologiehotline anzurufen und würde es auch niemandem empfehlen. 2 Euro pro Minute? Da ist eine geeignete Beratungsstelle wesentlich günstiger... Im übrigen: warum sollten ausgerechnet die Sterne einen Weg aus einer Krise aufzeigen können?
Es gibt im Bereich der Psychotherapie eine immense Zahl unterschiedlicher Ansätze, mit den verhaltenstherapeutischen, tiefenpsychologischen und humanistischen Therapieformen sind die drei wichtigsten Richtungen skizziert. Die Sterne als diagnostisches Instrument, Theorien über den Einfluss der Gestirne bei der Geburt auf die Entwicklung des "Charakters" spielen dabei keine Rolle. Verhaltenstherapeuten suchen nach Möglichkeiten, Verhalten zu verändern; in tiefenpsychologischen Ansätzen werden innere Konflikte stärker beachtet, humanistische Ansätze betonen die Bedeutung der Gefühle. Wenn man sich näher mit bestimmten Richtungen beschäftigt, finden sich viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten. Klären. Beobachten. Nach Lösungen suchen. Ergänzende Verfahren einsetzen, wenn sich irgendwo ein Problem zeigt, dass eine nähere Untersuchung sinnvoll erscheinen lässt. Solche Denkmuster finden sich auch in der Medizin: Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen usw.. Wenn ich mit einem gebrochenen Bein bei einem Arzt landen würde, der erst die Sterne befragen muss, um herauszufinden, ob es wohl wieder zusammenwachsen wird, wäre der Impuls aufzustehen und wieder zu gehen bzw. davon zu humpeln unvermeidlich. Genauso würde ich reagieren, wenn jemand "nachsehen würde, was meine Seele von mir möchte". Bereits Begriffe wie "Seele" und "Charakter" sind deutliche Hinweise auf Unwissenheit und dubiose Theorien - es ist zu bedauern, dass selbst Mediziner und Psychologen gelegentlich noch diese Begriffe verwenden. Die wissenschaftliche Psychologie jedenfalls kann mit einem so schwammigen Begriff wie "Seele" nichts anfangen und die Charakterologie ist in der Persönlichkeitspsychologie nicht mehr als ein historischer Ansatz - längst überholt. Die Vorstellung, der Mensch liesse sich als "Summe von Charaktermerkmalen" beschreiben, die womöglich noch durch das Schicksal, die Sterne oder auch die Gene bestimmt sind, ist nicht haltbar.
Astrologie und Psychologie in einen Topf werfen?
Nun gehe ich einmal davon aus, dass es für die meisten leichter ist, eine Vorstellung von dem zu entwickeln, was in einer Arztpraxis vor sich geht als zu verstehen, was Psychotherapie bedeutet. Es gibt aber gewisse Gemeinsamkeiten, die das diagnostische Vorgehen grundsätzlich von der astrologischen Beratung abgrenzt. Die simple Frage "wo fehlt's denn?" oder "wo tut's denn weh?" ist vielleicht der Auftakt zum Bemühen, herauszufinden, wo das Problem liegt. Und dann wird eben untersucht - der Körper eben, wenn er krank ist.
Psychologische Diagnostik ist ebenfalls eine Untersuchung - Anamnese, Testverfahren, die operationalisierte psychodynamische Diagnostik und die Verhaltensanalyse sind Methoden, mehr und genauere Details über Menschen und ihre Probleme zu erfahren. So etwas braucht eben Zeit - ist aber nötig, um herauszufinden, was sinnvoll und hilfreich ist.
Die Haltung "ich weiss zwar nichts über dich, höre auch nicht zu, frage nicht danach, wo ein Problem liegen könnte, aber ich weiss genau, worauf es ankommt und was geschehen wird, weil meine Karten mir das sagen" ist arrogant und überheblich - und hat mit Beratung und echter Hilfe nichts zu tun. Es hat auch nichts mit Psychologie zu tun. Psychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen - und nicht mit den Bewegungen der Sterne. Die Behauptung, dass die Sterne das Schicksal bestimmen ist genauso spekulativ wie die Vorstellung, Psychotiker wären von einem bösen Geist besessen, den man mit Hammer und Meißel aus dem Kopf befreien muss (s. dazu: Psychiatrie im Mittelalter.)
Möglichkeiten und Grenzen der Argumentation
Wissenschaftler neigen zum Zweifeln - denn sie wollen nicht glauben, sondern wissen. Gibt es einen Gott? Schon möglich. Gibt es Leben auf anderen Planeten irgendwo im Universum? Schon möglich.
Fällt ein Gegenstand zu Boden, wenn ich ihn fallen lasse? Machen wir ein Experiment... wenn zwei Dutzend Gegenstände, vom Bleistift über Radiergummi, von der Büroklammer bis zum Kuli tatsächlich zu Boden fallen, wird der nächste es (Achtung!) sehr wahrscheinlich auch tun. Ganz sicher ist das nicht, aber die Erfahrung zeigt, dass es da wohl einen Zusammenhang gibt. Für Gläubige ist das Zweifeln etwas, das den Glauben bedroht - für Wissenschaftler ist das Zweifeln, vor allem aufgrund von neuen Beobachtungen, die irgendwie nicht zu den existierenden Theorien passen, ein Anlass, weiter zu fragen. Weiter zu forschen und bei Bedarf eben eine neue Theorie zu formulieren, die vorliegende Ergebnisse besser erklären und darstellen kann. Gibt es keine Studie, die eine bestimmte Behauptung (Hypothese) bestätigen kann, kann die Behauptung nicht Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie sein.
Was mich überzeugen könnte...
Wenn die Sterne einen Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale haben, dann muss zumindest eine Korrelation zwischen Sternzeichen und Persönlichkeits- merkmalen nachweisbar sein. Ein bescheidener Anspruch also...
Hartmann, Reuter & Nyborg untersuchten im Jahr 2005 insgesamt über 15000 (!) Personen und gingen dieser Frage nach. Gibt es Hinweise darauf, dass bei verschiedenen Sternzeichen Persönlichkeitsmerkmale unterschiedlich stark ausgeprägt sind? Untersucht wurde auch die Frage, ob das Geburtsdatum irgendwie mit Intelligenz zu tun hat. Zusammenhänge zwischen den Sternzeichen, Persönlichkeitsmerkmalen und Intelligenz wurden aber nicht gefunden. Gäbe es einen, bliebe immer noch die Frage der Kausalität offen. Gibt es aber keinen, dann kann ich aus dem Sternzeichen auch keinerlei Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale ableiten. Keinen einzigen. Sprich - irgendwelche Prognosen, die aufgrund von Sternzeichen gemacht werden, sind schlicht und ergreifend aus der Luft gegriffen. Wenn Astrologen nicht imstande sind, Prognosen zu erstellen, die über gesunden Menschenverstand hinausgehen oder rein zufällig zutreffen - und beim Kartenlesen, Hellsehen oder wobei auch immer häufig ziemlich daneben liegen - ist die Theorie widerlegt, falsifiziert, wie man im Sinne des Kritischen Rationalismus auch sagt. Glauben kann man natürlich trotzdem daran. Und das seltsame ist - dass es für den einen oder die andere tatsächlich hilfreich ist, kann man nicht ausschließen.
So ein ganz allgemeiner Tipp, hier oder da mehr auf sich zu achten, das kann schon hilfreich sein, klar - aber dafür braucht man keinerlei Qualifikation, keine Tarotkarten und keine Sterne.
Wer einmal "Glück" hat, eine positive Wende im eigenen Leben erfährt und dabei Allah, Jahwe, Gott, einen Engel oder das Schicksal am Werke sieht, darf das gerne glauben. Und - dass die simple Begegnung mit anderen Menschen ohne jede wissenschaftliche Grundlage sehr hilfreich sein kann, dass Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen in Beratungssituationen wertvoll sind, daran will ich nicht zweifeln.
Man kann in den Weltreligionen viel Weisheit entdecken - und respektieren, dass sie Deutungen und Orientierung vermitteln können. Astrologie aber ist keine Religion - es ist Aberglaube. Horoskope mögen einen hohen Unterhaltswert haben - als Konzepte der Lebensberatung sind sie einfach nur Unsinn. Das Video, das Florian Freistetter in seinen Artikel eingebettet hat, ist hier so anschaulich, dass ich mich ebenfalls damit beschäftigen möchte.
Im Beispiel aus dem ZDF hat die Hellseherin einmal munter drauflosfantasiert... und lag daneben. Bezahlt werden muss trotzdem werden - Dummheit kann teuer werden. Aber es geht um mehr - in verschiedenen therapeutischen Ansätzen wird auf Selbständigkeit und Autonomie großen Wert gelegt. Die humanistische Tradition, die sich an Carl Rogers orientiert, zielt mit der Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte auf Prozesse ab, selbst Antworten und Lösungen zu finden. In der analytischen Therapie kann die Regression eine längere Phase in der Behandlung sein - aber die Fixierung auf ein abhängiges Beziehungsmuster ist nicht das Ziel. In der Verhaltenstherapie finden sich Ansätze wie das Problemlösetraining, Konzepte zur Entwicklung von Selbstsicherheit und Selbstmanagement.
All das hat mit Magie sehr wenig zu tun... es geht darum, die Fähigkeit zur eigenständigen Lebensgestaltung zu unterstützen. Wenn Beratungsstellen Prinzipien wie "Hilfe zur Selbsthilfe" formulieren oder im therapeutischen Zusammenhang von Psychoedukation gesprochen wird, dann steht der Gedanke dahinter, die Entwicklung einer abhängigen Beziehung zu vermeiden. Die Idee, das eigene Leben selbst zu bestimmen, selbst zu entscheiden und eigene, passende Lösungen zu finden steht der Bindung an ein "übermenschliches" hellsehendes Subjekt diametral entgegen.
Als die Kartenlegerin im Film behauptet, Psychotherapie koste schließlich auch und "schließlich mache ich nichts anderes", liegt neben den Karten eine faustdicke Lüge auf dem Tisch: einer zweifachen Mutter einreden zu wollen, dass sie nie Kinder bekommen und ihre Ehe kaputt gehen wird, das hat mit Psychotherapie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Jaja... "astrologische Lebensberatung stimmt, weil sie nicht auf wahr oder falsch ausgerichtet ist". Das Falsche kann also stimmen, weil die Stimmigkeit nichts mit wahr oder falsch zu tun hat? Ein Zitat von Carl Simonton fällt mir dazu ein: "manchmal ist eine schlechte Beratung schlechter als gar keine".
Die Geduld, mit der sich Florian Freistetter den Argumentationslinien widmete, die die "heilige Kunst der Astrologie" verteidigen, kann ich nur bewundern. Menschen, denen es wirklich schlecht geht, egal in welcher Hinsicht, ist nicht damit geholfen, wenn "noch ein weiterer Himmelskörper" berücksichtigt wird. Wer glaubt, die Wissenschaft sei überflüssig und könne durch Spekulation ersetzt werden, täuscht sich gewaltig. Ohne sie wäre die technische Entwicklung nicht möglich gewesen und dieser Text wäre überhaupt nicht lesbar, weil es keine Computer gäbe.
Und in psychiatrischen Kliniken würden die Ärzte womöglich mit Hammer und Meißel versuchen, die bösen Geister aus den Köpfen zu befreien. Ein Albtraum!
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Dean & Kelley kommen nach einer Metaanalyse von mehr als 40 Studien (seit 1950) zu dem Schluss, dass es keinen relevanten Zusammenhang zwischen Sternkonstellationen und Persönlichkeiten gibt. Wenn es einen gibt, dann muss er extrem schwach oder so selten sein, dass nirgends ein handfester Nachweis gelang. Dass die Sterne auf die Psyche des Menschen einen Einfluss haben, ist sehr unwahrscheinlich.
(G. Dean, I. W. Kelly: Astrology Relevant to Consciousness and Psi? In: Journal of Consciousness Studies, 10/2003, S. 175–198.)
Rolf,
AntwortenLöschenDu schreibst:
"Die Vorstellung, der Mensch liesse sich als "Summe von Charaktermerkmalen" beschreiben, die womöglich noch durch das Schicksal, die Sterne oder auch die Gene bestimmt sind, ist nicht haltbar."
Lieber Rolf,
ich finde, das ist aber auch nicht ganz auszuschließen.
Ich mag die Bezeichnung "Charaktermerkmale" nicht, "Persönlichkeitsmerkmale" würde es eher treffen.
Wenn ich also an die Stelle des Wortes "Charaktermerkmale" jetzt das Wort "Persönlichkeitsmerkmale" setzen würde, so erhält Dein Satz für mich eine ganz andere Bedeutung.
Dann würde ich nämlich anmerken:
"Selbstverständlich lässt sich der Mensch als Summe von Persönlichkeitsmerkmalen beschreiben."
Hallo Mona,
AntwortenLöschenDer Mensch als "Summe von Persönlichkeitsmerkmalen": als eine von mehreren Persönlichkeitstheorien kann ich das mehr oder weniger stehen lassen, der Begriff "Insgesamt" gefällt mir da besser, weil "Summe" die Assoziation mathematischer Addition weckt. Wichtiger ist mir aber die Vorstellung, dass Persönlichkeitsmerkmale keine Konstante sind, sondern sich in ihrer Ausprägung im Laufe des Lebens verändern können. "Charakter" dagegen ist oft als "feste Struktur" gedacht. Von manchen wir dann gesagt, sie "hätten keinen Charakter". Eine Aussage wie "ein Mensch hat keine Persönlichkeit" ist für einen Psychologen nicht haltbar - und darin zeigt sich der Unterschied in der Betrachtung.
*Wichtiger ist mir aber die Vorstellung, dass Persönlichkeitsmerkmale keine Konstante sind, sondern sich in ihrer Ausprägung im Laufe des Lebens verändern können.*
AntwortenLöschenIn der Tat Rolf, in der Tat.
In der Tat und durch die Tat... aber auch gewissermassen von selbst. Denn Älterwerden kann auch bedeuten, zu wachsen und zu reifen.
AntwortenLöschenDer kosmische Mensch:
AntwortenLöschenhttp://www.astrobroker.de/km/