Let's agree to differ: Bewertungsebenen in Konfliktsituationen

"Let's agree to differ" - eine solche Formulierung kennen wir im Deutschen nicht. Es geht dabei um die Zustimmung zu einer Meinungsverschiedenheit - "agree to differ" bedeutet soviel wie: sich darin einig sein, dass man sich nicht einig ist. Oder: unterschiedliche Auffassungen stehen zu lassen. Ob sie nun begründet sind oder nicht. Wenn dieser Formulierung eine Auseinandersetzung vorangegangen ist, lässst sich vermuten, dass es sich um einen begründeten Dissens handelt. Das muss aber nicht so sein.
Diese Formulierung ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Es scheint eine typisch deutsche Angelegenheit zu sein, Meinungsverschiedenheiten "vom Tisch" haben zu wollen, stets und überall nach einem Konsens zu suchen. Manchmal ist das ja auch sinnvoll - aber oft nicht nur unnötig, sondern geradezu störend.

Das Strittige als Störung zu betrachten - das ist eine Möglichkeit.
Das Strittige als Unterschied zu begreifen, eine andere.

Es gibt aber noch einen Aspekt, den man hier als Element der Konfliktanalyse berücksichtigen kann (und sollte): die verschiedenen Ebenen, auf denen "etwas" beurteilt wird. Dieses "Etwas" ist in der Formulierung "let's agree to differ" der Dissens selbst. Eine Hypothese als Denkanstoss: mit unterschiedlichen Aufasssungen lässt es sich wesentlich leichter leben, wenn man einen Dissens akzeptieren kann - und ihn nicht notwendigerweise als ein Problem betrachtet, das unbedingt beseitigt werden muss. Denn dort, wo ein Problem, sprich: ein Konflikt beseitigt wird, werden oft auch Menschen "beseitigt". Vom "aus-dem-Feld-Drängen" bis zum Mord. Es ist vielleicht übungsbedürftig, solche Bewertungsebenen zu erkennen. Ein Sachverhalt wird unterschiedlich beurteilt bzw. bewertet, die Tatsache, dass es unterschiedliche Auffassungen gibt, wird wiederum beurteilt bzw. bewertet, die Differenz in der Beurteilung der unterschiedlichen Beurteilungen lässt sich wiederum beurteilen und bewerten.

Kein Wunder, dass Konfliktsituationen manchmal so kompliziert sind!

Zu akzeptieren, dass sich so manches eben nicht so schnell klären lässt, dass Verständnis und Einverständnis eben nicht einfach so "vom Himmel fallen", ist eine Haltung, die so mancher Situation viel Schärfe nehmen kann. So gesehen hat es etwas für sich, sich gelegentlich über Uneinigkeiten einig zu werden.

s. auch:
Konflikte und Passung
Klären, was strittig ist
Klärungsziele und Klärungsfragen