Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 30. April 2009

Das Strittige

Bei der Beschreibung des Strittigen beziehe ich mich zunächst auf die Sprecherziehung als angewandte Sprechwissenschaft, im folgenden abgekürzt als ‚SE’ (GEISSNER, H. (1986). Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Scriptor).

„Die Kategorie des ‚Strittigen’ ist die Grundlage des Streitens“ (SE, S.118).


Da gibt es also unterschiedliche Meinungen. Die einen sehen es so, die anderen anders. Der eine behauptet, dieses oder jenes sei wahr, die andere bestreitet das. Was ist sinnvoll? Was ist machbar? Was ist möglich? Was ist richtig? Es gibt sehr viele Dinge, über die man unterschiedlicher Meinungen sein kann. Konflikte als Resultat unterschiedlicher Auffassungen sind allgegenwärtig. Der Normalfall. Es gibt also viele Punkte, an denen sich ein Streit entzünden kann. Was aber ist eigentlich ein „Streit“, was ist „Streiten“?
"Streiten ist ’mit Gründen streiten’ oder argumentieren“ (SE, S.119).
Erst im Vergleich mit dem Alltagsverständnis wird erkennbar, welche Konsequenzen diese Definition hat und warum Konflikte oft so destruktiv sind. Denn das Argumentieren ist keinesfalls überall selbstverständlich. Die Frage „was verbinde ich mit dem Begriff Streiten?“ zeigt dann auch recht unterschiedliche Erfahrungen auf, die so manchen und manche zu der Schlussfolgerung bringen, einem Streit lieber aus dem Weg zu gehen. Es gibt noch einen Gedankengang, den ich zitieren möchte, um das Problemfeld vorläufig abzurunden:

„Wer argumentiert, d.h. mit Gründen streitet… setzt voraus, daß der mit dem er streitet, das Strittige, die Streitfrage .. als Streitfrage versteht. Er setzt weiter voraus, daß der, mit dem er streitet, daran interessiert ist, den Streitfall zu lösen.“ (SE, S.119).

Die Voraussetzungen für ein „sinnvolles Streiten“ sind damit noch nicht vollständig genannt. Mit den drei genannten Zitaten lässt sich jedoch beschreiben, warum Konflikte manchmal so kompliziert und schwierig sind. Die Kategorie des Strittigen: wenn das immer so klar wäre! Die Beobachtung und Analyse von Konfliktsitautionen hat mir immer wieder deutlich gemacht, dass das ‚Strittige’ in einem komplizierten Geflecht gelegentlich völlig untergeht, die Streitfrage nicht so leicht zu erkennen ist, anders formuliert: es wird ‚gestritten’, ohne dass klar ist, was da eigentlich strittig ist. Die Formulierung, die ich an dieser Stelle gern benutze, bringt die Grundgedanken aus der Sprecherziehung in einer anderen Form zum Ausdruck:

Klären, was strittig ist – sich über Strittiges verständigen.

Der zweite Teil deutet bereits die Akzentverschiebung zum Miteinander- streiten an, aber zuvor läßt sich eine einfache Frage stellen:

Was ist eigentlich strittig? Worüber streiten wir und eigentlich?

Es hat Gründe, warum diese Frage so manchem Streit den Wind aus den Segeln nimmt – man kann sich hier eben auch täuschen. Möglicherweise werden ähnliche Vorstellungen unterschiedlich ‚zur Sprache gebracht“, es scheinen unterschiedliche Meinungen im Raum zu stehen, die sich im Gespräch geradezu auflösen und zu der Einsicht führen können: „im Grunde meinen wir dasselbe“. Möglich ist auch, dass ein Thema angesprochen wird, ein Problem benannt wird, aber „eigentlich“ geht es um etwas anderes. Klären, was strittig ist: das bedeutet, die Streitfrage als solche herauszuarbeiten, klar zu benennen, worum es wirklich geht.
Streiten ist schwierig, wenn nicht klar ist, was strittig ist, es ist auch schwierig, wenn mehrere Dinge gleichzeitig strittig sind und ständig durcheinander geraten. Streiten ist auch schwierig, wenn die Strittigkeit des Strittigen bestritten wird, nach dem Motto „wieso, wir sind uns doch einig?“. Das Interesse an einer Lösung ist ebenfalls nicht selbstverständlich – manchen geht es nicht um eine Lösung, sondern darum, die eigene Vorstellung durchzusetzen. Manchmal geht es nicht um ‚die Sache’. Sondern um Macht. Manche Konflikte sind nicht lösbar, weil ein Konsens überhaupt nicht beabsichtigt ist. Und manchmal scheitern Gespräche an der Orientierung am Konsens – weil er an manchen Stellen einfach überflüssig ist.
Zwei Arbeiter, die im Wald einen Baum fällen wollen, können natürlich darüber streiten, ob das zweite Tor im letzten Fußballspiel „verdient“ oder „unverdient“ war. Für den Baum selbst und die Arbeit ist diese Frage ziemlich unwichtig…

Wollen wir uns darüber wirklich streiten?

Ist die Streitfrage für uns wichtig?

Brauchen wir einen Konsens?

Es gibt viele Dinge, die man unterschiedlich sehen kann. Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, was Kunst ist. Und? Ich muss mich nicht mit allen über alles streiten. Ich muss nicht mit allen in allen Fragen einen Konsens erarbeiten. Das, was strittig ist, muss nicht notwendigerweise zu einem Streit führen. Was es mit dem begründeten und dem unbegründeten Dissens auf sich hat, ist ein Thema für sich. Grundsätzlich aber gilt: Unterschiede können bereichern, die Vielfalt macht die Kultur „bunt“ und Demokratie gedeiht nur dort, wo unterschiedliche Meinungen sein dürfen.

1 Kommentar:

  1. Hey Rolf,

    ich habe dir ein Mail geschickt und wollte fragen, ob du mich auch auf diesem Blog hier verlinken könntest.

    Wenn du es ggf. gemacht hast, kannst du den Comment auch löschen, da er nicht zum Thema passt.


    Grüssle Roman

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