Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Freitag, 30. Oktober 2009

Kognitive Bezugssysteme und Kommunikation (2)


Regel 4: Sachlichkeitsgebot
Ein Standpunkt darf nur dadurch verteidigt werden, dass man Argumente für den Standpunkt vorbringt.

Die Frage der Sachlichkeit ist ein Thema, das eine ausführlichere Darstellung erfordern würde. Zunächst einmal habe ich den Eindruck gewonnen, dass Wissenschaftler vor allem dort in Schwierigkeiten geraten, wo der Boden sachlicher Argumentation verlassen wird. Die Sache selbst (ob es dabei nun um die Astrologie, die Relativitätstheorie oder etwas ganz anderes geht) tritt dabei zurück. Es scheint, als bereite ein wissenschaftliches Studium häufig nur wenig auf Situationen vor, in denen es darum geht, Erkenntnisse gegenüber Leuten zu verteidigen, die sich nicht an den fachspezifischen Kriterien wissenschaftlicher Argumentation orientieren.


Regel 5: Redliche Bezugnahme auf implizite Voraussetzungen
Eine Person ist verpflichtet, zu den Voraussetzungen (=Prämissen) zu stehen, die er oder sie implizit zum Ausdruck gebracht hat. Umgekehrt dürfen den Kontrahenten nicht Prämissen unterstellt werden, die sich aus deren Äußerungen gar nicht entnehmen lassen.

Der Anspruch ist hoch - das "Mitgedachte" und "Mitgemeinte" ist nicht immer so leicht zu erkennen und zu rekonstruieren. Kienpointers Anliegen, vor allem im öffentlichen Bereich sehr sorgfältig mit Deutungen impliziter Voraussetzungen umzugehen, kann ich mich daher nur anschließen. Die von ihm erwähnte Vorgehensweise, im Einzelfall nachzufragen, ob eine bestimmte Aussage bei einer Äußerung "mitgedacht" ist, stellt immerhin einen methodischen Ansatz dar.


Regel 6: Gemeinsame Ausgangspunkte respektieren
Eine Prämisse darf nicht fälschlich als gemeinsam akzeptierter Ausgangspunkt hingestellt werden, und umgekehrt darf eine Prämisse, die gemeinsam akzeptiert ist, nicht zurückgewiesen werden.

Prämissen, verstanden als grundsätzliche Denkmuster, gemeinsame Ausgangspunkte also sind zu einem großen Teil Ergebnisse schulische und universitärer Sozialisation. Begriffe wie "empirisch", "falsifizieren", "Hypothese", "Theorie", "Experiment" usw. bekommen eine Bedeutung, die als Grundlage der Verständigung dienen. Was innerhalb der Wissenschaften die Kommunikation erleichtert, wird nach außen aber schnell zum Problem. Wenn eine bestimmte Aussage, die sich aus der Relativitätstheorie ableiten lässt, in einem Experiment nicht bestätigt werden kann, könnten Laien auf die Idee kommen, zu sagen: "die Wissenschaft hat festgestellt, dass die Relativitätstheorie nicht stimmt". Dass Physiker aufgrund eines einzigen Experiments ein komplexes Theoriegebäude einfach so über Bord werfen, kann ich mir schwer vorstellen.
Nun - schroffe Konfrontationen sind vor allem dort zu erwarten, wo Wissenschaftskritiker ihre Auffassungen nicht aus empirischer Forschung ableiten und damit die Prämissen, von denen wissenschaftliches Denken ausgeht, nicht akzeptieren. In einem solchen Prozess klar zu benennen, dass es nicht mehr um eine wissenschaftliche Diskussion, sondern um einen Meinungsaustausch geht, könnte hier für mehr Transparenz sorgen.






Donnerstag, 29. Oktober 2009

Schwäbische Logik

- Du Hugo, heramol, do stoht: 'wenn es regnet, wird die Straße nass.' Vom Hempel...
- Ha, des isch doch klar, dass es nass wird, was denn sonschd!
- Aber des stemmt doch gar net! Wenn i amol muass on koin Busch fend... dann wirds au nass uff dr Stroß!
- Dehalb wirds abr drotzdem nass, wenn's rägnet!
- Ha, scho, aber net bloss dann...
- Also miast mr doch sage: nass wird die Stroß, wenn's regnet, odr wenn dr Erwin koi Hecka gfonda hot! On ausserdem... ondr meim alte Käfr wird's au net nass, wenn's regnet!
- Na, do wär i mir net so sicher. Der isch beschtimmt bald so durchgroschded, dass es grad vom Dach aus nonderrägnet!
- Drotzdem hält mei Heilix Blechle die Stroß schee drocka!
- Aber au bloss a bissle. So viel kosch du doch gar net durch die Gegend kutschiere, dass älle Stroße drocka bleibet... also stemmt's doch mit dem Spruch. Wenn's rägert, wird's halt nass uff dr Stroß.
- Aber net ieberall!
- Ha logisch. Bloss do, wo's net drocka bleibt. On nass wird's au do, wo onier sei Konfirmandebläsle net halte ko.
- So, des isch also Logik!

Kognitive Bezugssysteme und Kommunikation (1)

Der Grundgedanke ist einfach: Kommunikationsprozesse sind relativ einfach, so lange sich die Miteinandersprechenden innerhalb des gleichen kognitiven Bezugssystems bewegen. Das gilt auch für schriftliche Kommunikation. Es gilt für wissenschaftliche Kommunikation und in anderen Bereichen. Wo die Möglichkeiten und Grenzen im Einzelfall sind, bedarf dann einer differenzierteren Betrachtung.

Was mit "relativ einfach" gemeint ist, soll noch näher erläutert werden. Innerhalb der einzelnen Wissenschaften finden sich typische Denk- und Argumentationsmuster, die auf einem gemeinsamen Wissenschaftsverständnis beruhen. Solche Muster ziehen sich durch viele Wissenschaftsbereiche und ermöglichen gemeinsame Bezugspunkte - Konventionen, die sich im Wissenschaftsbetrieb entwickelt haben. Sie werden im Laufe der Zeit so selbstverständlich, dass es kaum nötig erscheint, darüber nachzudenken - bis es eben Situationen gibt, in denen unterschiedliche Auffassungen aufeinander prallen, wissenschaftliches Denken mit anderen kognitiven Bezugssystemen kollidiert.
Inhaltliche Auseinandersetzungen werden schnell destruktiv, wenn diese unterschiedlichen Bezugssysteme nicht berücksichtigt werden. Ich denke, dass es sehr hilfreich sein kann, wenn Wissenschaftler sich ihres Bezugssystems bewusst werden - und dann auch deutlich machen, warum sie bestimmte Aussagen nicht als wissenschaftliche Erkenntnis gelten lassen. Die Frage ist: wie lässt sich ein solches kognitives Bezugssystem beschreiben? Gibt es ein gemeinsames Verständnis von Wissenschaft, das sich durch alle Fachbereiche hindurchzieht oder existieren mehrere Systeme, die innerhalb einer Wissenschaft und zwischen verschiedenen Wissenschaften zu Missverständnissen und Konflikten führen können?
Einen Ansatzpunkt zur Klärung dieser Fragen sehe ich in den Regeln für vernünftiges Argumentieren, die Manfred Kienpointer mit Bezug auf van Eemeren und Grootendorst formuliert hat. Wenn diese Regeln wirklich Teil des Kognitiven Bezugssystems von Wissenschaftlern sind, dann müssten sie sich auch in der wissenschaftlichen Literatur aufzeigen lassen. Auch in den Scienceblogs müssten dann Text- und Kommentardialoge erkennbar sein, die sich an diesen Regeln orientieren. Könnte es sein, dass es vor allem dort schwierig wird, wo ganz bestimmte Regeln gebrochen werden?



Regel 1: Redefreiheit
Die Argumentierenden dürfen einander nicht hindern, Standpunkte vorzubringen oder Standpunke zu bezweifeln.

Der Begriff "Redefreiheit" wirft zunächst Probleme auf, denn wissenschaftliche Kommunikation findet zu einem erheblichen Anteil in schriftlicher Form statt. Mitreden darf in der Wissenschaft nicht jeder - wer ernst genommen werden will, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, Fachzeitschriften nehmen nicht jeden x-beliebigen Text auf. Blogs stellen hier im Grunde einen großen Schritt dar - und die Überlegungen, Kommentare zuzulassen, auch wenn sich dabei gelegentlich ellenlange Diskussionen entwickeln, stellen einen Schritt dar, freie Meinungsäußerungen auch dort zu erlauben, wo jemand keinen akademischen Abschluss im entsprechenden Fach vorzuweisen hat.

Regel 2: Begründungspflicht
Wer einen Standpunkt vorbringt, ist verpflichtet, ihn zu verteidigen, wenn er oder sie gebeten wird, das zu tun.

Wissenschaftliche Literatur nimmt diese Pflicht zur Verteidigung zu einem großen Teil bereits vorweg - und das häufig sehr gründlich. Aussagen sind oft sehr bescheiden - beschränken sich auf Hypothesen, die untersucht und bestätigt wurden, beschreiben Methoden, Instrumente, Berechnungsgrundlagen usw.. Typisch für die empirischen Wissenschaften ist die Durchführung von Experimenten - sie gelten als Belege, als Begründung für bestimmte Behauptungen.

Regel 3: Redliche Bezugnahme auf das Gesagte
Ein Widerlegungsversuch muss sich auf denjenigen Standpunkt beziehen, der tatsächlich von der Gegenpartei in der Diskussion geäußert worden ist.

Kienpointer beschreibt in seiner Darstellung in diesem Zusammenhang eine Szene aus Martin Walsers "Zimmerschlacht". Kurz zusammen gefasst geht es um die Frage, ob Aussagen tatsächlich geäußert wurden oder nur unterstellt sind. Missverständnisse und Verwirrungen lassen sich vermeiden, wenn Widerlegungsversuche genau angeben, worauf sie sich beziehen. Literaturangaben und Zitate lassen sich aus dieser Perspektive als das Bemühen um vernünftige Argumentation verstehen - sie machen nachvollziehbar, worauf sich Einwände, Bedenken oder Gegenthesen genau beziehen.

Literatur:
KIENPOINTER, M. (1996). Vernünftig argumentieren. Regeln und Techniken der Diskussion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.









Dienstag, 27. Oktober 2009

Was isch informatief?

(...aus der Reihe "Schwäbisch fiar Ofängr on Reigschmeckte")

Zwoi Penner em Parg.
- "Du Hugo, was isch eigendlich 'informatief'?"
- "Gugg mol, do liegt an Euro uff dr Stroß, do kannsch ons no a baar Bierle hoola."
- "Aha, jo dees isch informatief!", sagt dr Erwin.
On marschierd zom Aldi. Kommt zrick, aber ohne Fläschle.
- "Dr Aldi hot scho zua ghet."
- "Ha, des hanne mr dengt!"
- "Worom hosch nix gsagt? Dees wär informatief gwä!"
- "Informatief scho. Abr ned guad fiar dei Läbr!"

Jetzt wisse mer's.

Volksabstimmung über die Relativitätstheorie?




Ein verwunderlicher Titel... ein Mathematiker postet über die Volksabstimmung zur Relativitätstheorie. Ist Wahrheitsfindung, die Entscheidung über die Gültigkeit einer Theorie, ein demokratischer Prozess, eine Frage der Abstimmung?
Dahinter steht eine Debatte auf dem Blog, die irgendwie aus den Fugen geraten ist... Und die Abstimmung bezog sich auf die schwierige Frage, wie damit umzugehen sei. Aha. Doch etwas anders als ich zuerst dachte.
Ein Post mit 1905 Kommentaren. Über Einstein.
Ein Post mit 951 Kommentaren: Einstein und die Cranks.
Interessant, die Leidenschaft zu beobachten, mit der hier über die Relativitätstheorie gestritten wird. An sich ist die schon relativ schwierig, sie in relativ einfachen Worten zu erklären, auch nicht einfach, relativ schwer zu verstehen ist aber auch zunächst, worüber sich manche dabei eigentlich aufregen. Wer mit der Vorstellung lebt, Wissenschaft sei eine durchaus nüchterne Sache, kann sich hier von einer anderen Dimension inspirieren lassen, die wiederum eine relativ nüchterne Sicht auf die problematische Zwischenmenschlichkeit ermöglicht, die es nun einmal in wissenschaftlichen Diskussionen auch gibt.

Der schwierige Versuch, eine Beschreibung des Prozesses zu leisten: Worum geht es eigentlich?


Vereinfacht geht es um die Frage, ob die Relativitätstheorie nun stimmt oder nicht.
Kleiner Exkurs von einem, der für sich in Anspruch nimmt, eine Idee davon zu haben, wie Wissenschaft funktioniert:

Wissenschaft ist ein Prozess, in dem immer wieder neue Theorien entstehen.

Ist das Licht nun Teilchen oder Welle? Hat es von beidem etwas? Gibt es Experimente, die eine Entscheidung ermöglichen oder... wird eines Tages eine Theorie formuliert, die alle beobachteten Effekte erklären kann? So ungefähr. Mitgedacht dabei: es gibt klare und rationale Kriterien dafür, was als wissenschaftliche Aussage gelten kann und was nicht.
Vielleicht geht das Beamen ja doch und die Lichtgeschwindigkeit ist keine absolute Grenze. Wenn die Relativitätstheorie für immer und alle Zeit ohne Wenn und Aber gültig bliebe, wäre es ein Zeichen für einen dogmatischen Stillstand - die Physiker hätten es dann versäumt, weiter zu denken. Haben sie aber nicht. Logisch also, dass es irgendwann Einwände, Probleme, neue Erkenntnisse und neue Theorien geben muss.

Nun ja, im oben erwähnten Artikel sind 23 große Fehler erwähnt, die Einstein gemacht haben soll. Ohne nähere Erklärung verstehe ich hier überhaupt nichts und bin deshalb auch nicht bereit, auch nur einen einzigen davon als "belegt" oder "bewiesen" zu akzeptieren. Moment mal... leere Behauptungen bringen die Wissenschaft nicht voran. Als Hypothese vielleicht, dann bleibt es aber auch Hypothese, so lange bis die Geschichte untersucht, aufgezeigt, begründet und belegt ist. Also - es geht mir hier nicht um Einstein oder die Relativitätstheorie, sondern um die Frage, was hier aus der rationalen wissenschaftlichen Argumentation geworden ist. Hat sie ihren Sinn verloren?
Wenn Mozart mit Warp 4 reisen kann...dann nimtz mir den Atem. Okay, es gibt also Hinweise auf Überlichtgeschwindigkeit. Und? Bei den Kommentaren stolpere ich über die Aussage, Einsteins Theorie sei "schon oft widerlegt worden". Geht das überhaupt? Kann man eine Theorie als Ganzes überhaupt widerlegen? Wäre hier etwas mehr Sorgfalt angebracht, die genauer beschreibt, welches Experiment oder welcher mathematische Zusammenhang sich mit welcher Aussage aus dem theoretischen Gebäude nicht in Einklang bringen lässt?
Die Mikrowelle... Experimente widerlegen die Spezielle Relativitätstheorie. Eine Aussage, die beweifelt wird... da fallen Begriffe wie unlogisch, absurd - aber das ist etwas anderes als widerlegt. Ohne nähere Kenntnisse ist eine vernünftige Einschätzung, wer hier Recht hat, nicht möglich. Die Diskussion beginnt auch schwer nachvollziehbar zu werden, weil die Zusammenhänge nicht genau erklärt werden. Was sich da genau gezeigt hat und welche Aussage damit falsifiziert wird, das wird nicht so genau beschrieben.
Und jetzt beginnt der Prozess zu entgleisen... ein persönlicher Angriff auf Hartwig Thim, der auf der verlinkten Seite als emeritierter Professor erkennbar ist. Inhaltlich kann ich längst nicht mehr folgen... und ob die Lichtgeschwindigkeit nun isotrop oder anisotrop ist - keine Ahnung. Immerhin hat sich hier ein strittiger Punkt herauskristallisiert... statt rationaler Argumentation im Sinne von "was spricht dafür, was spricht dagegen" mischen sich aber Andeutungen und Teilbeschreibungen mit persönlichen Angriffen.
Spätestens beim Satz:
"Sie verseuchen mit dieser Grütze nicht wirklich die Hirne von Studenten?" verging mir die Lust, weiter zu lesen. Ich kann nicht beurteilen, ob und inwieweit Hartwig Thim Recht hat oder nicht, was man als belegt ansehen kann und wo Korrekturen, Modifikationen oder eine völlig neue Fassung der Relativitätstheorie erforderlich wären. Bemerken lässt sich aber, dass die Diskussion zu einem Kampfgespräch geworden ist, in dem sich persönliche Beleidigungen häufen. Und damit komme ich zu der verständlichen Frage zurück, was Blogger mit einer solchen Diskussion anfangen können, sollen... wo man dem Treiben besser ein Ende setzt. Und ich meine, es macht einen Unterschied, ob es um einen eher privat angelegten Rundumblog geht oder das Etikett "Scienceblog" drübersteht. Zunächst meine persönliche Meinung: beleidigende Kommentare würde ich löschen, ganz einfach deshalb, weil Beleidigung ein Straftatbestand ist und dafür möchte ich keine Plattform liefern. Darüber kann man streiten, okay. Es gibt aber auch ein schräges Bild von Wissenschaft ab - denn nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Art und Weise, wie Wissenschaftler miteinander umgehen, prägen das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit.
Eine Grundsatzfrage bezieht sich auf die Leserschaft - für wen sind Scienceblogs eigentlich gedacht? Für alle? Nur für Fachkreise? Sind sie Medium interdisziplinärer, aber dennoch fachbereichsinterner Wissenschafts- kommunikation? Sollen sie eine Informationsplattform sein, die auch Fachfremden, Laien, einfach Interessierten Einblicke gewährt, die Bildungs-Input, aber auch Orientierung bei der Berufswahl bzw. der Wahl eines Studienfaches geben können? Das Spannungsfeld zwischen fachlicher Präzision und Verständlichkeit ist dabei ein Thema für sich. Plausibel ist die Annahme: je spezifischer Dialoge in Kommentaren werden, umso mehr Lesende verstehen nur noch "Bahnhof".
Nun, ein Schritt, der mehr mit Übersichtlichkeit zu tun hat, zeigt sich im Eröffnen eines neuen Posts. Wenn Hunderte von Kommentaren ankommen, geht es offensichtlich um ein Thema, das viel Zündstoff enthält und viel Interesse weckt. Nur - wer soll denn 500, 900, 1900 Kommentare wirklich lesen? Kann mir Wurst sein, Salami gefällt mir besser: kleine Scheibchen abschneiden, Teilfragen gesondert diskutieren. Das macht die Sache übersichtlicher. Vielleicht hätte ich dann auch das Interesse behalten und wüsste jetzt mehr über die für mich immer noch spannende Figur Albert Einstein und seine Theorien.
Aber es gibt etwas, das mir mehr Sorge bereitet: wenn es in wissenschaftlichen Diskussionen nicht mehr um die Sache geht, das Ganze zu einer Schlammschlacht wird, geht die Erkenntnis, die doch meinen naiven Vorstellungen gemäss dabei herauskommen sollte, früher oder später darin unter.

Und das - ist relativ schade. Im Allgemeinen und im Speziellen. Da kann ich nur hoffen, dass sich solche Prozesse nicht mit Lichtgeschwindigkeit oder noch schneller ausbreiten...




Montag, 26. Oktober 2009

Astrologie und Psychologie

Es wundert mich doch sehr, dass ich in meinem auführlichen Studium der Psychologie nie über die Astrologie gestolpert bin. Kein einziges Seminar, kein Hinweis, kein Impuls, mehr über das Thema zu erfahren... die Astrologie schien gewissermassen nicht existent zu sein. Testverfahren, Anamnesebögen, Persönlichkeitstheorien, psychische Störungen, Entwicklungsprozesse, Krisenbewältigung.... nirgends tauchten die Sterne als in irgendeiner Weise relevant auf. Die Astrologie ist kein Fach, kein besonderes Thema, kein Seminar wert, noch nicht einmal eine Randnotiz. Zu Recht?

Ein Artikel über Astrologiehotlines in den Science Blogs war der Impuls, etwas über das Verhältnis zwischen Astrologie und Psychologie zu schreiben. Florian Freistetter ist erkennbar kein Freund der Astrologie, die Stellungnahmen in den Artikeln wie "Astrologie ist Unsinn" und "Astrologie ist immer noch Unsinn" sind deutlich. Grundsätzlich stellt sich aber auch die Frage, ob sich wissenschaftlich denkende Menschen überhaupt mit Pseudowissenschaft und Esoterik auseinandersetzen sollten.
Die 500 Kommentare, die Florian Freistetter bekommen hat, schrecken mich eher ab - eine so umfangreiche Diskussion nimmt viel Zeit und Kraft in Anspruch. Das Anliegen, Wissenschaft zu vermitteln, teile ich allerdings mit ihm. Von Zeit zu Zeit neue Forschungsergebnisse darzustellen, dient schließlich auch diesem Zweck und die Verschwörungstheorien zur Mondlandung waren in diesem Blog ebenfalls bereits Thema.

Zunächst einmal würde ich nie auf die Idee kommen, in einer Lebenskrise ausgerechnet bei einer Astrologiehotline anzurufen und würde es auch niemandem empfehlen. 2 Euro pro Minute? Da ist eine geeignete Beratungsstelle wesentlich günstiger... Im übrigen: warum sollten ausgerechnet die Sterne einen Weg aus einer Krise aufzeigen können?

Es gibt im Bereich der Psychotherapie eine immense Zahl unterschiedlicher Ansätze, mit den verhaltenstherapeutischen, tiefenpsychologischen und humanistischen Therapieformen sind die drei wichtigsten Richtungen skizziert. Die Sterne als diagnostisches Instrument, Theorien über den Einfluss der Gestirne bei der Geburt auf die Entwicklung des "Charakters" spielen dabei keine Rolle. Verhaltenstherapeuten suchen nach Möglichkeiten, Verhalten zu verändern; in tiefenpsychologischen Ansätzen werden innere Konflikte stärker beachtet, humanistische Ansätze betonen die Bedeutung der Gefühle. Wenn man sich näher mit bestimmten Richtungen beschäftigt, finden sich viele Überschneidungen und Gemeinsamkeiten. Klären. Beobachten. Nach Lösungen suchen. Ergänzende Verfahren einsetzen, wenn sich irgendwo ein Problem zeigt, dass eine nähere Untersuchung sinnvoll erscheinen lässt. Solche Denkmuster finden sich auch in der Medizin: Laboruntersuchungen, Röntgenaufnahmen usw.. Wenn ich mit einem gebrochenen Bein bei einem Arzt landen würde, der erst die Sterne befragen muss, um herauszufinden, ob es wohl wieder zusammenwachsen wird, wäre der Impuls aufzustehen und wieder zu gehen bzw. davon zu humpeln unvermeidlich. Genauso würde ich reagieren, wenn jemand "nachsehen würde, was meine Seele von mir möchte". Bereits Begriffe wie "Seele" und "Charakter" sind deutliche Hinweise auf Unwissenheit und dubiose Theorien - es ist zu bedauern, dass selbst Mediziner und Psychologen gelegentlich noch diese Begriffe verwenden. Die wissenschaftliche Psychologie jedenfalls kann mit einem so schwammigen Begriff wie "Seele" nichts anfangen und die Charakterologie ist in der Persönlichkeitspsychologie nicht mehr als ein historischer Ansatz - längst überholt. Die Vorstellung, der Mensch liesse sich als "Summe von Charaktermerkmalen" beschreiben, die womöglich noch durch das Schicksal, die Sterne oder auch die Gene bestimmt sind, ist nicht haltbar.


Astrologie und Psychologie in einen Topf werfen?


Nun gehe ich einmal davon aus, dass es für die meisten leichter ist, eine Vorstellung von dem zu entwickeln, was in einer Arztpraxis vor sich geht als zu verstehen, was Psychotherapie bedeutet. Es gibt aber gewisse Gemeinsamkeiten, die das diagnostische Vorgehen grundsätzlich von der astrologischen Beratung abgrenzt. Die simple Frage "wo fehlt's denn?" oder "wo tut's denn weh?" ist vielleicht der Auftakt zum Bemühen, herauszufinden, wo das Problem liegt. Und dann wird eben untersucht - der Körper eben, wenn er krank ist.
Psychologische Diagnostik ist ebenfalls eine Untersuchung - Anamnese, Testverfahren, die operationalisierte psychodynamische Diagnostik und die Verhaltensanalyse sind Methoden, mehr und genauere Details über Menschen und ihre Probleme zu erfahren. So etwas braucht eben Zeit - ist aber nötig, um herauszufinden, was sinnvoll und hilfreich ist.
Die Haltung "ich weiss zwar nichts über dich, höre auch nicht zu, frage nicht danach, wo ein Problem liegen könnte, aber ich weiss genau, worauf es ankommt und was geschehen wird, weil meine Karten mir das sagen" ist arrogant und überheblich - und hat mit Beratung und echter Hilfe nichts zu tun. Es hat auch nichts mit Psychologie zu tun. Psychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen - und nicht mit den Bewegungen der Sterne. Die Behauptung, dass die Sterne das Schicksal bestimmen ist genauso spekulativ wie die Vorstellung, Psychotiker wären von einem bösen Geist besessen, den man mit Hammer und Meißel aus dem Kopf befreien muss (s. dazu: Psychiatrie im Mittelalter.)

Möglichkeiten und Grenzen der Argumentation

Wissenschaftler neigen zum Zweifeln - denn sie wollen nicht glauben, sondern wissen. Gibt es einen Gott? Schon möglich. Gibt es Leben auf anderen Planeten irgendwo im Universum? Schon möglich.

Fällt ein Gegenstand zu Boden, wenn ich ihn fallen lasse? Machen wir ein Experiment... wenn zwei Dutzend Gegenstände, vom Bleistift über Radiergummi, von der Büroklammer bis zum Kuli tatsächlich zu Boden fallen, wird der nächste es (Achtung!) sehr wahrscheinlich auch tun. Ganz sicher ist das nicht, aber die Erfahrung zeigt, dass es da wohl einen Zusammenhang gibt. Für Gläubige ist das Zweifeln etwas, das den Glauben bedroht - für Wissenschaftler ist das Zweifeln, vor allem aufgrund von neuen Beobachtungen, die irgendwie nicht zu den existierenden Theorien passen, ein Anlass, weiter zu fragen. Weiter zu forschen und bei Bedarf eben eine neue Theorie zu formulieren, die vorliegende Ergebnisse besser erklären und darstellen kann. Gibt es keine Studie, die eine bestimmte Behauptung (Hypothese) bestätigen kann, kann die Behauptung nicht Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie sein.

Was mich überzeugen könnte...

Wenn die Sterne einen Einfluss auf Persönlichkeitsmerkmale haben, dann muss zumindest eine Korrelation zwischen Sternzeichen und Persönlichkeits- merkmalen nachweisbar sein. Ein bescheidener Anspruch also...

Hartmann, Reuter & Nyborg untersuchten im Jahr 2005 insgesamt über 15000 (!) Personen und gingen dieser Frage nach. Gibt es Hinweise darauf, dass bei verschiedenen Sternzeichen Persönlichkeitsmerkmale unterschiedlich stark ausgeprägt sind? Untersucht wurde auch die Frage, ob das Geburtsdatum irgendwie mit Intelligenz zu tun hat. Zusammenhänge zwischen den Sternzeichen, Persönlichkeitsmerkmalen und Intelligenz wurden aber nicht gefunden. Gäbe es einen, bliebe immer noch die Frage der Kausalität offen. Gibt es aber keinen, dann kann ich aus dem Sternzeichen auch keinerlei Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale ableiten. Keinen einzigen. Sprich - irgendwelche Prognosen, die aufgrund von Sternzeichen gemacht werden, sind schlicht und ergreifend aus der Luft gegriffen. Wenn Astrologen nicht imstande sind, Prognosen zu erstellen, die über gesunden Menschenverstand hinausgehen oder rein zufällig zutreffen - und beim Kartenlesen, Hellsehen oder wobei auch immer häufig ziemlich daneben liegen - ist die Theorie widerlegt, falsifiziert, wie man im Sinne des Kritischen Rationalismus auch sagt. Glauben kann man natürlich trotzdem daran. Und das seltsame ist - dass es für den einen oder die andere tatsächlich hilfreich ist, kann man nicht ausschließen.

So ein ganz allgemeiner Tipp, hier oder da mehr auf sich zu achten, das kann schon hilfreich sein, klar - aber dafür braucht man keinerlei Qualifikation, keine Tarotkarten und keine Sterne.

Wer einmal "Glück" hat, eine positive Wende im eigenen Leben erfährt und dabei Allah, Jahwe, Gott, einen Engel oder das Schicksal am Werke sieht, darf das gerne glauben. Und - dass die simple Begegnung mit anderen Menschen ohne jede wissenschaftliche Grundlage sehr hilfreich sein kann, dass Lebenserfahrung und Einfühlungsvermögen in Beratungssituationen wertvoll sind, daran will ich nicht zweifeln.

Man kann in den Weltreligionen viel Weisheit entdecken - und respektieren, dass sie Deutungen und Orientierung vermitteln können. Astrologie aber ist keine Religion - es ist Aberglaube. Horoskope mögen einen hohen Unterhaltswert haben - als Konzepte der Lebensberatung sind sie einfach nur Unsinn. Das Video, das Florian Freistetter in seinen Artikel eingebettet hat, ist hier so anschaulich, dass ich mich ebenfalls damit beschäftigen möchte.





Im Beispiel aus dem ZDF hat die Hellseherin einmal munter drauflosfantasiert... und lag daneben. Bezahlt werden muss trotzdem werden - Dummheit kann teuer werden. Aber es geht um mehr - in verschiedenen therapeutischen Ansätzen wird auf Selbständigkeit und Autonomie großen Wert gelegt. Die humanistische Tradition, die sich an Carl Rogers orientiert, zielt mit der Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte auf Prozesse ab, selbst Antworten und Lösungen zu finden. In der analytischen Therapie kann die Regression eine längere Phase in der Behandlung sein - aber die Fixierung auf ein abhängiges Beziehungsmuster ist nicht das Ziel. In der Verhaltenstherapie finden sich Ansätze wie das Problemlösetraining, Konzepte zur Entwicklung von Selbstsicherheit und Selbstmanagement.
All das hat mit Magie sehr wenig zu tun... es geht darum, die Fähigkeit zur eigenständigen Lebensgestaltung zu unterstützen. Wenn Beratungsstellen Prinzipien wie "Hilfe zur Selbsthilfe" formulieren oder im therapeutischen Zusammenhang von Psychoedukation gesprochen wird, dann steht der Gedanke dahinter, die Entwicklung einer abhängigen Beziehung zu vermeiden. Die Idee, das eigene Leben selbst zu bestimmen, selbst zu entscheiden und eigene, passende Lösungen zu finden steht der Bindung an ein "übermenschliches" hellsehendes Subjekt diametral entgegen.
Als die Kartenlegerin im Film behauptet, Psychotherapie koste schließlich auch und "schließlich mache ich nichts anderes", liegt neben den Karten eine faustdicke Lüge auf dem Tisch: einer zweifachen Mutter einreden zu wollen, dass sie nie Kinder bekommen und ihre Ehe kaputt gehen wird, das hat mit Psychotherapie nichts, aber auch gar nichts zu tun. Jaja... "astrologische Lebensberatung stimmt, weil sie nicht auf wahr oder falsch ausgerichtet ist". Das Falsche kann also stimmen, weil die Stimmigkeit nichts mit wahr oder falsch zu tun hat? Ein Zitat von Carl Simonton fällt mir dazu ein: "manchmal ist eine schlechte Beratung schlechter als gar keine".
Die Geduld, mit der sich Florian Freistetter den Argumentationslinien widmete, die die "heilige Kunst der Astrologie" verteidigen, kann ich nur bewundern. Menschen, denen es wirklich schlecht geht, egal in welcher Hinsicht, ist nicht damit geholfen, wenn "noch ein weiterer Himmelskörper" berücksichtigt wird. Wer glaubt, die Wissenschaft sei überflüssig und könne durch Spekulation ersetzt werden, täuscht sich gewaltig. Ohne sie wäre die technische Entwicklung nicht möglich gewesen und dieser Text wäre überhaupt nicht lesbar, weil es keine Computer gäbe.

Und in psychiatrischen Kliniken würden die Ärzte womöglich mit Hammer und Meißel versuchen, die bösen Geister aus den Köpfen zu befreien. Ein Albtraum!

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Dean & Kelley kommen nach einer Metaanalyse von mehr als 40 Studien (seit 1950) zu dem Schluss, dass es keinen relevanten Zusammenhang zwischen Sternkonstellationen und Persönlichkeiten gibt. Wenn es einen gibt, dann muss er extrem schwach oder so selten sein, dass nirgends ein handfester Nachweis gelang. Dass die Sterne auf die Psyche des Menschen einen Einfluss haben, ist sehr unwahrscheinlich.
(G. Dean, I. W. Kelly: Astrology Relevant to Consciousness and Psi? In: Journal of Consciousness Studies, 10/2003, S. 175–198.)





Sonntag, 25. Oktober 2009

Sigourney Weaver - die "Untalentierte"




Im Jahre 2000 veröffentlichte DIE ZEIT ein Interview mit Sigourney Weaver, in dem sie ihre Erfahrungen an der Schauspielschule beschreibt. Dort bekam sie das Etikett "untalentiert" aufgeklebt und die Prognose besagte, dass sie nie eine Rolle bekommen würde. Diese Prognose hat sie gründlich widerlegt - und der interessante Aspekt an dieser Geschichte ist die Frage, welche Konsequenzen sich daraus für den Umgang mit dem Schema "Unzulänglichkeit" ableiten lassen. Schemata, hier verstanden als Überzeugungen über das je eigene Selbst, sind sozial vermittelt. Das Schema Unzulänglichkeit ist eine generalisierte (verallgemeinerte) Selbsteinschätzung, die das psycho-logische Resultat pauschal abwertender Fremdbeurteilungen ist. Eine Aussage wie "nicht das geringste Talent haben" ist so ziemlich die niederschmetterndste Beurteilung, die man über eine Schauspielerin abgeben kann.

Fakten zur Biographie von Sigourney Weaver

Sigourney Weaver wurde 8. Oktober 1949 in New York City geboren, 1974 war ihre Ausbildung an der Yale School of Drama abgeschlossen. Das Filmebüt erfolgte drei Jahre später - mit einer Rolle, die 6 Sekunden dauerte. Bis hierher lässt sich das vernichtende Urteil noch spöttisch verteidigen - die "Untalentierte" hatte eben Glück, eine Minirolle zu bekommen. Spätestens mit der Nominierung zur besten Hautpdarstellerin im Jahr 1987 kann man wohl die Zuschreibung der Talentlosigkeit als gründlich widerlegt ansehen. Es sei denn, man unterstellt, dass so eine Nominierung nun rein gar nichts mit Talent zu tun hat.

Urteile und Kriterien

In der Film-Zeit wird Sigourney Weaver darstellerische Wandlungsfähigkeit bescheinigt. Unterschiedliche Rollen, die Neigung zur Darstellung selbstbewusster und unabhängiger Figuren, all das passt nicht zur Prognose an der Schauspielschule. Die Frage ist: was ist hier eigentlich geschehen? War die Einschätzung der Lehrenden gründlich daneben oder hat sich das Talent erst im Laufe der Jahre entwickelt? Vermutlich ist an beiden Interpretationen "etwas dran". Was aber ist eigentlich "Talent"? Welche Kriterien gibt es denn für "begabt", "fähig" oder "talentiert" - und wie lässt sich eine Beurteilung verarbeiten, in Frage stellen, widerlegen, wenn es keine greifbaren Gegenargumente gibt?
Der Biographie in der Film-Zeit lässt sich entnehmen, dass sie anfangs Theater spielte und Werbespots drehte, zunächst "zweite Besetzung" war - der große Erfolg kam also nicht über Nacht. Bis zum Hollywoodstar in der Rolle der Ellen Ripley vergingen 13 Jahre. Aber lauter kann das "Ätsch" zum Thema "nicht das geringste Talent" kaum sein...


Identifikationen und Entscheidungen

Nehmen wir einmal an, sie hätte sich mit dem vernichtenden Urteil wirklich identifiziert, das Schema Unzulänglichkeit also voll und ganz in ihr Selbstbild integriert - dann wäre dieser Erfolg kaum möglich gewesen. Realistisch ist also die Annahme, dass sie sich zunehmend von dieser Fremdeinschätzung gelöst hat. Realistisch ist auch die Annahme, dass sich Fähigkeiten im Laufe der Zeit entwickelt haben - und nicht einfach so vom Himmel gefallen sind, sondern mühevoll erarbeitet worden sind. Ersetzt man den Begriff "Talent" durch "Potential", lässt sich im Rückblick erkennen, dass die Möglichkeiten einer Schauspielkarriere auf jeden Fall vorhanden waren. Auch dann, wenn manche es nicht erkannten.

"Ich bin nicht identisch mit dem Bild anderer von mir"

Da verlässt eine Frau die Schauspielschule und niemand scheint etwas von ihr zu halten, Grund genug also, den Kopf in den Sand zu stecken und irgendeine andere Beschäftigung zu suchen. Oder - trotzig dagegen anzugehen, nach Wegen zu suchen, wie sich diesem Negativbild etwas entgegensetzen lässt. Mit der Haltung "ich finde mich trotzdem toll" allein sind keine Preise zu gewinnen - die öffentliche Anerkennung, die Erfahrung, dass die Einschätzung der Talentlosigkeit eben nicht von allen geteilt wird, dürfte eine große Rolle gespielt haben, wenn man die Ablösung vom Schema Unzulänglichkeit zutreffend beschreiben will. Gelungen ist auf jeden Fall der Prozess, ein ganz anderes Bild zu "zeichnen", glaubwürdig ein negatives Urteil zu widerlegen und die Prognose der Erfolglosigkeit gründlich ad absurdum zu führen. "Ich bin nicht identisch mit dem Bild anderer von mir" - sinngemäss muss sie sich wohl so etwas gedacht haben. Wie gross die Selbstzweifel auch gewesen sein mögen, die Überzeugung, dass es da noch etwas Anderes gibt, der Glaube an Möglichkeiten, die 1974 noch kaum zu erahnen waren, ermöglichte eine Entwicklung, die ganz anders aussah als es sich ihre orakelnden Lehrer vorstellten.


Zuschreibungen, Etikettierungsleiden und der Ausweg

Zuschreibungen können großes Leid auslösen, der Begriff "Etikettierungsleiden" ist eine Umschreibung für einen Prozess, in dem das Schema "Unzulänglichkeit" beinahe zwangsläufig entstehen muss. Was in dieser Zeit in Sigourney Weaver wirklich vorgegangen ist, darf und soll privat bleiben. Aber sie ist ein lebendiges Beispiel dafür ist, dass Zuschreibungen kein unausweichliches Schicksal sind. Sie hat eben doch Rollen bekommen. Haufenweise. Ihr Talent bewiesen, Anerkennung gefunden. Und damit auch das traumatisierte Selbstbild korrigieren können. Solche Sprüche gibt es nicht nur in Amerika: "Du kannst nichts". "Du bist nichts wert". "Aus dir wird nie etwas". Und so weiter. Zuschreibungen dieser Art können großen Schaden anrichten. Was Sigourney Weaver betrifft, konnten diese Sprüche den großen Erfolg nicht verhindern. Sie hat es letzten Endes einfach nicht geglaubt. Und Recht behalten. Die starke und unabhängige Kämpferin Ellen Ripley ist nicht nur eine Rolle, sie zeigt auch etwas, das Sigourney Weaver IST. Etwas, das in uns allen steckt.



Samstag, 24. Oktober 2009

Das Abenteuer Website: Podcastserie mit Tipps und Denkanstössen


Auf die Podcastserien zum "Abenteuer Leben" hatte ich vor längerer Zeit schon einmal hingewiesen. Und jetzt - gibt es eine neue Serie zum Thema Website. Websites und Blogs sind ein Kommunikationsmedium, passen also auch in den Zusammenhang "Miteinander sprechen", werfen Fragen auf, die sich auf medienvermittelte mündliche und schriftliche Kommunikation beziehen. Ob eine Website oder ein Blog "ansprechend" ist, gern gelesen wird oder zu einem eher unangenehmen Abenteuer wird, hängt von vielen Faktoren ab. Konzept, Struktur, Design - alles nicht so einfach, wenn es gut werden oder einfach nur Spass machen soll. Da könnten ein paar Hinweise auch für Blogger interessant sein, die enttäuscht sind, weil soo wenig Besucher vorbeikommen... Auf jeden Fall bin ich gespannt, was Stefanie Voss dazu zu sagen hat.

Mehr bei "Das Abenteuer Leben": Abenteuer Website

P.S.: in der Blog- &Linkroll (rechts) habe ich den Feed zur Serie aufgenommen.

Freitag, 23. Oktober 2009

Licht-Bringer: ein Mutmachvideo

Der "Licht-Bringer" ist ein schönes Video, das aufmuntern will. Ob es allen in jeder Situation immer hilft, ist fraglich, dass es manche gelegentlich auf eine bestimmte Art anstupsen kann, ziemlich sicher. Es steckt so manches drin, lenkt die Aufmerksamkeit weg vom Grübeln, hin zu konstruktiver Aktivität.

Anatomie des Ärgers


Irgendwelche Erinnerungen mussten mir durch den Kopf gegangen sein, bevor ich eingeschlafen war. Kaum hatte ich in der Empfangshalle das neue Schild mit der Aufschrift "Anatomie des Ärgers" entdeckt, war ich auch schon drin. Und staunte. Mit einer Art Gummizelle hatte ich gerechnet, getragen von der längst überholten Idee, Aggression sei eben "ein Trieb, den man irgendwie rauslassen müsse". Erfahrungen von Leuten fielen mir ein, die mit dem Gedanken, ihre Aggressionen loszuwerden, in ein Fitnessstudio gegangen waren. Um nach einiger Zeit festzustellen, dass sie dadurch nur noch aggressiver wurden. Keine Gummiwände, kein Boxsack oder etwas Ähnliches.
Nein. Ein Schreibtisch in der Mitte und dahinter eine etwas nüchtern wirkende weissbekittelte ...Ärztin, wie ich vermutete. "Oh, ein neues Studienobjekt!", begrüßte sie mich. Schob die Brille über die Nase, was nun überhaupt nicht zu einem Science-Fiction-Traum passte. Aber, wie das eben so ist... selbst James T.Kirk trug wohl aus nostalgischen Gründen gelegentlich eine Brille. Nun ja. Mit einem VISOR, so wie ihn Geordi LaForge trug, hätte sie auch nicht besonders gut ausgesehen. Aber, zur Sache. "Den Ärger stelle ich mir wie einen Körper vor", begann sie ihre Theorie zu erläutern. Ein fragwürdiges Bild, wie ich fand... "Als Ärztin bin ich natürlich dem Leben verpflichtet," erklärte sie weiter. "Den Ärger umzubringen liegt mir absolut fern. Er soll leben und sich zeigen dürfen. Auch wenn er oft nicht mehr ist als ein Schatten, der vorüberzieht". Eine leicht poetische Ader schien sie also auch zu haben, trotz Brille. Oder vielleicht gerade deswegen.
"Oft sehen die Menschen im Ärger nur das Destruktive", fuhr sie fort, "ohne zu erkennen, dass in ihm das heisse Blut der Leidenschaft fliessen kann". Was sollte das denn werden? Eine verkorkste erotische Geschichte? Jetzt sollte wohl noch eine Erklärung darüber erfolgen, wie nahe gewisse Hirnzentren in unseren Schädeln beieinander liegen oder so etwas. Leider blieb mir nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn schon ging die Vorlesung weiter: "Jeder Ärger hat ein Rückgrat und Hände. Wie jedes Lebewesen möchte er sich ausdrücken, kann dabei sehr konstruktiv werden und etwas Neues schaffen. Seine Augen, die Ohren, die Sinne machen aufmerksam und zeigen, wo es etwas gibt, das nicht in Ordnung ist. Das Rückgrat schliesslich sind die Werte, das, was einem Menschen wichtig ist. Wer sich nie über etwas ärgert, hat keine Werte, die man verletzen könnte, kann also auch nichts als ärgerlich beurteilen. Und das ist schade. Denn dann finden die Hände keinen Anlass, aktiv zu werden und etwas zu verändern auf der Welt."
Die näheren Details dieser abstrusen Theorie will ich nicht näher erläutern. So ein Unfug, dachte ich. Zuerst. Etwas später ging mir die Frage durch den Kopf, ob diese bildhafte, verfremdende Analogie vielleicht doch etwas an sich hatte. Als Methode, sich von unangenehmen Gefühlen zu distanzieren. Abstand zu gewinnen und dadurch einen neuen Zugang zu finden. Und dann fiel mir Albert Einstein vor dem Spiegel ein. Mit der Frage, ob er sich wohl noch rasieren könnte, wenn er jetzt mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs wäre. Es wäre ja ärgerlich, wenn das Spiegelbild einfach so verschwinden würde...
Wissenschaftler sind schon seltsame Menschen. Als ich aufwachte, dachte ich darüber nach, ob ich heute wohl etwas Ärgerliches finden würde, das sich ändern liess. Im Spiegel konnte ich mich erkennen... war also wohl wieder auf der Erde angelangt. Und bestimmt nicht mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Sooo schnell bin ich auch nicht...!



Donnerstag, 22. Oktober 2009

Wahrnehmung: eine Einführung

So banal und doch nicht so allgemein bekannt, wie man das vermuten könnte: jeder Mensch hat seine je eigene Wahrnehmung. Wahrnehmung ist ein aktiver Vorgang, bei dem ein so genanntes Perzept gebildet wird. Im Telekolleg Psychologie werden die Grundzüge der Wahrnehmungspsychologie (ein Teilgebiet der Allgemeinen Psychologie) erläutert.

1. Teil. Worin erklärt wird, was Wahrnehmung eigentlich ist und was dabei im Gehirn geschieht.






2. Teil. Worin erklärt wird, was Psychophysik ist und warum es so schwer ist, den richtigen Faden zum Stoff zu finden.





3. Teil. Worin der Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Handlungssteuerung erläutert wird.





Wenn man sich klar macht, wie kompliziert die Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung und Handlungssteuerung sind, wird deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, einem Roboter beizubringen, wie man ein Hefeweizen einschenkt. Hier ist einer, der es kann.





Wer tiefer einsteigen will: ein Feed zur aktuellen Wahrnehmungsforschung gibt es bei Science Daily.


 

Die Macht des Internets: zum ARD-Podcast

Gesehen und interessant gefunden: 43 Minuten dauert das Videopodcast in der ARD Mediathek über die Macht des Internets. Als Überblick über verschiedene Problemfelder des Internets ist es gut geeignet, deshalb möchte ich kurz die Fragestellungen und Themen benennen, um die es in diesem Podcast geht:
Wie ist das Internet entstanden?
Welche Rolle spielte das Internet im Wahlkampf von Barack Obama?
Die Piratenpartei und Onlinepetitionen: das Internet als politisches Machtinstrument
Die Bedeutung des Internets im Iran
Das Rätsel der 6 Ecken
Die Gefahr des Datenmissbrauchs
Cloud Computing im Studium
Suchmaschinen: Google & Co - wie funktionieren sie eigentlich?
Das Google-Monopol
Google Street View und der Datenschutz
Freiheit und Kontrolle im Netz
Das Video-Podcast lässt sich auch downloaden.

Ein paar Inder, ein Elefant und die Wahrheit


Woher die Geschichte stammt, weiss ich nicht. Oder ist es gar keine? Wenn es eine ist, dann muss sie ziemlich alt sein, so alt, dass der eigentliche Urheber keine Ahnung davon haben konnte, was ein Copyright ist. Und selbst wenn... nehme ich mir die dichterische Freiheit, aus den überlieferten dunklen Quellen eine neue zu machen. Oder anders: sie einfach anders zu erzählen. Mit dem Titel habe ich mir ja schon einen dramaturgischen Fauxpas geleistet, denn ein Geheimnis ist schon offenkundig. Dass der Elefant also etwas mit der Wahrheit zu tun hat, das muss man in meiner hier dargestellten Variante nicht erst erraten. Aber was und wie... das soll nun doch noch eine Weile ein Geheimnis bleiben.
Also: die Geschichte spielt in Indien. Deshalb tauchen ja auch Inder auf, logisch oder? Diese Inder sind im Grunde zu bedauern. Sie sehen nämlich nicht viel, genauer gesagt, gar nichts. Wie Menschen eben, die auf der Suche nach Wahrheit sind...
Nein, sie sind nicht blind. Haben nur die Augen verbunden. Und nach der Übung werden sie die Binden abnehmen, um... nun, dazu später.
Kommen wir nun zur eigentlichen Hauptfigur der Geschichte: dem Elefanten.
Dieser Elefant ist ein ganz gewöhnlicher Elefant, mit allem, was das Elefantenherz begehrt. Die Elefantendame steht irgendwo daneben oder auch nicht. Also... abweichend von der überlieferten Tradition sitzt einer der Inder auf einem Baum. Ob er auf diesem Baum mit oder ohne Augenbinde geklettert ist, das habe ich vergessen. Okay, er sitzt also da oben.
Und was macht unser Elefant? Wohl wissend, dass jener auf dem Baum sitzende, dem Elefanten wohl vertraute Inder sein Elefantengetöse, das besagen will "hey Kumpel, komm doch mal runter" nicht verstehen wird, beschliesst er also, den Baum anzurempeln. Und - wie beabsichtigt fällt der indische Kumpel auch prompt wie Fallobst vom Baum. Nicht etwa auf den Boden, nein - direkt auf den Elefantenrücken. Dass die Inder auf der Suche nach Wahrheit sind, wissen wir ja schon. Also sammelt der Inder seine Eindrücke und Erkenntnisse zusammen. "Die Wahrheit", sagt er, "bringt dich auf den Boden der Tatsachen. Aber man sitzt ganz gut darauf. Eine recht stabile Angelegenheit...". Philosophisch Bewanderte werden jetzt auf die Idee kommen, dass Wahrheit irgendwie etwas mit der Realität zu tun hat. Und so ganz falsch liegen sie damit wohl nicht...
Inder Nummer zwei, der Kumpel vom Kumpel gewissermassen, macht dagegen eine ganz andere Erfahrung. Weil er nichts sehen kann, greift er zu... und kommt zu folgender Erkenntnis: "die Wahrheit ist ein langer Schlauch." Nun hat er aber nicht erkannt, was noch in diesem Schlauch steckt, der vor kurzer Zeit schlürfend am Wasser stand. "Wenn die Wahrheit über dich kommt, dann ist das wie eine kalte Dusche". Na also, wer sagt's denn.
Am anderen Ende der Wahrheit macht Kumpel Nummer drei eine unangenehme Erfahrung: "wenn die Wahrheit über dich kommt, fährt sie dir zuerst über das Gesicht - und dann: stinkt's gewaltig!". Ich bin mir nicht sicher, ob die philosophischen Wahrheitstheorien diesen recht unangenehmen Aspekt bisher ausreichend gewürdigt haben...
Kumpel Nummer vier ist nun wirklich eine historisch nicht überlieferte Innovation. Der Erleuchtete ist nämlich auf die Idee gekommen, die Binde zu entfernen und - noch schlauer: einen Fotoapparat zu benutzen. "Kon Strukti", wie er sich auch nennt, sagt: "Die Wahrheit gibt es eigentlich gar nicht. Sie ist nur ein Bild."
Okay, also am Ende durften alle ihre Binden abnehmen und ihre erkenntnistheoretischen Überlegungen diskutieren... und wenn sie nicht gestorben sind, reiten sie noch heute auf dem breiten Rücken des Elefanten durch Indien. Der Wahrheit ist es nämlich ziemlich schnurz, dass Leute mit verbundenen Augen eben nur einen Teil von ihr erkennen können. Grau ist eben alle Theorie, und manchen mag das stinken. Ein dickes Fell hat sie allemal.



Variationen der Geschichte gibt es...

...als Parabel über religiöse Toleranz...
...die Wahrheit als Elefant...
...die blinden Männer und der Elefant...
...und in der Hegelwerkstatt: Was ist Wahrheit?
Auch hier wird die Elefantengeschichte erwähnt.


So. Und hier nochmal Elefanten... die Frühpatrouille!


Mittwoch, 21. Oktober 2009

Überreden und Überzeugen

Rhetorik ist immer Manipulation. Stimmt's? Nein. Rhetorik kann manipulativ sein. Als Ansammlung von Tricks eine Masche sein, andere hinters Licht zu führen. Nicht zufällig ging Hellmut Geißner einmal der Frage nach, warum Rhetorik in Deutschland ein Schimpfwort ist. Wenn Leute sich über einen Vortrag aufregen und sagen, da habe jemand "viel Rhetorik" eingesetzt, dann meinen sie manchmal damit: es waren Tricks und Effekte erkennbar oder zu erahnen und irgendwie wirkte das Ganze nicht so recht glaubwürdig. Suggestiv. Oder irgendwie unehrlich. Der Einwand gegen diese Vorstellung ist: Überreden und Überzeugen sind zwei verschiedene Dinge. Wie also kann man andere davon überzeugen, dass es nicht besonders gut ist, wenn man sich zu etwas überreden lässt, das man eigentlich nicht will?

Zuerst einmal sollte deutlich werden, wie Überreden "geht" und was das Überreden vom Überzeugen unterscheidet. Dabei greife ich auf die Darstellung in der Sprecherziehung zurück - im Kapitel "Überzeugen" (GEISSNER, H. (1986), S. 151) wird der Unterschied zwischen "Informieren", "Überreden" und "Überzeugen" recht plastisch dargestellt.
Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass in den Prozessen rhetorischer Kommunikation drei verschiedene Kräfte wirksam sind:
  • kognitive, also rationale,

  • affektive, also emotionale und

  • voluntative: Kräfte also, die den Willen ansprechen. 

  • Unterscheiden lassen sich dann 'Informieren', 'Überreden' und 'Überzeugen' danach, wie stark die einzelnen Kräfte wirksam sind.
    Beim Informieren werden vor allem die kognitiven Aspekte betont - Gefühle und der Wille jener, die informiert werden (sollen) spielen dabei keine große Rolle. Informieren ist eine eher nüchterne Angelegenheit. Sie wird gern von Lehrenden eingesetzt und hat den Effekt, dass die Belehrten nach einer gewissen Informationsmenge eine gewisse Schläfrigkeit zu entwickeln pflegen. Beim Überreden werden vor allem die affektiven Aspekte betont - die Sache selbst wird verkürzt dargestellt und der Wille auf wenige oder eine einzige Richtung festgelegt.
    Überzeugen dagegen spricht alle drei Bereiche an - Verstand, Gefühl und den Willen.
    Nach dieser etwas frei umschriebenen Darstellung mlchte ich nun doch noch ein Zitat einfügen, das sich mit der Frage beschäftigt, was denn nun eigentlich eine Überzeugung ist: Also: Überzeugungen haben etwas mit Werten zu tun, die mit angenehmen Gefühlen verbunden sind. Bei der Beschreibung "gruppenspezifisch einsozialisiert" möchte ich ein Fragezeichen machen - ganz einfach deshalb, weil ich denke, dass man auch bei Auffassungen, die durch individuelle Erfahrungen und/oder längere Auseinandersetzungen mit einem bestimmten Thema entstanden sind, mit Recht von Überzeugungen sprechen kann. Auch Überzeugungen, die Bestandteil eines psychotischen Denkgebäudes darstellen, sind nicht unbedingt "gruppenspezifisch einsozialisiert". Ein Sonderthema...


    Überzeugungen sind "nicht rein kognitiv [..], (sondern, R.G.) (können) verstanden werden [..] als gruppenspezifisch einsozialisierte Werthaltungen, die emotional positiv besetzt sind." (SE; S.151).
    Zurück zur Unterscheidung Informieren - Überreden - Überzeugen. Aus der Perspektive der Zuhörenden (oder auch Lesenden) lässt sich recht schnell erkennen, wo jemand Überreden will: Gefühle werden angesprochen und sind sehr wichtig. Der Wille geht in eine sehr konkrete Richtung. Und - Informationen fliessen spärlich, wenn überhaupt. Wer sich unter diesem Aspekt einmal typische Werbeeinblendungen im Fernsehen ansieht, wird schnell erkennen, was dabei geschieht. Das Produkt versteckt sich manchmal. Aber es verspricht tolle Gefühle. Und die Botschaft ist einfach: kauf mich! Und es wirkt.
    Wer sich nicht überreden lassen will, hat ein einfaches Mittel an der Hand. Nachfragen. Alternativen suchen. Wer überzeugen will, also andere zu der Einsicht bringen möchte, dass es sinnvoll wäre, etwas bestimmtes zu tun oder eine bestimmte Auffassung anzunehmen, muss auch sachliche Informationen liefern. Überzeugen kann nur, wer andere mitdenken lässt, mehrere Möglichkeiten aufzeigen kann und sie nicht von Anfang an auf eine einzige Option festnageln will. Beinahe zum Schluss noch einige Sätze zur "Ehrenrettung der Lehrenden und Vortragenden" - Unterricht in der Schule und auch an der Uni ist (behaupte ich aus Erfahrung) nicht immer einschläfernd. Vorträge können sehr spannend sein. Auch dann, wenn es um wirklich schwierige Themen geht. Manche haben dabei den "Dreh" erkannt. Stellen Fragen zwischendurch. Nutzen Medien. Laden zum Mitdenken ein. Erzählen auch einmal eine Anekdote. All das funktioniert natürlich nur, solange das Interesse am Thema und die Freude an der Beschäftigung damit lebendig ist. Ohne Gefühle geht es eben nicht.

    Noch zwei Thesen zur Geschichte in Deutschland...
    Hätte das deutsche Volk sich im Dritten Reich nicht so stark manipulieren lassen, hätte es den zweiten Weltkrieg nicht gegeben.
    Hätte sich die russische Regierung vor 20 Jahren dazu überreden lassen, in Berlin Panzer auffahren zu lassen, hätte es sehr wahrscheinlich einen dritten Weltkrieg gegeben.

    Es geht also nicht nur um Kleinkram - wer den Frieden auf der Welt will, kann kein großer Freund von manipulativer Rhetorik sein. Dort, wo ein Möchtegernführer auf ein kritisch denkendes Volk trifft, das nachzufragen weiss, hat die Diktatur keine Chance.

    Literatur:
    GEISSNER, H. (1986). Sprecherziehung. Didaktik und Methodik der mündlichen Kommunikation. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Scriptor.




    Dienstag, 20. Oktober 2009

    Nicht gut genug: das Schema Unzulänglichkeit


    Alfred Adler sprach vom Minderwertigkeitskomplex, in der Schematherapie nach Young taucht das Schema Unzulänglichkeit auf. Auf die Theorien zur Entstehung möchte ich hier nicht näher eingehen. Ausgehend vom Schemakonzept interessieren mich im Moment mehr die sprachlichen Formulierungen, in denen sich "Unzulänglichkeit" ausdrückt. Und - die Konsequenzen, somit die Ansatzpunkte für die Bearbeitung dieser Denkmuster über sich selbst.



    Kleine Unzulänglichkeit des Posts: der Text in der Grafik ist zu klein...
    zum Vergrößern bitte anklicken!

    Im Modell zur Struktur des Selbstkonzepts ist hier vor allem das Selbstkonzept der Fähigkeiten betroffen, es lassen sich aber auch Formulierungen beschreiben, die sich auf das Selbstkonzept der Persönlichkeit beziehen. Das Erleben, unzulänglich zu sein, kann sich auf die Zuschreibung negativer Persönlichkeitsmerkmale beziehen ("Ich bin zu dumm, zu ungeschickt, zu..."), oder auf die Selbsteinschätzung, in bestimmten Bereichen eben nicht "wertvoll" (genug) zu sein. Ich glaube, dass sich so manches genauer erkennen lässt, wenn man bestimmten Formulierungen und ihren Hintergründen etwas näher nachgeht.
    Zunächst hat die Aussage "ich bin minderwertig" etwas Statisches an sich. Kein Impuls für Veränderungen lässt sich direkt darin erkennen. Welche Gefühle dadurch ausgelöst werden, kann jede und jeder für sich ausprobieren. Und dann, als Kontrastprogramm, dem Satz nachspüren: "es gibt Bereiche in meinem Leben, in denen ich meine Fähigkeiten weiterentwickeln möchte". Wer mag, kann und darf Kommentare dazu hinterlassen.

    Ein weiterer Ansatz bezieht sich auf die Formulierung "ich bin nicht gut genug". Auch hier findet sich etwas Statisches. Möglichkeiten, die Aussage zu ergänzen, sind:
    Ganz ehrlich: ich bin nicht schnell genug, um den Weltrekord im Hundertmeterlauf brechen zu können. Große Sorgen mache ich mir deswegen nicht. Leute, die in allen möglichen anderen Disziplinen Goldmedaillen gewonnen haben, sind auch nicht schnell genug, um gerade im Hundertmeterlauf einen neuen Rekord aufzustellen. Was ich damit deutlich machen möchte, ist der Situationsbezug - und die allgemeine Behauptung, dass man an alle Menschen überall auf der Welt Ansprüche stellen kann, denen sie eben nicht gerecht werden können. Sind sie deshalb alle minderwertig? Und wenn, wer ist dann überhaupt (noch) etwas wert? Eine weitere Variation: "ich bin nicht gut genug, wenn ich davon ausgehe, dass ich bestimmte Ansprüche unbedingt erfüllen müsste". Der Schlüsselbegriff ist hier "Anspruch", genauso wichtig sind aber auch die Aspekte "unbedingt" und "davon ausgehe(n), dass...".
    ..."ich bin nicht gut genug für..." und
    ..."ich bin nicht gut genug, um..." - oder auch:
    ..."ich bin nicht gut genug, weil...".
    Ein konkretes Beispiel zu diesem Thema: "ich versuche immer, es allen Recht zu machen, aber das gelingt mir meistens nicht". Die Erfahrung der Unzulänglichkeit ist hier gekoppelt an einen Anspruch, der sich in der Regel als unerfüllbar erweist. Eine nette Geschichte dazu erzählen die Brüder Lazarus in ihrem Buch "Der kleine Taschentherapeut" im Kapitel "Niemand ist vollkommen!":

    Bei einer Party, zu der wir kürzlich eingeladen waren, verkündete einer der Gäste voller Stolz: "Ich bin ein Perfektionist!" Er war ziemlich konsterniert, als wir sagten: "Tut uns leid, das zu hören. Sie haben unser ganzes Mitgefühl!" (LAZARUS, A. & LAZARUS, C. (1999). Der kleine Taschentherapeut. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 60f.)

    Die Wege gehen auseinander, je nachdem, wie man das Thema "Unzulänglichkeit" betrachtet. In der statischen und pessimistischen Variante ist es das Ergebnis frühkindlicher Erlebnisse, an denen sich nun einmal nichts ändern lässt. In der dynamischen und rationalen Variante sind Gefühle von Minderwertigkeit die Konsequenz aus bestimmten Denkmustern, die sich untersuchen und verändern lassen. Genau das ist das Anliegen der Kogntiiven Therapie, auf die die Brüder Lazarus in ihrem "Taschentherapeuten" zurückgreifen.


    Das alles bedeutet nicht, alle Deifzite, die man an sich selbst erkennen mag, "gesund zu beten" oder zu ignorieren. Denn in diesem Eindruck, "nicht gut genug" zu sein, kann eben auch ein Impuls liegen, der durchaus konstruktiv werden kann. Anstatt im Frust darüber zu baden, dass dieses und jenes nicht gelingen mag, lässt sich die eigene Energie auch dort investieren, wo sich Ansatzpunkte zeigen, hier und da etwas besser zu machen. Aus der praktischen Unmöglichkeit, komplett in allen Lebensbereichen in jeder Hinsicht absolut unzulänglich zu sein, ergibt sich die logische Konsequenz, dass es immer auch Fertigkeiten und Fähigkeiten gibt, die als wertvoll anerkennenswert sind. Dort, wo das Bedürfnis angestupst wird, zu wachsen und zu reifen und deutlich wird, dass Entwicklung im Erwachsenenalter keinesfalls aufhört, lässt sich viel tun, um dem Schema "Unzulänglichkeit" eine ganze Menge entgegen zu setzen.


    Wünschenswert ist aber auch, dass Eltern, Lehrer, Pädagogen, Führungskräfte, Personalleute usw. endlich damit aufhören, anderen Leuten zu sagen, sie wären eben "nicht gut genug", "nicht belastbar", "nicht teamfähig" oder was auch immer ihnen als Zuschreibung negativer "Eigenschaften" einfällt. Denn all das ist gesundheitsschädigend. Wesentlich wertvoller ist ein Klima, in dem Menschen wachsen, sich entwickeln und etwas dazu lernen können. Wenn all diejenigen, die andere als "unzulänglich" oder "minderwertig" betrachten, einmal in den Spiegel sehen würden, um darüber nachzudenken, was sie alles NICHT können... könnte die Erkenntnis, dass es die allumfassende menschliche Kompetenz nicht geben kann, einen realistischeren Umgang miteinander einläuten. Der Gedanke, dass irgendein Mensch auf der Welt unzulänglich oder minderwertig sei, ist nichts anderes als Ausdruck einer menschenverachtenden Ideologie.
     

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