Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Dienstag, 14. April 2009

Realität und Wahrheit

Sich über die Realität zu verständigen ist eines – über Wahrheit zu sprechen ein anderes. Ein Gespräch ist aus sprechwissenschaftlicher Sicht definiert als „intentionale, wechselseitige Verständigungshandlung mit dem Ziel, etwas zur gemeinsamen Sache zu machen, bzw. etwas gemeinsam zur Sache zu machen“ (SW, S. 45). Direkt oder indirekt ist damit das Ziel des „gemeinsamen Handelns“ verbunden, vor allem dort, wo es um rhetorische Kommunikation geht. In den Vorlesungen und Seminaren tauchte allerdings gelegentlich auch die Formulierung auf, dass mit einem Gespräch die Hoffnung verbunden sei, dass dabei „etwas Wahres zutage gefördert werde“. Nun gibt es aber auch Leute, die die Suche nach Wahrheit grundsätzlich für unsinnig halten, Wirklichkeit als Konstrukt verstehen und sich daher mit einer solchen Zielvorstellung nicht anfreunden können. Die Unterscheidung zwischen Realität und Wahrheit ist der Versuch, hier gewissermaßen eine Brücke zu bauen. Realität lässt sich durch die Sinneswahrnehmung überprüfen – Wahrheit dagegen ist stets nur ein (mehr oder weniger breiter) intersubjektiver Konsens. Ganz praktisch: ich behaupte, ein bestimmtes Holzbrett sei genau 1 Meter lang. Mit einem Maßstab lässt sich diese Behauptung leicht überprüfen – sofern die Einheit und das Messverfahren allgemein anerkannt sind, lässt sich also überprüfen, ob eine Aussage „stimmt“. Kommen mehrere übereinstimmend zum selben Messergebnis, können wir sagen, dass es „so ist: das Brett ist 1 Meter lang“. Die Realität existiert unabhängig von uns (das zumindest halte ich für wahr), die Wahrheit dagegen ist zunächst nicht mehr als eine persönliche Überzeugung – ein Für-wahr-Halten von Aussagen, subjektiv und relativ, geprägt durch das Selbst und seine Geschichte. Realität ist absolut – Wahrheit ist relativ.
In beiden Bereichen können Menschen sich irren und täuschen. Wir können uns auch irren, wenn wir glauben, uns getäuscht zu haben. Für die Realität gibt es Methoden, Aussagen zu überprüfen, Messverfahren und Experimente in den Wissenschaften gehören in diesen Zusammenhang. Ist in diesem Bereich etwas unklar oder strittig, macht Argumentation meist wenig Sinn – im Falle des Holzbretts können Zweifelnde aufgefordert werden, selbst nachzumessen. Geht es um Aussagen, die nicht konkret überprüfbar sind, bleibt nur die Argumentation, um eine Behauptung zu stützen – ein Argument ist damit eine begründete Behauptung. Wer die Argumentation nachvollziehen kann und ihr zustimmt, kann sich überzeugen lassen.
Absolut oder unbestreitbar bewiesen ist damit aber überhaupt nichts.
Wahrheit als relativ zu verstehen bedeutet nicht, dass Gespräche keinen Sinn hätten – gerade die (von mir angenommene) Unmöglichkeit, Wahrheit zu „besitzen“, also wirklich sicher sein zu können, verweist auf den Dialog als Methode, Aussagen zu überprüfen. Wenn ich etwas „für wahr halte“, besteht die Möglichkeit, im Gespräch Einwände, Widerspruch, Zweifel oder auch Zustimmung zu erfahren, herauszufinden, ob auch andere dieses oder jenes „für wahr halten“. Dort, wo Menschen darauf verzichten, im Besitz der Wahrheit zu sein oder jemals im Besitz der Wahrheit sein zu können, öffnet sich der Weg zu einem ganz anderen Umgang miteinander. Eine Aussage wie „so ist es“ bleibt gebunden an den momentanen Wissensstand, ist als Fest-Stellung vielleicht notwendigerweise besser der Los-Lösung verantwortet, die aus einem veränderten Wissensbestand eben auch andere Schlussfolgerungen nach sich ziehen kann.
„Soweit ich weiß, ist es so“. Eine Aussage wie „das ist wahr“ ist gebunden an persönliche Überzeugungen, die mehr oder weniger gut begründet sein können. Hintergrund kann auch eine Erkenntnis-Entscheidung sein, also der Schritt zur Annahme einer Aussage, die als „wahr“ akzeptiert wird. Das individuelle Weltbild, der persönliche Horizont grundsätzlicher Überzeugungen bilden das Bezugssystem, von dem aus jede Aussage bewertet und beurteilt wird. Verändert sich das Bezugssystem, verändern sich möglicherweise auch die Aussagen, denen wir zustimmen oder die wir ablehnen. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtung gibt es praktisch nichts, dass man nicht irgendwie anders sehen kann. Es gibt dann aber auch niemanden mehr, der mit Recht behaupten könnte, wirklich zu wissen und sagen zu können, was Wahrheit und der Weisheit letzter Schluss ist. Diese Unsicherheit, die uns immer wieder aufeinander verweist, ist vielleicht schwer auszuhalten. Die Konsequenzen aus der Haltung, die eigene Überzeugung anderen aufzwingen zu wollen, „notfalls eben mit Gewalt“, sind allerdings genauso schwer auszuhalten.

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