Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Mittwoch, 16. September 2009

Ist politische Kampfrhetorik noch zeitgemäss?

Der Anstoss zu diesem Thema ist leicht zu erkennen - das Kanzlerduell, das irgendwie keines war, mit Bemerkungen wie "yes we gähn" und "Geschmuse" eines "älteren harmonischen Ehepaars" vom Ablauf her als irgendwie unpassend beurteilt, verurteilt wurde.
Früher war das alles anders, als Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauss aufeinander losgingen. Die Frage ist, ob es wünschenswert wäre, zu diesen Formen aggressiver Kampfrhetorik zurückzukehren, die im übrigen durchaus von gegenseitigem Respekt getragen war, auch wenn sich das oberflächlich betrachtet nicht immer erkennen liess.
Das "TV-Duell" zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier ist im Internet abrufbar, es gibt bereits eine breite Palette von Analysen und Kommentaren dazu.

So manches lässt sich konkret beschreiben und aufzeigen, anderes lässt sich aus verschiedenen Perspektiven eben auch unterschiedlich interpretieren und bewerten.
Zunächst einmal haben wir eine "defekte Situation" vor uns, die Bezeichnung "Duell" definierte bereits eine "Kampfsituation", verbunden mit der Erwartung, dass die beiden "aufeinander losgehen". Situationsmächtig waren nicht die "Darsteller", sondern die "Regisseure", konkret: das Studio der ARD. Da waren Regeln vorgegeben, wurden Redezeiten gemessen und sollten gleichmässig verteilt sein. 4 gegen 2 - Fragen, die eine Kontroverse provozieren wollten, Unterbrechungen und thematische Vorgaben, die insgesamt nichts anderes bedeuten als ein vorinszeniertes, strukturiertes und zeitlich exakt begrenztes Gespräch. Eine Szene eben, kein echtes Gespräch.
Bereits die räumliche Anordnung war eher auf ein Gegenüber zwischen den Kandidaten und den Moderatoren angelegt. Konflikte entstehen, wenn man Gruppen beobachtet, häufiger zwischen Personen, die sich diametral gegenübersitzen, seltener zwischen jenen, die nebeneinander sitzen oder auch stehen. Dramaturgisch problematisch: die Darsteller wollten nicht so recht "mitspielen", es gibt konkrete Passagen, in denen sich dieses Moment sehr deutlich aufzeigen lässt. Bildhaft könnte man sagen, hier wurden zwei Boxer in den Ring geschickt, die nach dem Gong zuerst die Boxhandschuhe ausziehen und sich dann bemühen, aus Bauklötzen gemeinsam einen Turm zu bauen, sich wohl gelegentlich darüber streiten, welcher Klotz dabei zu verwenden ist und an welche Stelle soll, aber "darüber lässt sich reden". Der eigentliche Konflikt bestand dabei nicht zwischen den Soll-Kontrahenten, sondern in der unterschiedlichen Rollenkonzeption und der Situationseinschätzung - allen inhaltlichen Vorgaben zum Trotz wollten die Beiden nicht wirklich gegeneinander kämpfen, nicht wirklich "gewinnen", sich nicht "in die Pfanne hauen" und die "Gegenseite" am Boden sehen. Unterschiedliche Auffassungen, Fragen, in denen ein Dissens thematisiert wurde, waren eben "Unterschiede" und nicht sofort "Gegensätze" - die kooperative Grundstruktur zeigt eine Rollendefinition, die weit mehr partnerschaftlichen Charakter hat, das Gemeinsame betont und damit ein Gegenmodell zu politischen Kampfrhetorik anschaulich demonstriert.
Bedeutet das nun, das die politische Diskussionskultur "am Ende" ist?
Vielleicht ist die Frage falsch gestellt, Antworten setzen zunächst einmal voraus, zu klären, was denn nun "politische Diskussionskultur" sein soll. Worauf es dabei ankommt, ankommen sollte. Vor dem Hintergrund von Regelwerken, wie sie etwa bei Van Eemeren und Grotenhorst beschrieben sind (eine ausführliche Darstellung findet sich bei KIENPOINTER in seinem Buch "Vernünftig argumentieren"), lässt sich im "Duell" eher eine Verschiebung zugunsten der sachlichen Diskussion feststellen. So wurde es von den meisten Zuschauern auch wahrgenommen. Keine betonte Kampfretorik also, aber auch kein Ende der Kultur. Vielmehr ein Zeichen dafür, dass selbst in einer vorgegeben kontroversen Struktur kooperative Muster lebbar und realisierbar sind. Es ist, nüchtern betrachtet, kein Ende der Diskussionskultur, eher eine andere. Eine vernünftigere eben, eine Kultur, die mehr Wert auf Beziehung, Zusammenarbeit und Lösungen legt.
Das alles macht ein solches Duell weniger publikumswirksam, weniger dramatisch, für manche langweilig. Da steht eben kein Arnold Schwarzenegger auf der Bühne, da tobt nicht der uralte Kampf zwischen Gut und Böse, da duellieren sich keine wütende Hähne. Der Gedanke ist noch im Hinterkopf, spezifische Momente des Widerstands gegen die vorgegebene Inszenierung konkret aufzuzeigen. Aktuell gibt es aber wieder neuen Zündstoff, nachdem die Teilnahme an einer Fernsehdiskussion von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier abgesagt wurde. Das ist vielen nicht angenehm. Verstehen kann man es aber als Zeichen dafür, sich nicht funktionalisieren lassen zu wollen. Verstehen kann man es als Bemühen, eine Beziehung zu schützen und sich den Rahmenbedingungen der Medien mit ihren Vorstellungen nicht fügen zu wollen. Die Botschaft dahinter könnte sein: "auch wenn die Medien und die Öffentlichkeit von uns erwartet, dass wir aufeinander losgehen und uns gegenseitig angreifen - wir spielen dieses Spiel nicht mit." Und das hat, bei allen Vorwürfen und der Schwäche, die den beiden damit unterstellt wird, auch etwas Starkes.


Literatur: KIENPOINTER, M. (1996). Vernünftig argumentieren. Regeln und Techniken der Diskussion. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

1 Kommentar:

  1. Bei euren innenpolitischen Themen bin ich nicht so ganz informiert, muss ich gestehen, doch denke ich, dass das Miteinanderreden im Gegensatz zum Gegeneinanderreden eindeutig etwas Starkes hat. Wie immer man jetzt zu den beteiligten Personen stehen mag.

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