Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Freitag, 26. Februar 2010

Die Rhetorizität des Schweigens

Rhetorik, das ist Rede, meinen viele. Stimmt nicht. Rhetorische Kommunikation bezieht sich auf das Miteinandersprechen, Rede ist Sprechen zu anderen und damit nur ein Teilbereich. Im günstigen Fall orientiert sich auch eine Rede am Modell des Gesprächs - und ist damit virtuell dialogisch, auf ein Gespräch ausgerichtet. Rhetorik ist, wenn man etwas sagt, das scheint nahe zu liegen, ist aber genauso falsch. Denn auch das Schweigen kann nicht nur 'sehr beredt' und vielsagend sein, sondern auch in mehrfacher Hinsicht rhetorisch. Schweigen ist also auch eine Sprechhandlung und kann sehr provokativ sein.
Etwa, wenn man schweigend ein Transparent vor sich hält, auf dem der Name eines Toten steht.

Die Aktion der Linken in der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan war ein solcher provokativer Akt, der Argumente durch Transparente ersetzte und einigen Wirbel ausgelöst hat, weil die Partei aus dem Saal gewiesen wurde. Die Tagesschau führt eine Umfrage durch, bei der man zur Aktion der Linken Stellung nehmen kann.

Dass Schweigen, vor allem verbunden mit einer Form extraverbaler Kommunikation eine Intention beinhalten, eine Aussage bekommen und damit rhetorische Wirkung entfalten kann, ist damit wohl recht deutlich gezeigt. Der Eklat im Bundestag zeigt auch die Problematik einer Regelverletzung auf, über die man sich streiten kann. Aber zunächst ein kleines Gedankenexperiment. Wenn die Aktion rheorischen Charakter hat, dann müsste sie prinzipiell auch als Argumentationsstruktur darstellbar sein - also eine begründete Behauptung ohne Worte darstellen, deren Sinn sich erschließen und verstehen lässt.

Über den weiteren Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan soll abgestimmt werden.
  • Wenn die Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt wird, gibt es auch Tote.
  • An diese Toten wollen wir mit unseren Schildern erinnern.
  • Weitere Todesfälle wollen wir vermeiden.
Deshalb lehnen wir einen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ab.

Diese Interpretation ist nicht zwingend - entspricht aber in der Schlußfolgerung, dem Zwecksatz am Ende, dem Abstimmungsverhalten der Partei, die geschlossen mit NEIN stimmte. So oder ähnlich hätte man das aber auch sagen können - und damit komme ich zur etwas schwierigeren Frage der Provokation. Man kann es nüchtern sehen und die Schilderaktion als Argumentationsvariante betrachten, die sich eben besonderer Mittel bedient und durchaus etwas Kreatives an sich hat. Man kann aber auch einen Vorwurf darin sehen, der all jenen, die einem weiteren Einsatz der Bundeswehr zustimmen, die Verantwortung für die Toten und jene, die noch sterben werden, zuschreibt. Noch deutlicher aber ist das provokative Element, gegen die Ordnung des Bundestags zu verstossen.

Der Spiegel veröffentlichte ein kurzes Video, auf dem die Aktion und die sofortige Reaktion des Parlamentspräsidenten Lammert zu sehen ist. Aus dem Artikel geht auch hervor, dass der Verstoß gegen die Ordnung des Bundestags bewusst und absichtlich erfolgte - auch wenn der Ausschluss aus der Sitzung nicht unbedingt vorherzusehen war.

Sinngemäß identisch ist die Darstellung in der ZEIT, die Fülle der Kommentare zeigt die Vielfalt der Aufassungen in der Bevölkerung, die zwischen Zustimmung und Ablehnung der Protestaktion schwanken. Mit dem Blick auf die internationale Politik und die Bündnisverpflichtungen war die deutliche Zustimmung des Parlaments zum neuen Mandat der Bundeswehr zu erwarten. Mit dem Bewusstsein der deutschen Geschichte ist aber auch das Unbehagen nachvollziehbar, das mit solchen Einsätzen verbunden ist.

Deutschland beteiligt sich an einem Krieg.

Was auch immer man über die Aktion der Linken denken mag - wo die Worte fehlen, wo nicht mehr klar ist, was man dazu noch sagen soll, bleibt vielleicht nichts anderes als die Rhetorizität des Schweigens.

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