Es fehlt in der Sammlung von Youngs Schematherapie: das Schema
Bitterkeit. Es gibt Berührungspunkte zu anderen Schemata wie Misstrauen, Anspruchshaltung oder
auch Unzulänglichkeit. Das Schema Bitterkeit beschreibt aber etwas Anderes,
verdient meiner Ansicht nach eine eigenständige Betrachtung.
Es kann mit Misserfolgen zu tun haben, aber die Abgrenzung zum Schema
Unzulänglichkeit ist, dass es nicht vorrangig um internale Attributionsmuster
geht. Misserfolge nicht auf das eigene Versagen zurückzuführen ist nicht ein
Lösungsansatz, sondern gerade das Problem. Es ist, vorläufig rein hypothetisch
formuliert, ein Schema das häufiger bei älteren Menschen auftaucht, sagen wir,
Menschen, die über einen längeren Zeitraum viele schlechte Erfahrungen gemacht
haben, und dabei klar erkennen, dass sie kaum anders hätten handeln können.
Schlaue Therapeutenstrategien, die auf neue Versuche, Veränderungen, neues
Glück oder Ähnliches setzen, greifen ins Leere. Dem Prinzip Hoffnung alle Ehre,
aber mal im Ernst: wer nach Jahrzehnten beruflicher Tätigkeit seine Stelle
verliert, weil die Firma eben zumacht, weil die Jungmanager eben Geld sparen
wollen und die "Alten" eben zu teuer sind oder weil die Knochen eben
nicht mehr mitmachen - hat eben keine rosigen Aussichten. Wir leben in einer
Leistungsgesellschaft, einer Gesellschaft, die auf viele Dinge keine Rücksicht
nimmt. Das zu erkennen ist bitter. Ist das Bittere dann schon krank oder muss
noch mehr dazu kommen, bis die Diagnose "Verbitterungsstörung"
gerechtfertigt ist?
Bitterkeit als Schema einzuordnen ist etwas weniger dramatisch, weniger
stigmatisierend, vermag doch der Begriff Verbitterungsstörung das Bittere noch
bitterer machen, indem dem Elend auch noch das Etikett zugefügt wird,
"einen an der Klatsche" zu haben. Dabei habe ich vor allem jene
Altersgruppen vor Augen, für die körperliche Krankheiten die einzigen sind, die
'man haben darf, ohne gleich als bekloppt zu gelten'. Psychotherapie, das ist
eben 'neumodisches Zeugs und dass die Psychologischen Psychotherapeuten keine
Ärzte sind, das ist ja merkwürdig, sind das denn keine Psychiater? Gibt' s denn
da nicht auch gleich Medikamente und ist nicht eh alles erblich und liegt in
der Familie?'
Nein, so ist es nicht gemeint. Das Nachdenken über das Schema Bitterkeit ist natürlich
verbunden mit der Frage nach angemessenen therapeutischen Strategien. Und dabei
denke ich zuerst an das Annehmen des Bitteren am Bitteren. Vielleicht ist es ja
nicht mehr so bitter, wenn man es akzeptieren kann, sich 'mit dem Schicksal
versöhnt hat', Abstand gewinnen kann von den vielen Vorgaben, Ansprüchen und
Forderungen, wie die Dinge zu sein hätten, wie Menschen zu sein hätten und so
fort.
Alles hat einmal ein Ende, das ist bitter. Da werden Leute angegriffen wegen
eines Videos, mit dem sie nichts zu tun haben, das ist bitter. Bitter ist nicht
nur manche Schokolade, bitter ist die Vergänglichkeit, Zerbrechlichkeit aller
Menschen und allem, was sie jemals geschaffen haben (und noch schaffen
werden?). Bitter ist der Tod.
Das Schema Bitterkeit ist ein Bewertungsmuster für bestimmte Aspekte der
Realität. Wer Bitterkeit empfindet, traurig oder niedergeschlagen auf so
manches schicksalhafte Ereignis reagiert, zeigt etwas, das nachvollziehbar,
verständlich ist. Das Bittere als bitter zu empfinden ist aber auch eine
Bewertung. Und wenn die Bewertung das eigentlich Bittere ist, dann lässt sich
das Bittere auch verwandeln. Es läuft dann doch immer wieder darauf hinaus, die
Dinge eben so zu akzeptieren, wie sie sind. Das ist schwer. Und dass es schwer
ist, ist vielleicht auch bitter.
Vielleicht sollten wir das unseren Kindern sagen: erwarte nicht, das alles
leicht wird oder alles gelingt. Aber achte dabei auf die Art, wie du die Dinge
bewertest. Denn diese Bewertungen könnten ungesund sein.
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