Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Sonntag, 29. März 2009

Kontakt aufnehmen: das Phatische und das Rhetorische

So langsam dämmert mir, wohin die Gedankengänge laufen… zurück zu den Wurzeln, sprich: der Sprechwissenschaft als Theorie mündlicher Kommunikation. 1988 erschien die zweite Auflage, das ist jetzt also 21 Jahre her. (GEISSNER, H. (1988). 2. Auflage. Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Frankfurt am Main: Scriptor Verlag. Im folgenden abgekürzt als „SW“).
Trotzdem scheint sich im Alltagsbewusstsein wenig verändert zu haben – wenn der Begriff „Rhetorik“ fällt, denken die meisten auch heute noch zuerst an „Rede“. Die Besonderheiten der Gesprächsrhetorik scheinen wenig bekannt zu sein – und der Bereich der phatischen Kommunikation erst recht. Merkwürdig eigentlich, denn die phatische Kommunikation bezieht sich auf Alltagsgespräche. Etwas, das wir tagtäglich tun, scheint uns so selbstverständlich, dass wir wenig darüber nachdenken. Die Teilnehmer an Rhetorikseminaren kommen mit Anliegen wie „ich will mich besser ausdrücken können“ oder „besser argumentieren“ – und das passt ja auch zum Thema. Nur – geht es eigentlich immer darum, andere zu beeinflussen? Welche Bedeutung haben eigentlich Gespräche, in denen es „einfach nur“ um Kontakt geht? Ist das Zeitverschwendung? Oder steht ein menschliches Bedürfnis dahinter, einfach einmal die eigenen Gedanken auszusprechen, ohne dass damit ein ernstes Anliegen verbunden wird, einfach nur zu erfahren, was in anderen Menschen vor sich geht? Zunächst einmal zur Klärung der Begriffe…
„Alltagsgespräche sind phatische Gespräche, solange sie routiniert und ritualisiert Kontakte anbahnen und erhalten…“ (SW, S. 152)
Routine also. Rituale. Feste Muster. Verbunden mit einem „bewusstlosen Bewusstsein“ – unverbindlich, ohne irgendwelche Absichten. Sobald Absichten entstehen, werden auch Alltagsgespräche rhetorisch. Vielleicht sollte die Formulierung des „bewusstlosen Bewusstseins“ noch erläutert werden, die mit Bezug auf Thomas Leithäuser als „Bewusstlosigkeit von den gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Entstehungsgeschichte“ gemeint ist. Alltagsgespräche, das Phatische, erscheint als etwas Begrenztes, Borniertes, ein Prozess, in dem etwas fehlt. Offen bleibt dabei das Rhetorische im Phatischen, schließlich auch die Frage nach dem Phatischen im Rhetorischen.
Die Absicht, Kontakt herzustellen, ist auch ein Ziel. Insofern hat das Phatische immer auch etwas „Absichtliches“ – oder kann es zumindest haben.
Was meinen die Menschen eigentlich, wenn sie davon sprechen, sie hätten sich hier und da „gut unterhalten“? Sind Gespräche, in denen man sich „gut unterhalten hat“, schon rhetorisch?
Ist phatische Kommunikation, verstanden als mehr oder weniger automatisch ablaufende Routine, wirklich so borniert, sagen wir: wertlos?
Provisorisch möchte ich einmal die Begriffe etwas anders formulieren. Phatische Kommunikation stellt den Kontakt in den Mittelpunkt – es geht einfach darum, Kontakt herzustellen. Rhetorische Kommunikation stellt Inhalte in den Mittelpunkt. Phatische Kommunikation dient dazu, Beziehungen aufzunehmen und zu pflegen – rhetorische Kommunikation dient dazu, andere zum Nachdenken anzuregen, ihnen etwas mitzuteilen oder sie von etwas zu überzeugen.
Manchmal wird vielleicht etwas gesagt, „damit etwas gesagt ist“. Weil es unhöflich wäre, zu schweigen. Manchmal sind Alltagsgespräche sicher begrenzt, ziellos, geradezu unsinnig – wenn man die Inhalte betrachtet. Das Bedürfnis, einfach nicht allein zu sein, der Wunsch, Kontakt zu erleben, bleibt dennoch ein elementares Motiv, das sich in gewisser Weise von den Inhalten des Gesprochenen abkoppeln lässt. Ohne das Phatische (also ohne Kontakt zu einer konkreten anderen Person) gibt es auch das Rhetorische nicht – und ohne das Rhetorische bleibt das Phatische inhaltlich „leer“. Phatische Kommunikation als Mittel, Kontakte zu pflegen, hat aber durchaus einen Aspekt, der nicht „bewusstlos“ bleiben muss. Vielleicht wäre so manches Gespräch angenehmer, wenn der Anspruch, etwas Wichtiges zu sagen, gezielt zu kommunizieren und dabei in irgendeiner Weise bewusst auf andere einzuwirken, auch einmal zurücktreten dürfte. Hallo, ich will mich einfach mal unterhalten. Ein bestimmtes Anliegen habe ich nicht. Es ist mir auch nicht so wichtig, worüber wir sprechen. - Früher oder später geht es dann doch darum, ein Thema zu finden, das für beide bzw. mehrere Beteiligte von Interesse ist.
Begriffe können dazu dienen, die Realität zu ordnen. Es macht einen Unterschied, ob jemand phatisch oder rhetorisch kommuniziert. Manchmal ist schnell erkennbar, dass ein bestimmtes Anliegen der Anlass für den Beginn eines Gesprächs ist. Da will jemand etwas loswerden. Oder etwas besprechen. Auf etwas hinweisen. Sich entlasten oder sich beschweren – oder sich beschweren, um sich zu entlasten. Die Frage ist, ob damit automatisch ein rhetorischer Prozess in Gang gesetzt werden soll oder nicht. Denn das scheinbar Rhetorische, das gibt es eben auch. Das wollte ich einfach mal loswerden. Ob andere darüber nachdenken oder nicht, ist egal. Auch eine Antwort, die sich auf die Inhalte bezieht, ist nicht so wichtig. Es geht nur um den Kontakt. Und nichts weiter. Oder…?
Es gibt noch ein Phänomen, das sich nicht so leicht als rhetorische Kommunikation einordnen lässt. Es lässt sich in vielen unterschiedlichen Berufsfeldern beobachten, ob es nun Verwaltung, Beratung, Verkauf, ein Call Center oder auch eine Klinik ist – immer wieder gibt es Gespräche, bei denen nicht so leicht zu erkennen ist, worum es eigentlich geht. Da beschwert sich vielleicht jemand an der falschen Stelle, regt sich im Laden über die Stromrechnung auf, beschwert sich beim Arzt über den Nachbarn oder kritisiert die aktuelle Politik beim Friseur. Ob diese „falsche Adresse“ wirklich so unbewusst gewählt wurde, das ist hier die Frage. Gehe ich davon aus, dass all diese Gespräche phatisch sind, einfach nur dem Kontakt dienen, mit dem Bedürfnis verbunden sind, zu plaudern oder sich „auszusprechen“, obwohl (oder vielleicht gerade weil) der oder die Angesprochene an den beklagten Sachverhalten nichts ändern kann, dann wird das Besondere dieser Gespräche deutlich. Phatische Kommunikation kann ein Prozess der Konfliktverschiebung und der Konfliktvermeidung sein – aber auch die Grundlage für rhetorische Prozesse herstellen und aufrechterhalten. Denn dort, wo es keine Beziehung, keinen Kontakt mehr gibt, können Konflikte auch nicht mehr ausgetragen werden. Und deshalb meine ich, dass all jene, die sich mit Rhetorischer Kommunikation beschäftigen, das Phatische nicht allzu gering schätzen sollten.
Manchmal liegt der Sinn eines Gesprächs einfach nur im Kontakt – auch wenn das Gespräch selbst (inhaltlich betrachtet) keinen Sinn zu haben scheint. Da mag der Kopfschüttler über seine Liebste den Kopf schütteln… immerhin: sie sprechen miteinander.

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