Psychosophie

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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 6. August 2009

Redeanalyse: Steinmeiers Deutschland-Plan (Erster Teil)

Vier Millionen neue Arbeitsplätze, Vollbeschäftigung bis 2002 - so ist es vorgesehen im Deutschlandplan der SPD. "Unglaubwürdig", meint Oskar Lafontaine dazu. Solche Versprechen gab es ja schon öfter - und dann wurde doch nichts draus...

Zuerst: hier ist die Rede.




Mehr als eine Stunde dauerte die Rede - und der Versuch einer Redeanalyse, im wesentlichen beschränkt auf den Redetext, natürlich noch länger.
Ausgangspunkt der Redeanalyse ist die Kritik, die an Steinmeiers Rede geübt wurde.

Ist sie wirklich unglaubwürdig?
Wenn ja, woran lässt sich diese Unglaubwürdigkeit erkennen?
Was ist überhaupt Glaubwürdigkeit?


Aus der Perspektive einer formalen Betrachtung lässt sich Glaubwürdigkeit festmachen an Aussagen, die begründet sind (also nicht einfach "leer im Raum stehen"), sich auf Fakten beziehen, überprüfbar sind. Dabei geht es nicht nur um einen Gesamteindruck, sondern um auch um Details - jede einzelne Aussage kann mehr oder weniger glaubwürdig sein und je nach persönlicher Gewichtung zum Gesamteindruck beitragen.

Die Rede beginnt mit einer Begrüßung, einem Element also, das "sich gehört", dem Erwartungshorizont der Zuhörenden entspricht. Anschließend wird das Themenfeld abgesteckt: worum es denn nun gehen soll in dieser Rede, was Inhalt und Anliegen der folgenden Darstellung sein soll.

"Es geht nicht um allgemeines Gerede über die Krise. Sondern darum, was in Deutschland geschehen muss, um die Krise nachhaltig zu überwinden und neue Arbeitsplätze zu schaffen."
Was mir hier auffällt, sind Unterschiede in der Wirkung auf Hörende und Leser. Als Zuhörer bleiben vielleicht nur Stichworte 'hängen", hier soll es also um "Krise" und "Arbeitsplätze" gehen, nicht um "allgemeines Gerede", sondern (vermutlich) um etwas Konkretes. Als geschriebener Text werfen die beiden Sätze Fragen auf - wie ist das denn nun gemeint? Was ist mit Krise gemeint und welche Logik steckt in den Aussagen? Muss "etwas geschehen", um die Krise "nachhaltig zu überwinden" - oder käme die Formulierung "es muss etwas getan werden, damit wir die Krise überwinden können" dem Gemeinten näher? Steht das Schaffen neuer Arbeitsplätze am Ende der Krise oder ist sie ein Mittel, um die Krise zu überwinden? Wenn nun "Krise" bezogen ist auf die Arbeitslosenquote, ist dann das Schaffen neuer Arbeitsplätze das Mittel zur Überwindung - oder nur eine verkürzte Darstellung, die auf der Annahme basiert, dass "neue Arbeitsplätze" auch automatisch "weniger Arbeitslose" bedeutet.
Hier lässt sich bereits die Frage stellen, wie es denn mit der Möglichkeit aussieht, dass "an anderer Stelle" Arbeitsplätze wegfallen - dann nämlich gäbe es insgesamt eben auch nicht mehr Arbeit und die Logik "Arbeitsplätze schaffen, um Arbeitslosigkeit zu überwinden" läuft ins Leere.
Potentiell missverständlich ist auch die Formulierung, eine Krise "nachhaltig zu überwinden" - geht das überhaupt? Trennen wir die Aspekte, sind es zwei verschiedene Anliegen - eine Krise überwinden und nachhaltige, sprich: langfristig tragfähige Lösungen zu finden.
Was beim Lesen an dieser Stelle noch unklar sein mag, wird im weiteren Verlauf deutlicher.
Fragen werden benannt, die "sich viele stellen":

"Wo sollen Beschäftigung, Wachstum und Wohlstand künftig herkommen?
Was tut die Politik, damit so eine Krise nie wieder passiert?
Wie stellen wir sicher, dass Unternehmen langfristig investieren und verantwortlich agieren?"
3 Fragen also sind aufgeworfen. Und die Antworten?
"Die nächsten Jahre werden schwierig - für die Unternehmen, aber auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur mit neuen Ideen und einem klaren Kompass können wir es schaffen, dass die Krise nicht in eine lang anhaltende Schwächephase mit vielen Hunderttausenden zusätzlichen Arbeitslosen einmündet."
Neue Ideen und ein "klarer Kompass", zwei Begriffe also, die eine Strategie andeuten, daneben eine präzisere Zieldefinition: eine "lang anhaltende Schwächephase (der Wirtschaft)" und "viele Hunderttausende zusätzliche Arbeitslose" verhindern. Fügt man nun die Aussagen zusammen, ergeben sich zwei unterschiedliche Zielsetzungen:

  • neue Arbeitsplätze schaffen
  • ein weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindern
(die Formulierung: "verhindern, dass weitere Arbeitsplätze wegfallen" ist ein Interpretationsschritt, dürfte aber dem Anliegen des Redners entsprechen)

An dieser Stelle möchte ich kurz auf eine andere Ebene wechseln, den nächsten Abschnitt zunächst überspringen und den Aspekt "neue Ideen" zusammen mit dem Zitat von Helmut Schmidt kommentieren. "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen".
Dahinter steht eine bestimmte Auffassung von Politik, ein klarer Realitätsbezug, frei von Spekulationen und wilden Fantasien... so ungefähr. Wenn ich den Begriff "Visionen" näher betrachte, bieten sich mindestens drei verschiedene Bedeutungen an.
1. Visionen als Vorstellungen von dem, was sein kann. Die Mondlandung war für Kennedy zunächst eine Vision, ein fernes, für viele unrealistisch erscheinendes Ziel. Zehn Jahre hatte er angesetzt und ein Ziel formuliert, das sich tatsächlich als realisierbar erwiesen hat. Hätte man den Präsidenten deshalb zum Arzt schicken sollen?
2. Visionen als paranormale Phänomene sind ein Thema für die Parapsychologie und nicht "an sich" ein Zeichen psychischer Krankheit. Nüchtern betrachtet könnte sich um die Einsicht in Zusammenhänge handeln, die anderen verborgen bleiben. Etwas bescheidener von Intuition zu sprechen könnte durchaus eine wertvolle Fähigkeit für Politiker sein - und das Bild vom "Kompass" anschaulicher beschreiben.
3. Visionen im Sinne von Halluzinationen und Wahnvorstellungen - das war es wohl, was Helmut Schmidt gemeint hat und ihn an einen Psychiater denken ließ.

Perspektivenwechsel, Frage an die Hörer/Leser der Rede:
ist Frank-Walter Steinmeier ein Visionär?


Insgesamt (persönlicher Eindruck) wirkt er eher nüchtern, realistisch, analytisch. Nicht wie einer, der halluziniert und zum Psychiater sollte, von besonderen Visionen war bis zu dieser Stelle noch nicht die Rede und - neue Ideen sollten in der Politik willkommen sein.

Nächster Abschnitt in der Rede:

"Wenn wir nichts tun oder gar das Falsche tun, dann habe ich die Sorge, dass unser Land auseinander driftet, dass es brüchig wird, dass es sich spaltet in Arm und Reich, in Gewinner und Verlierer, in die da oben und die da unten, in bewachte Stadtviertel, in die keiner mehr darf, und in soziale Brennpunkte, in die sich keiner mehr traut. Es darf nicht dazu kommen, dass Menschen durch den Rost fallen, dass Unternehmen kaputt gehen, dass Landstriche veröden. Wir dürfen nicht zulassen, dass Werte und Errungenschaften unwiederbringlich verloren gehen. Dass die Solidarität und die Toleranz, die Deutschland seit 1945 wie keine andere Nation zu ihren Grundfesten gemacht hat, erodieren und verschwinden."
Kurze Kommentare dazu: soziale Gerechtigkeit ist ein wichtiges Thema, die Spaltung in Arm und Reich haben wir längst. Wenn ein Manager für seinen Abgang 50 Millionen bekommt, können "Normalsterbliche" nur noch mit dem Kopf schütteln... Dass Unternehmen kaputt gehen wird immer wieder geschehen und keine Politik wird das verhindern können. Was aber möglich ist und auch geschieht, ist das Nachdenken über Werte. Die Frage nach Werten ist gleichzeitig ein Ansatzpunkt für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit (die an sich ebenfalls ein Wert ist): trennen lässt sich dabei die Glaubwürdigkeit einer Aussage von der Glaubwürdigkeit einer Person.

Bevor Steinmeier auf den Deutschland-Plan eingeht, wird ein zentrales Anliegen deutlich:

"Bei der Wahl am 27. September geht es deshalb nicht nur um Steinmeier oder Merkel, ... es geht darum, wie Deutschland in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren, in den Jahren nach der Krise, in den Jahren der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung, aussehen soll."
Zurück zur Frage der Glaubwürdigkeit... bis zu dieser Stelle hat der Redner...
  • ein Thema genannt,
  • Fragen formuliert,
  • Probleme benannt,
  • Ziele beschrieben (als Richtungsziele, aber auch als Vermeidungsziele)
  • an Werte appelliert und
  • eine Position bezogen
Zusammengefasst: da denkt einer zehn bis zwanzig Jahre voraus, sucht in einer kritischen Situation nach Wegen, beschreibt Werte und Ziele und behauptet, er habe dazu neue Ideen. Rein formal macht ihn nichts von alledem unglaubwürdig. Trotzdem nehmen ihm das manche nicht ab - das alles sei eine "Verzweiflungstat vor der Wahl".
Wie sieht es denn nun aus mit Steinmeiers Deutschland-Plan. Ist er wirklich nur eine Luftblase, eine Verzweiflungstat vor der Wahl - oder eine Perspektive?

(hier geht es zur Fortsetzung)

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