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In der Begegnung mit anderen Menschen können wir uns selbst und andere besser verstehen lernen. Wenn wir miteinander sprechen, begegnen sich subjektive Welten. Vielleicht entstehen daraus Einsichten, die für das je eigene Leben von Bedeutung sind.

Donnerstag, 6. August 2009

Steinmeiers Deutschland-Plan: Perspektive oder Luftblase? (Redeanalyse zweiter Teil)

Vorbemerkung: dieser Artikel ist die Fortsetzung der Analyse zum Deutschlandplan.
"Das Programm, das ich heute präsentiere, zeigt, dass wir in den nächsten zehn Jahren vier Millionen neue Arbeitsplätze schaffen können. Es zeigt, dass wir bis 2020 Vollbeschäftigung erreichen können."
Diese beiden Aussagen markieren den Kern dessen, was strittig ist. Strittig ist dabei genau genommen die Realisierbarkeit - Kritiker behaupten, das sei nicht möglich, hier werden Wahlversprechen gemacht, die nicht haltbar sind. Große Versprechen, die nicht eingelöst werden, das ist ja nichts Neues. Auch, wenn es um das Thema Arbeitslosigkeit geht.

Kann Politik überhaupt Arbeitsplätze schaffen? Ist Vollbeschäftigung bis 2020 möglich? Meine ehrliche Antwort darauf ist: am ersten zweifle ich, was das zweite betrifft - keine Ahnung. Also (nun kommt das Rhetorische ins Spiel): wenn einer so etwas behauptet, dann gehört auch eine Begründung dazu.

"Das Programm, den ich Ihnen heute vorstelle, ist das Kursbuch für den Neustart der sozialen Marktwirtschaft. So etwas denkt man sich nicht am grünen Tisch aus. Ein solcher Plan braucht Wissen aus der Praxis, damit er für die Praxis taugt. Wir haben vier Monate lang recherchiert, Fakten zusammengetragen, Gespräche geführt. Wir haben zugehört bei den Sorgen, den Ängsten, den Wünschen von Unternehmen, Sozialverbänden, Instituten. Wir haben uns umgeschaut, umgehört, umgetan im Inland und im Ausland. Wir haben gefragt: Was treibt sie um, die Unternehmer, die Manager, die Gewerkschafter, die Wissenschaftler? Wo liegen die Probleme? Wo liegen die Chancen? Wo liegen die Hoffnungen? Vor allem aber: Wo sind unsere Stärken? Wie können wir diese Stärken nutzen und entfalten?"
Von Visionen war bereits die Rede. Wenn einer sagt, "ich habe da so eine Idee" oder eine Vision nach dem Prinzip "I had a dream" vorstellt, kann man vielleicht darüber lächeln. Vier Monate Recherche... das klingt eher nach einer sorgfältigen Problemanalyse als nach einem spontanen nächtlichen "Heureka, ich hab's!".
"Ich verzichte darauf, Ihnen die ganzen 67 Seiten jetzt vorzulesen."
Das wäre dann auch wirklich etwas lang geworden... immerhin kann man die 67 Seiten zum Thema "Politik für das nächste Jahrzehnt" auch nachlesen.
Als "Zusammenfassung der Zusammenfassung" möchte ich die 8 Kernpunkte des Plans als Zitate herausgreifen:
"Erstens: Industrie und Produktion müssen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bleiben. Wir wollen sie durch die gezielte Verbindung mit neuen und grünen Technologien modernisieren."

"Punkt zwei ..: Moderne Dienstleistungen werden zum Jobmotor. Wir schaffen mit punktgenauen Rahmenbedingungen die Voraussetzung dafür. Unsere Ziele sind ehrgeizig, aber realistisch: Eine Million neuer Arbeitsplätze in der Gesundheitswirtschaft, 500.000 weitere in der Kreativwirtschaft und noch einmal 500.000 in Logistik, Handel und Tourismus."

"Punkt 3: Der Mittelstand erhält umfassende Unterstützung. Für die akuten Probleme und für eine langfristige Perspektive."

"Punkt 4: Investitionen in moderne Netze sichern die Zukunft und den Wohlstand."

"Punkt 5: Bildung, Bildung und nochmals Bildung - der Schlüssel für unsere Zukunft."

"Punkt 6: Wir schaffen eine echte Gleichstellung von Frauen und Männern - auch in der Wirtschaft."

"Punkt 7: Ja zur Wertschöpfung, Nein zur Wert-Abschöpfung. Der langfristige, nachhaltige Unternehmenserfolg wird wieder zum Maß aller Dinge."

"Punkt 8: Die Krise darf sich nicht wiederholen. Da, wo sie begonnen hat, brauchen wir neue Regeln - die Finanzmärkte bekommen ein tragfähiges Gerüst."
Eine umfassende Analyse des gesamten Deutschland-Plans kann und will ich hier nicht leisten. Viele Fragen lassen sich nur mit einem tiefen Einblick in wirtschaftliche Zusammenhänge beurteilen. Inhaltlich wird aber deutlich, dass es hier um ein umfassendes politisches Programm geht - und nicht nur um das Thema "Arbeit", das als Aufhänger und Einleitung diente. Wenn man eine nüchterne und skeptische Position vertreten möchte, bleibt zumindest übrig, dass durch
- Modernisierung der Wirtschaft und neue Technologien und
- Förderung des Dienstleistungssektors
tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen können und werden.
Das Anliegen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit neue Jobs entstehen können, ist ebenfalls weder neu noch unglaubwürdig. DIe Zahlen - können nicht mehr als Schätzungen sein, und darin liegt vermutlich der Kern der pauschalen Abwertung des Deutschlandplans als "unglaubwürdig".

Ist Steinmeiers Rede also eine Luftblase, ein leeres und überzogenes Versprechen, das man ihm nicht abnehmen kann?

"...ich haben Ihnen heute mein Programm für Deutschland im nächsten Jahrzehnt vorgestellt. Und manche rufen gleich: Alles nur Wahlkampf! Und das, obwohl sie das Papier noch gar nicht gelesen haben. Was haben die für ein Verständnis von Wahlkampf und Demokratie? Wahlkämpfe gehören zur Demokratie. Aber sie sollten vor allem ein Wettstreit über Ideen und Konzepte sein.
Und manche haben gleich gesagt: Es sei unseriös, Vollbeschäftigung zu versprechen.
Denen sage ich: Ich verspreche auch nicht Vollbeschäftigung.
Ich sage aber: Vollbeschäftigung ist möglich. Ich verspreche, dass ich dafür sehr hart arbeiten werde. Und auf Ihre Unterstützung baue. Denn Vollbeschäftigung kann nur das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung sein."
Eine Aussage scheint mit dabei besonders wichtig zu sein: Vollbeschäftigung ist möglich.
Das ist nun eine handfeste These, mit der sich die gesamte Rede als Fünfsatz rekonstruieren und integrieren lässt:

Was kann die Politik leisten, um neue Arbeitsplätze zu schaffen?
- durch neue Technologien in der Industrie und Produktion können 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen
- durch die Förderung des Dienstleitungssektors können insgesamt weitere 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen
- der Deutschland-Plan sieht umfassende Massnahmen vor, die Voraussetzungen für diese Entwicklungen zu schaffen
Vollbeschäftigung ist bis 2020 möglich.

Sinn und Zweck dieser Rekonstruktion sollte es sein, die Frage der Glaubwürdigkeit präziser zu fassen - und zu klären, wo die Kritik denn nun ansetzen kann, wenn sie vernünftig sein soll.
Weitgehend konsensfähig dürften die Thesen sein, dass
a) durch neue Technologien auch neue Arbeitsplätze entstehen und
b) dass politische Entscheidungen die Entstehung neuer Arbeitsplätze begünstigen können.

Streiten kann man sich darüber, ob die Zahlen stimmen. Die Frage ist aber auch - sind sie wichtig? Kommt es darauf an, ob exakt am 1. Januar 2020 ganz genau 4 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden sind? Werden hier einfach Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen und als Grundlage für eine pauschale Abwertung des gesamten Konzepts benutzt? Ich meine, dass diejenigen, die Steinmeiers Rede als unglaubwürdig abtun, ihm nicht gerecht werden.

Formal und inhaltlich haben wir keine Rede vor uns, in der irgend etwas zusammenfantasiert und visionär verkleistert wird - die Beschreibung als "Problemanalyse und politisches Programm" kommt meiner Ansicht nach dem Inhalt näher. Dass darin eine argumentative Struktur erkennbar ist, hoffe ich deutlich gemacht zu haben.

"SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier zieht mit dem Versprechen in den Wahlkampf, bis zum Jahr 2020 vier Millionen neue Jobs zu schaffen. Union, FDP, Grüne und Linkspartei kritisieren das als unglaubwürdig und unseriös." So stellt die Tagesschau - eine Umfrage vor. Die Wirkung der Rede gleicht einem taktischen Eigentor - und lässt die Frage offen, wer sich nach alledem wirklich intensiv mit den Gedankengängen auseinander setzen wird... Parteipolitik verdeckt dabei leicht, worum es eigentlich gehen sollte - um Probleme und Lösungen. Um das, was sinnvoll ist. Rationalität in der Politik - das könnte bedeuten, konkrete Vorschläge zu untersuchen und auf ihre Realisierbarkeit hin zu befragen. Aber es ist eben Wahlkampf, da geht es um Köpfe und Positionen, sich selbst ins gute und die anderen ins schlechte Licht rücken, es geht um Stimmen, Mehrheiten, Macht. Und nicht in erster Linie um die Sache. Als Person wirkt Frank-Walter Steinmeier auf mich weder unglaubwürdig noch unseriös - aber seine Botschaft scheint nicht anzukommen.

Vielleicht hätte er einfach nur die Zahlen weglassen sollen?

Immerhin: inzwischen wird der Deutschland-Plan nun doch diskutiert - wer mitreden will, ist gut beraten, einer knappen Empfehlung zu folgen: erst lesen, dann urteilen.

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